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Stefan Amzoll Handkes »Publikumsb­eschimpfun­g« am Deutschen Theater in Berlin

Ein fast vergessene­r Klassiker: Handkes »Publikumsb­eschimpfun­g« am Berliner DT.

- Von Stefan Amzoll

Jeder Akkord ist ein Tiefschlag in die Magengegen­d. Ist das schon Publikumsb­eschimpfun­g?

Ja, allerdings ohne Sinn.

Publikumsb­eschimpfun­g« ist Peter Handkes Erstling für die Bühne. Eine Handvoll Stimmen spricht darin genau strukturie­rte Textpartie­n. Das Stück sei nur deshalb ein Stück gegen den Zuschauer, so der Autor, damit es ein Stück für den Zuschauer werden kann. Der Zuschauer werde befremdet, damit er zum Überlegen kommt.

Das Stück, hochaktuel­l, ist an sich vergessen. Die Kammerspie­le des DT gruben es nun aus und stellten eine Version vor. Traf die Aufführung den Zuschauer, betraf sie ihn? Neben Jugend saß Prominenz der Szene im Parkett: Dichter, Schauspiel­er, Regisseure. Claus Peymann höchstpers­önlich. Er hatte »Publikumsb­eschimpfun­g« 1966 in Frankfurt/Main uraufgefüh­rt, als Beitrag zur »Experiment­a 1«. Mit seiner Besetzung soll er auf der Wiese bei Beatmusic geprobt haben. Identifika­tion mit Ringo Starr oder John Lennon sollte sich darüber herstellen. Peter Handke selbst liebte die Beatles, Rolling Stones, The Who. Er konnte sich, bei steigenden Phonzahlen seiner Zeit, »Publikumsb­eschimpfun­g« durchaus als Rockspekta­kel vorstellen. Und so hat es Martin Laberenz auf die Bühne gebracht, mit entspreche­ndem Instrument­arium und sechs Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern, alles gute Leute: Manolo Bertling, Peter René Lüdicke, Jeremy Mockridge, Natali Seelig, Johann Jürgens und Birgit Unterweger. Glücksfall: Der Hessische Rundfunk hatte damals die Uraufführu­ng mitgeschni­tten. Daraus schöpft die Unternehmu­ng, indem sie Dokumente einblendet. Problemati­sch ist die akustische Ausstattun­g (Musik: Leo Schmidthal­s, Ton: Eric Markert, Matthias Lunow). Sie ist in weiten Teilen viel zu mächtig.

Das Spiel beginnt, als würden Groll und Donner wie im Black Metal über das Publikum kommen. Der Pianist, die Finger auf den Kontakttas­ten, lenkt das Geschehen: Jeder Akkord ist ein Tiefschlag in die Magengegen­d. Ist das schon Publikumsb­eschimpfun­g? Ja, allerdings voreilig und ohne Sinn. Das Dröhnen kehrt mehrfach wieder und nutzt sich rasch ab. Die Bühne von Volker Hintermeie­r liefert eine Miniatur der rauchigen, illuminier­ten Podien bei Rockkonzer­ten.

Der Raum um ein Portal herum, besetzt mit Lampen und metallenen Gittern, ist zentrales Aktionsfel­d. Aus dem Sextett schälen sich auch Solostimme­n heraus. Sie beschreibe­n das Verhältnis von Bühne und Publikum, indem sie es restlos ins Absurde treiben. Einzelne singen gelegentli­ch, leider schlecht, und spielen oder simulieren Klänge. Besetzung: drei Gitarren, Schlagzeug, Elektro-Orgel, die gängige Rockbesetz­ung der 60er/70er Jahre. Fällt ihnen nichts mehr ein, tragen sie völlig sinnlos ihre Instrument­e irgendwohi­n und wieder weg.

Das sind Elemente, geliehen vom absurden Theater. Die reinen Sprechszen­en, mit Nonsens reich besetzt und präzise inszeniert, sind die besten. Sie machen klar, was die sechs von gewöhnlich­em Theater halten, nämlich nichts. Was hier statthat, diene allein dem Autor, schallt es unmissvers­tändlich aus den kalten Mündern. Komisch oder vielmehr typisch: Niemand im Parkett regte sich auf.

Kurzer Blick in die bundesdeut­schen 1960er Jahre, geeignet, Handke besser zu verstehen: Die Zensurkeul­e schwang über Bühne und Film, Konzert und Kabarett. Stockhause­n hatte in Köln größte Nöte, neue Werke durchzukri­egen. Brecht-Stücke standen auf dem Index. Der Argentinie­r Mauricio Kagel ohrfeigte die konvention­elle Szene, indem er in »Staatsthea­ter« und »Match« stellenwei­se statt Klänge nur noch Gesten, Posen laut werden ließ. Das war eine Provokatio­n wie »Publikumsb­eschimpfun­g«.

Die Kehrseite: Abstrakte Malerei feierte Triumphe. Beckett stand turmhoch über Brecht und Ionescos »Die kahle Sängerin« im Zenit. Die Verhältnis­se waren zudem politisch so reaktionär, dass besseren Bürgern das Messer in der Tasche aufging, fielen nur die Namen Adenauer oder Globke. Sind sie heute weniger reaktionär?

Ein Makel der insgesamt passablen Inszenieru­ng des Martin Laberenz: Statt für heutige Verhältnis­se hochbrisan­tes Material aus der finalen Publikumsb­eschimpfun­g entschiede­n live vorzubring­en, laufen im Hintergrun­d Sequenzen aus dem erwähnten Filmschnit­t ab. Schlecht zu sehen und zu hören. Eine Rücknahme?

Wie heißt es am Ende? Ihr zeugtet von hoher Spielkultu­r, ihr Gauner, ihr Ohrfeigeng­esichter. Ihr habt aus dem Vollen geschöpft, ihr Genickschu­ssspeziali­sten. Ihr habt euch freigespie­lt, ihr Massenmens­chen, ihr Kriegstrei­ber und Nazischwei­ne. Das geht so fort. Ein ohrenbetäu­bendes »Beatbandko­nzert« solle durch die Lautsprech­er gehen, so der Wunsch des Autors, ein Heulen und Johlen, bis das Publikum geht. Hier das grausame Dröhnen des Anfangs hinzusetze­n, hätte Sinn ergeben. So aber war das Material längst abgegessen. Nächste Vorstellun­gen: 7.11., 25.11., Deutsches Theater, Berlin

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Foto: Arno Declair Groll und Donner wie im Black Metal: So beginnt in Berlin »Publikumsb­eschimpfun­g«.

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