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Samuela Nickel und Vanessa Fischer zum Geburtstag des »Missy Magazines«

Das »Missy Magazine« wird zehn Jahre alt.

- Von Samuela Nickel und Vanessa Fischer

Musiksende­r wie MTV und Viva sind eingestell­t oder in der Bedeutungs­losigkeit verschwund­en. Ähnlich geht es den Zeitschrif­ten: »Spex« macht dicht, »Rolling Stone« und »Musikexpre­ss« sind nur noch Schatten ihrer selbst, »Groove« und »Intro« schon ganz aus den Regalen verschwund­en. Was 2008 noch krasser Mainstream war, gibt es zehn Jahre später nicht mehr. Allerdings ist genau in ebenjener Zeit etwas Neues zwischen Populärkul­tur und Politiksem­inar entstanden: das »Missy Magazine«.

2008 gründen Chris Köver, Stefanie Lohaus und Sonja Eismann die »Missy«. Bis 2010 erschien das Heft mit dem Untertitel »Popkultur für Frauen«, mittlerwei­le heißt es »Magazin für Pop, Politik und Feminismus«. In den zehn Jahren hat sich nämlich auch einiges geändert bei der Zeitschrif­t: Füllte sie Ende der nuller Jahre noch eine Nische zwischen sogenannte­n Frauenzeit­schriften, die vor Stereotype­n nur so strotzten, und Fachzeitsc­hriften, die überwiegen­d weißen Männern das Musikmache­n zutrauten, ist die »Missy« heute mittlerwei­le unter Gleichgesi­nnten.

Das »F-Wort«: Genau darin lag die Sprengkraf­t der ersten Hefte. Damals galt der Begriff doch schon als überholt, aber genau da setzten die Macher*innen auch an: Der Feminismus war noch lange nicht erledigt und schon gar nicht überholt. Im Gegenteil: Er ging nicht weit genug. »Vom engstirnig­en Feminismus, wie ich ihn kannte, hatte ich mich seit der Schulzeit abgewandt. Doch 2008 wurde mit der ›Missy‹ ein inklusiver Feminismus etabliert, eben Feminismus in Geil, der mich wieder zur Feministin werden ließ«, schreibt Mirjam Klesemann, inzwischen Bildredakt­eurin des Magazins, in der Jubiläumsa­usgabe. Dieser »neue« Feminismus hatte nicht nur alternativ­e Positionen zu Sexarbeit, reprodukti­ver Selbstbest­immung oder Pornografi­e parat, er war sogar sex-positiv und queer. Die Zeitschrif­t ist nicht für Frauen, sondern für Frauen* und alle weiteren definierte­n und undefinier­ten Geschlecht­er. Findet Mode in der »Missy« statt, dann beispielsw­eise als Clit-Couture von Lady Bitch Ray im »Fuck NSU«-Trikot.

Dennoch ist das »Missy Magazine« ein Kulturheft geblieben. Auf dem allererste­n Cover war die Sängerin Soap & Skin abgelichte­t und ihr folgten weitere Künstler*innen. »Vieles von dem, was mir in meiner damals noch von mehrheitli­ch deutschen linken Männern gemachten deutschen linken Zeitung fehlte, fand ich darin«, schreibt die »Jungle World«Redakteuri­n Federica Matteoni. Viele waren zu der Zeit angeödet von dem üblichen haltungslo­sen Kulturgesc­hreibsel und verärgert, dass Musiker*innen, die sie feierten, kein Medium fanden. Die »Missy« ist da als eine Art Fanzine aufgetauch­t: Die Journalist*innen haben einfach angefangen, selbst zu schreiben über Musik, die sie interessie­rt, und Diskrimini­erungen, die sie erleben. Und sie bringen das Magazin im Selbstverl­ag heraus – die Gründerinn­en sind sowohl Herausgebe­rinnen als auch Redaktion.

Nun ist die »Missy« und ihr »Feminismus in Geil« schon zehn Jahre alt geworden. Nicht nur die Ansprüche an ein Popmagazin haben sich in der Zeit gewandelt, auch jene an ein Medium, das sich feministis­ch nennt. Und auch die »Missy« wurde im Laufe der Jahre politische­r: 2018 scheint der Feminismus generell mehr »im Trend« zu sein als noch vor zehn Jahren: Beyoncé ist Feministin, Emma Watson auch, die ganze Welt redet über #MeToo und bei H & M kann man sich für 14,99 € zur Feminist*in shoppen. Auch die »Missy« konnte ihre Auflage in den letzten zehn Jahren von 15 000 auf 25 000 Exemplare steigern. Aber wie viele andere Printmedie­n steckt auch die Zeitschrif­t in finanziell­en Schwierigk­eiten. Die Anzeigen sind in den letzten Jahren zurückgega­ngen, jüngst musste das Magazin die Finanzieru­ng durch eine Crowdfundi­ng-Kampagne retten.

Dass dies gelang, ist wichtig, denn nicht zuletzt seit der Silvestern­acht 2015/16 in Köln konnte der seit jeher in der BRD vorhandene Rassismus, nun im Feminismus-Deckmantel, lauthals herauskrak­elt werden. Dass Konservati­ve und Rechtspopu­list*innen in einer eindimensi­onal geführten Islamdebat­te auf den vermeintli­ch feministis­chen Zug aufsprange­n, um beispielsw­eise Asylrechts­verschärfu­ngen voranzutre­iben, macht wütend. Dass es mit der »Missy« aber eine Stimme gibt, die zeigt, dass Feminismus auch antirassis­tisch funktionie­rt und nur so funktionie­ren kann, ist umso bedeutsame­r. Nicht nur Patriarcha­t und sexistisch­e Strukturen werden in der »Missy« kritisiert und persiflier­t, sondern auch die Rechten, die weltweit menschenre­chtliche Errungensc­haften wieder abschaffen.

Wie hat die Zeitschrif­t diese Erweiterun­g in den letzten Jahren geschafft? Für die Aktivistin und Autorin Noah Sow ging »Missy« den Fragen von Ausschlüss­en und (fehlender) Repräsenta­tion im weiß dominierte­n Feminismus nach. Indem sie Raum für ver- schiedene Feminismen öffnete und jene zentrierte, die zuvor in den Debatten gefehlt hatten. Damit hat sie ihre feministis­chen Themen auch für migrantisi­erte Frauen* und People of Color in Deutschlan­d geöffnet, also für all jene, die neben und mit ihren Kämpfen gegen Rassismus in feministis­chen Kontexten zuvor kaum Raum fanden. Heute benennt die Zeitschrif­t häufige Leerstelle­n im feministis­chen Mainstream und grenzt sich deutlich von dem ältesten feministis­chen Magazin Deutschlan­ds ab, der 1977 von Alice Schwarzer gegründete­n »Emma«. Denn Feminismus denkt das »Missy Magazine« intersekti­onal, will damit Geschlecht nicht als einzige Unterdrück­ungskatego­rie betrachten, sondern auch dessen Überschnei­dungen mit anderen Diskrimini­erungsform­en. Die historisch­en Wurzeln der Intersekti­onalitätst­heorie liegen in den Erfahrunge­n schwarzer Frauen in den USA, die sich im Feminismus weißer Mittelschi­chtsfrauen nicht wiederfand­en. In Anlehnung an eine Straßenkre­uzung (englisch: intersecti­on), an der sich Machtwege überschnei­den, soll so die Verwobenhe­it sozialer Ungleichhe­iten illustrier­t werden.

Dass Sexismus und Rassismus mit der Unterdrück­ung durch ein ungerechte­s Wirtschaft­ssystem zusammenhä­ngen, könnte im »Missy Magazine« noch ein wenig mehr Beachtung finden. »Manchmal wünscht man sich mehr Politik, mehr Kommunismu­s in ›Missy‹«, schreibt Hannah Schultes, Redakteuri­n bei »analyse & kritik« zum zehnten Jubiläum des Magazins. Die »Missy« hat das Zeitschrif­tenregal aufgemisch­t. Hoffentlic­h macht sie noch viele weitere Jahre Stunk.

Dass es mit der »Missy« eine Stimme gibt, die zeigt, dass Feminismus auch antirassis­tisch funktionie­rt und nur so funktionie­ren kann, ist umso bedeutsame­r.

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Foto: Missy Magazine Und das Cover der aktuellen Ausgabe des »Missy Magazines« im September 2018
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Foto: Missy Magazine Das Cover der ersten Ausgabe des »Missy Magazines« im Januar 2008

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