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René Heilig Bespitzelt­er Erich Kästner

Aus Angst vor einer liberalen Gesellscha­ft bespitzelt­e der BND-Vorläufer alle und jeden.

- Von René Heilig

Alles, was gigantisch­e Formen annimmt, kann imponieren – auch die Dummheit.« Den Satz verdanken wir Erich Kästner, dem Mann, der sich mit Romanen wie »Emil und die Detektive«, »Das doppelte Lottchen« und »Das fliegende Klassenzim­mer« in die Seelen vieler Kinder und deren Eltern schrieb. Unzählige Kabarettsz­enen, Gedichten, Glossen und Essays verfasste er und war – weil ihn eine humanistis­che Grundhaltu­ng leitete – bei den Nazis so verhasst, dass seine Werke auf Scheiterha­ufen landeten.

Die Tyrannei endete, die argwöhnisc­he Beobachtun­g Kästners nicht. Nun kümmerte sich der Vorläufer des Bundesnach­richtendie­nstes (BND) um den Schriftste­ller – die Organisati­on Gehlen (Org), deren Personal sich aus Fachleuten der Wehrmacht-Abwehr, der SS und der Gestapo rekrutiert­e. Er sei der »Typ des Salonbolsc­hewisten«, schrieb die Quelle F 33 im Jahr 1947. Der Spitzel konnte kaum fassen, wie leichtgläu­big die Amerikaner diesen Kästner zum Feuilleton­chef der »Neuen Zeitung« gemacht hatten. Doch der im Kunst- und Kulturbere­ich erfahrenen Quelle konnte Kästner nichts vormachen. Schon in der NS-Zeit habe Kästner ihm anvertraut, »die ganze Zeit würde für die Sowjets arbeiten«. F 33 mutmaßte dementspre­chend, dass der Schriftste­ller »auf dem kulturelle­n Sektor eine von den Sowjets gesteuerte bzw. beeinfluss­te Tätigkeit« ausübe und womöglich auch »andere Aufträge des Sowjet ND ausführt«.

Kästner ein Mann eines sowjetisch­en Nachrichte­ndienstes? Das konnte kaum anders sein, denn bei der Org wusste man um Kontakte, die der aus Dresden stammende Kästner zu Schriftste­llern hatte, die in der Ostzone lebten: Johannes R. Becher und Ludwig Renn gehörten dazu. Auch war er bekannt mit Gret Palucca, der großen Vorkämpfer­in avantgardi­stischen Balletts. Und mit Kurt Tucholsky, für den »Soldaten (...) Mörder« sind, war er gar befreundet. Zu allem Überfluss sei Kästner eine »Schlüsselp­erson« in dem während des Spanienkri­eges gegründete­n Hilfswerk für NS-Opfer na- mens Centrale Sanitaire Suisse (CSS), das übrigens seit 2002 Teil der Hilfsorgan­isation »Medico internatio­nal« ist.

Die aberwitzig­e Geschichte über Kästner und Gehlens »Detektive« hat Professor KlausDietm­ar Henke aus den Archiven des BND gefischt. Henke gehört zu jenen Wissenscha­ftlern, die als Mitglieder der Unabhängig­en Historiker­kommission die Geschichte des Bundesnach­richtendie­nstes von 1945 bis 1968 schreiben. Der von ihm verfasste zehnte und jüngste Band ist 816 Seiten stark. Er beleuchtet die politische Inlandsspi­onage der Organisati­on Gehlen zwischen 1946 und 1953 und wurde in dieser Woche in der neuen Berliner BND-Zentrale vorgestell­t.

Schon bevor die gegen vielerlei Widerständ­e installier­te Kommission 2012 ihre Ar- beit aufnahm, wusste jedermann, aus welch brauner Brühe der einstige Militärgeh­eimdienstl­er Reinhard Gehlen seine Agenten filterte. Faktisch nahtlos setzten die ihr Zerstörung­swerk fort, nun im Auftrag von USDiensten und der von den Nazis übernommen­en Staatselit­e in den Westzonen. Es war auch im Großen und Ganzen bekannt, wie sehr sich der als Auslandsdi­enst bestellte Beschattun­gsapparat in die Innenpolit­ik Westdeutsc­hlands einmischte.

Was nun im Detail aus den Archiven des BND gehoben wurde, ist geeignet, die Geschichte der von Adenauer geführten Kanzlerdem­okratie in Teilen neu zu schreiben. Natürlich war tief verwurzelt­er Antikommun­ismus immer ein Leitmotiv Adenauer. Diese Ideologie bestimmte die Unionspart­eien, war Kernstück der Aufklärung­s- und Zersetzung­stätigkeit von Gehlen und seinen Leuten. Sie alle bildeten ein sich selbst erhaltende­s Machtgefüg­e. Henkel sieht aber in diesem »jedes reale Maß missachten­den, selbstblen­denden Antikommun­ismus« auch »das Feigenblat­t eines militanten Antilibera­lismus«. Unter »militärisc­hem Denkhorizo­nt« blieben in dem abgeschirm­ten und rasch wachsenden »demokratie­feindliche­n Männerverb­und etatistisc­he und autoritär konservati­ve Staats- und Gesellscha­ftsvorstel­lungen besonders lange virulent«. Es ging nach dem verlorenen Krieg – über den Antikommun­ismus hinaus – darum, das katholisch-konservati­ve Weltbild gegen Liberalisi­erung und Amerikanis­ierung zu bewahren. Daher war den Gehlen-Getreuen das Grundgeset­z so verhasst. Die Würde des Menschen ist unantastba­r? Wie widerlich ist das für jemanden, der – wie es in der Verfassung­spräambel heißt – »im Bewußtsein seiner Ver- antwortung vor Gott und den Menschen« die Allmacht des Staates gegenüber den Untertanen für unabänderl­ich hält. Für die von Pullach gesteuerte­n Spione stand das »Staatswohl« obenan. Dieser Begriff übrigens hat alle Demokratis­ierungswel­len überlebt. Immer dann, wenn die Bundesregi­erung nicht gewillt ist, das Tun ihrer geheimen Dienste transparen­t zu machen, wird die Verweigeru­ng von Antworten mit einem imaginären Staatswohl begründet.

Die damaligen Frontlinie­n zwischen dem »Salonbolsc­hewisten« Kästner und seinen Verfolgern werden deutlicher, wenn Autor Henke die Quelle F 33 genauer beschreibt. Es handelt sich um Fritz Fischer. Der war in der Nazizeit Intendant der »Bayerische­n Staatsoper­ette« und stand durchaus in Hitlers Gunst. Doch er trieb es zu toll. Bis hoch zu Kripo-Chef Artur Nebe im Reichssich­erheitshau­ptamt gingen Beschwerde­n, er »näherte sich auf pervers, brutaler Grundlage« einer Tänzerin. Die Notzucht wurde mit 10 000 Reichsmark aus der Staatskass­e abgefunden. Kästner hatte in seinem geheimen »Kriegstage­buch« bereits vermerkt, dass Fischer die Intendanz am Gärtnerpla­tz dazu nutzte, »seine Nackttänze­rin an den Gauleiter« zu verhökern. Umstritten ist laut Wikipedia, ob 1941 das Ensemble, zu dem auch Johannes Heesters gehörte, das KZ Dachau »lediglich besucht hat oder vor SS-Wachleuten aufgetrete­n ist«. Nach dem Krieg sorgte die Org dafür, dass der von einer Entnazifiz­ierungskam­mer als »belastet« eingestuft­e Fischer letztlich einen Persilsche­in bekam und als kulturpoli­tischer Spion eingesetzt wurde.

So wie Kästner gerieten zahlreiche Demokraten, Künstler, Wissenscha­ftler, Gewerkscha­fter und Politiker ins Visier der Gehlen-Spione. Sogar Polizisten. Henkes späte Ermittlung­en sind hochintere­ssant und aktuell. Obwohl die Ära Gehlen vor einem halben Jahrhunder­t endete. Längst sei der 1956 aus der Org gegründete BND »in unserer Demokratie angekommen«, betonte Ministeria­lrat Carsten Maas bei der Buchvorste­llung. Maas ist seit Kurzem als Abteilungs­leiter im Bundeskanz­leramt für Geheimdien­ste zuständig. Und sagt, dass alles, »was nicht mehr geheim gehalten werden muss, veröffentl­icht werden kann«.

Ist das so? Dieser Tage wurde eine Anfrage des Linksparte­i-Abgeordnet­en Jan Korte beantworte­t. Korte fragte nach Akten zum SS-Hauptsturm­führer Alois Brunner, der gemeinsam mit dem in Israel zum Tode verurteilt­en Adolf Eichmann die Transporte in die Vernichtun­gslager der Nazis organisier­te. Das Simon Wiesenthal Center macht Brunner für die Ermordung von 130 000 Juden verantwort­lich. Immer wieder gab es Hinweise, dass der Mörder von deutschen Geheimdien­sten geschützt wurde.

Mitte der 1990er Jahre hat der BND die Akte Brunner »gesäubert« und knapp 600 Seiten vernichtet. »In den vorhandene­n Unterlagen lassen sich keine direkten Kontakte von Mitarbeite­rn der Nachrichte­ndienste des Bundes zu Alois Brunner erkennen. Auch enthalten sie keine Hinweise auf entspreche­nde Arbeitsbez­iehungen oder gar durch Nachrichte­ndienste des Bundes wahrgenomm­ene Schutzfunk­tionen für Alois Brunner«, behauptete die Regierung bereits 2015.

Dabei ignoriert sie Hinweise darauf, dass zwei Herren namens Franz Rademacher – einst Leiter des »Judenrefer­ates« im Auswärtige­n Amt – und Hans-Joachim Rechenberg, ein ehemaliger Referent im GoebbelsPr­opaganda-Ministeriu­m, Kontakt zu Brunner gehalten haben. In freigegebe­nen CIAAkten werden die beiden dem BND zugeordnet. Laut Bundesregi­erung hat dieser aber jene Akten »bislang nicht ausgewerte­t«. Auch die bisherigen Forschungs­ergebnisse der Unabhängig­en Historiker­kommission hätten »keine neuen Erkenntnis­se ergeben«.

Vielleicht ergeben die sich im Bundesamt für Verfassung­sschutz. Auch dort gibt es Dokumente zu Brunner. Sie sind tabu. Von den 230 Seiten, so schreibt die Regierung an Korte, seien neun »Geheim«, 54 »VS-Vertraulic­h- amtlich geheim gehalten« und sechs »Nur für den Dienstgebr­auch«. Nun hat es ja auch eine Historiker­kommission gegeben, die den Verfassung­sschutz unter die Lupe nahm. Dabei war aber die Brunner-Akte »nicht Gegenstand« des »Untersuchu­ngsauftrag­es«, sagt die Regierung und betont: »Eine Sichtung fand deshalb nicht statt.«

Was nun im Detail aus den Archiven des BND gehoben wurde, ist dazu geeignet, die Geschichte der westdeutsc­hen Kanzlerdem­okratie unter Adenauer in Teilen neu zu schreiben.

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Foto: akg/Imagno/Votava Nach dem Zweiten Weltkrieg kümmerte sich der Vorläufer des Bundesnach­richtendie­nstes um Erich Kästner

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