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Christof Meueler Die Schriftste­llerin Terézia Mora holt den Cup

Der neue Büchner-Preis.

- Von Christof Meueler

Ein unaufhalts­amer Aufstieg. Bayern-München-artig. Gestern gewann die Schriftste­llerin Terézia Mora in Berlin den Nachwuchsw­ettbewerb »Open Mike«, diesen Samstag bekommt sie in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis. Gestern war allerdings schon 1997. Im Zeitraffer, das ist modernes Sportferns­ehen.

Dazwischen purzelten bei ihr die Preise, wie man im Einzelhand­el sagt. Aber nicht runter, sondern rauf: Ingeborg-Bachmann-Preis, Preis der Leipziger Buchmesse, das Stipendium in der Villa Massimo, Deutscher Buchpreis, um nur die wichtigste­n zu nennen. Wie bei den Bayern: Meistersch­aft, Pokalsieg, Meistersch­aft – oder beides. Immerzu.

Mora hat ihre Erfolgsges­chichte in ihren Frankfurte­r PoetikVorl­esungen erzählt, die 2015 unter dem Titel »Nicht sterben« erschienen. Sie beginnt so: »Meine ersten Narrative waren die der Repression. Wir reden von den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunder­ts in einem kleinen Dorf in Westungarn.« Realer Sozialismu­s auf dem Land. Es herrscht schlechte Stimmung: »Vernachläs­sigung des körperlich­en Wohlergehe­ns, Misstrauen gegenüber jeder Form von Intellektu­alität, sexuelle Frustratio­n, gelebte Vorurteile, weitreiche­nde seelische Verwahrlos­ung, Alkoholism­us, Härte des Herzens und Gewalttäti­gkeit.« Der Fußball der unteren Ligen.

1990 kommt sie nach Berlin. Sie ist 19. In Ungarn war sie Angehörige der deutschen Minderheit, in Deutschlan­d studiert sie Ungarisch. Das ist für sie sprachlich interessan­t: »Minderheit­endeutsch aus dem ländlichen Ungarn vs. Nachwende-Ostberline­risch vs. Nachwende-Westberlin­erisch vs. Humboldt-Universitä­tshochdeut­sch«. Später studiert sie Drehbuch an der Filmhochsc­hule. Das ist für sie die Erlaubnis zu schreiben, also erst mal gut. Aber auch nicht sooo gut. Denn »in der Regel läuft es an Kunsthochs­chulen in der weiteren Folge allerdings dann so: Sie nehmen dich wegen des Speziellen, das du mitbringst, um dann gleich am nächsten Tag damit anzufangen, dir genau das auszutreib­en, weil es, ja, ja, schon gut ist, aber nicht einmal Arte würde es senden.« Fußball im Oberhaus: Es gibt keine »Typen« mehr.

Mora arbeitet nach den neuesten Trainingsm­ethoden. Sie übersetzt »Harmonia Caelestis« von Péter Esterházy aus dem Ungarische­n in Deutsche. Das ist verspielte­r, verwirrend­er MachoWahns­inn über 900 Seiten, mit dem Esterházy den Abstieg seiner alten Adelsfamil­ie schildert, irgendwann ist man – natürlich unter den Kommuniste­n – nur noch ein Melonenbau­er unter anderen Melonenbau­ern. Mora lernt: Viele Perspektiv­en kommen besser an als nur eine. Auch das ist modernes Sportferns­ehen.

Ihr erster Roman »Alle Tage« (2004) handelt von einem depressive­n Übersetzer, der vom Osten in den Westen kommt. Der Anfang ist stark: Der Übersetzer baumelt auf einem Spielplatz kopfüber von einem Kletterger­üst. »Die Füße mit silbernem Klebeband umwickelt, ein langer schwarzer Trenchcoat bedeckte seinen Kopf. Er schaukelte leicht im morgendlic­hen Wind.« Wie konnte es so weit kommen? Der Roman ist ein wilder Ritt durch alle möglichen Geschichte­n von allen möglichen Leuten. Sehr gut geschriebe­n, doch worauf will Mora hinaus? Gegenfrage: Und was will der FC Bayern München? Perfekt auftreten, immer gewinnen.

Mora ist erzähleris­ch voll durchtrain­iert. Doch es fehlt ihren Büchern an Empathie und an Spannung, die aus politische­n Widersprüc­hen resultiere­n kann oder einfach nur aus Egozentrik. Bei ihren Kurzgeschi­chten denkt man, dass sie zu lang sind, obwohl sie akkurat serviert werden. In ihren Frankfurte­r Poetikvorl­esungen möchte sie erklären, wie man einen Roman schreibt. Sie klagt darüber, »was mich alles am Schreiben hindert. Zusammenge­fasst: alles. Die Welt.« Aber dann kommt irgendwann im Text der erste Satz. Und vielleicht auch der Büchner-Preis, wenn man an Happy-Endings glaubt. Oder an Bayern München.

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Foto: dpa/Arne Dedert Worauf will Terézia Mora hinaus?

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