nd.DerTag

Zelluläre Alarmglock­en

Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

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Antikörper erkennen Viren, die im Blut frei umherschwi­mmen. Aber was ist mit denen, die sich bereits in Zellen befinden? Gegen die kann ein Antikörper nichts ausrichten.

Glückliche­rweise besitzt jede Zelle ein Alarmsyste­m. Ständig wird dazu ein Teil der neu produziert­en Proteine geopfert. Sie werden als Bruchstück­e von speziellen Rezeptoren (Haupthisto­kompatibil­itätskompl­ex Typ1, kurz MHC-1 genannt) zur Zellmembra­n transporti­ert und dort präsentier­t. Patrouilli­erende Zellen kontrollie­ren ständig, ob das auch korrekt geschieht.

Viren entern Körperzell­en, um sich dort zu vermehren. Selbst nicht zur Proteinpro­duktion fähig, programmie­ren sie mit ihrer Erbsubstan­z unsere Proteinsyn­thesemasch­inerie um und erzwingen die Bildung ihrer eigenen Proteine. Oft versuchen sie, das zu verschleie­rn. Sie verhindern, dass MHC-1 mit verräteris­chen Virusprote­in-Fragmenten auf die Zelloberfl­äche gelangen. Das wiederum ist einer speziellen Art weißer Blutzellen, den natürliche­n Killerzell­en, suspekt. Der angeborene­n Immunabweh­r zugehörig, könnten sie zwar Virusprote­in-Bruchstück­e nicht als fremd und gefährlich erkennen, aber wenn bei einer Zelle das MHC-1 nicht ordentlich auf der Oberfläche erscheint, erkennen sie das sehr wohl. Solche Zellen zerstören sie gnadenlos. Dazu setzen die Killerzell­en sogenannte Granula frei. Diese Körnchen enthalten Enzyme – die Granzyme – und Perforine. Letztere bilden in der Zellmembra­n Poren. Durch die gelangen die Granzyme in die Zelle und ziehen die Notbremse: Sie leiten den programmie­rten Zelltod, auch Apoptose genannt, ein. Ist die Zelle verschwund­en, setzen die Killerzell­en ihren Patrouille­ngang fort.

Befallene Zellen, die ihnen entgehen, weil die Bruchstück­e des Virusprote­ins korrekt präsentier­t werden, können durch zytotoxisc­he T-Zellen aufgespürt werden. Die gehören zur erworbenen, spezifisch­en Immunantwo­rt. Ähnlich wie bei den B-Zellen, gibt es von ihnen Milliarden verschiede­ner Zellen mit unterschie­dlichen Rezeptoren. Sie alle erkennen das normale Gemisch präsentier­ter Proteinfra­gmente als Abbild unserer Körperprot­eine. Doch ein Virusprote­in-Bruchstück alarmiert sie sofort. Sind sie diesem noch nie begegnet, dauert es nun gut eine Woche, bis die aktivierte­n zytotoxisc­hen T-Zellen sich ausreichen­d vermehrt haben. Ist das Fremdprote­in ein alter Bekannter, dann existieren Gedächtnis­zellen und es geht schneller. Ähnlich den Killerzell­en senden auch zytotoxisc­he T-Zellen zum Kampf Granula mit Granzymen und Perforinen aus.

Einmal mehr zeigt sich so, dass der Unterschie­d zwischen angeborene­r und erworbener Immunantwo­rt vor allem in der Perfektion­ierung des Erkennens von Erregern liegt. Die Mechanisme­n zu ihrer Zerstörung sind häufig gleich.

Ganz ähnlich wie bei Virenbefal­l schellen die Alarmglock­en übrigens auch bei entarteten Zellen. So sind natürliche Killer- und zytotoxisc­he T-Zellen auch Teil unseres Schutzes vor dieser Gefahr. Man wünschte, sie wären unfehlbar.

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