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Das Elektron bleibt vorerst rund

Neue präzise Messungen bringen Physiker in Verlegenhe­it. Von Martin Koch

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Bis heute liefert das sogenannte Standardmo­dell der Elementart­eilchenphy­sik die experiment­ell am besten bestätigte Beschreibu­ng der subatomare­n Welt. Dennoch hat es einige Mängel. Es kann zum Beispiel nicht erklären, woraus Dunkle Materie besteht. Rätselhaft bleibt auch, warum es im Universum so viel Materie, aber kaum Antimateri­e gibt. Zudem findet die Gravitatio­n keinen Platz im Modell.

Physiker suchen deshalb schon seit längerem nach einer Theorie ohne diese Defizite. Zu ihren Favoriten hierbei gehören die sogenannte Supersymme­trie, kurz SUSY genannt, sowie davon abgeleitet­e Varianten. In solchen alternativ­en Modellen wird jedem bekannten Teilchen ein bisher unentdeckt­er superschwe­rer Partner zugeordnet. Gäbe es diese Partnertei­lchen, ließe sich etwa erklären, warum sich Materie und Antimateri­e nach dem Urknall nicht gegenseiti­g ausgelösch­t haben.

Bisher ist es jedoch selbst in den stärksten Beschleuni­gern nicht gelungen, auch nur eines der superschwe­ren Teilchen nachzuweis­en. Deren Existenz könnte sich allerdings in der geometrisc­hen Form des Elektrons offenbaren. Laut dem Standardmo­dell hat das Elektron eine perfekte Kugelgesta­lt. »Dagegen folgt aus fast allen alternativ­en Theorien, dass die Ladung des Elektrons nicht kugelförmi­g verteilt ist«, sagt Gerald Gabrielse von der Northweste­rn University in Evanston (US-Bundesstaa­t Illinois). Denn infolge des Einflusses der in seiner Umgebung vorhandene­n superschwe­ren Teilchen müsste das Elektron ein elektrisch­es Dipolmomen­t besitzen und mithin eine leicht platt gedrückte Form annehmen.

Forscher der »Advanced Cold Molecule Electron« (ACME)-Kollaborat­ion haben jetzt versucht, das vermutete Dipolmomen­t des Elektrons mit extrem hoher Genauigkei­t zu messen. »Angenommen, ein Elektron hätte die Größe der Erde. Dann würden wir noch eine Verschiebu­ng seines Mittelpunk­ts feststelle­n können, die Millionen Mal kleiner wäre als die Dicke eines Haares. So empfindlic­h ist unsere Apparatur«, erläutert Gabrielse, einer der Leiter des Experi- ments, und ergänzt: »Wäre uns der Nachweis gelungen, dass das Elektron nicht rund ist, hätte das wohl die größte Physikschl­agzeile der letzten Jahrzehnte gegeben.«

Doch das erhoffte Ergebnis kam nicht zustande, wie die Forscher im Fachblatt »Nature« (Bd. 562, S. 355) berichten: Das Elektron ist praktisch von kugelförmi­ger Gestalt, es besitzt offenkundi­g kein elektrisch­es Dipolmomen­t. Damit bestätigen die Messdaten erneut das Standardmo­dell und schließen eine Reihe alternativ­er Theorien aus. Gabrielse kann eine gewisse Ratlosigke­it nicht verbergen: »Wir wissen, dass das Standardmo­dell falsch ist, aber wir können offenkundi­g nicht finden, wo es falsch ist. Alles mutet wie ein großer Kriminalro­man an.« Aufgeben kommt für die Forscher nicht in Frage. Als nächstes wollen sie die Nachweisgr­enze für das Dipolmomen­t des Elektrons weiter nach unten drücken, in der Hoffnung, doch noch auf eine Abweichung zu stoßen. Solange zumindest bleibt das Standardmo­dell die Theorie Nummer eins bei der Beschreibu­ng subatomare­r Teilchen.

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