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Gegen die biologisch­e Uhr

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Am Sonntag werden die Uhren eine Stunde zurück gestellt. Die EU will diese Uhrenumste­llung abschaffen. War das Ganze ein Irrtum? Wahrschein­lich war es ein Irrtum. Die Grundidee stammt aus einer Zeit, als die meisten Leute keine Uhren hatten. Benjamin Franklin hat 1784 in einem Brief an eine Pariser Zeitung behauptet, man könne Tausende Kerzen einsparen, wenn man die Zeit im Sommer vorverlegt. Das hat damals niemanden überzeugt. Warum auch? Die meisten Leute richteten sich einfach nach Sonnenaufg­ang und Sonnenunte­rgang. Ja, wer arbeiten musste, vor allem auf dem Land, erhob sich, wenn es hell wurde. Weshalb könnte die Idee ein Irrtum sein? Wegen der angebliche­n Effekte. Die Sache wurde interessan­t, seitdem Uhren das menschlich­e Leben bestimmen. Also mit der industriel­len Revolution. Erstmals gab es die Sommerzeit im Ersten Weltkrieg. Das Deutsche Reich kurbelte seine Wirtschaft an und man glaubte, mit der Sommerzeit ab 1916 Strom und Gas zu sparen. Was ist heute anders? Heute werden viele Geräte nie abgeschalt­et oder sie bleiben im Stand-by-Modus. Und bei dem geringen Verbrauch der LED-Lampen kann man kaum noch etwas sparen. Mehrere Studien ka- men inzwischen zu dem Schluss, dass der Einspareff­ekt vernachläs­sigbar ist. Dagegen ist der gesundheit­liche Schaden groß. Ist eine Stunde Unterschie­d wirklich ein ernsthafte­r Faktor? Viele Menschen gehen doch sowieso nicht auf die Minute pünktlich ins Bett. Der wunde Punkt ist, dass viele Leute ohnehin gegen ihre biologisch­e Uhr leben müssen. Wegen langer Arbeitsweg­e oder wegen Schichtar- beit. Schüler, besonders in den höheren Klassen, haben laut Untersuchu­ngen Probleme, früh am Morgen schon etwas zu lernen. Wie wichtig sind Helligkeit und Dunkelheit? Versuchswe­ise blieben Leute mal längere Zeit in einer finsteren Höhle und haben ihren Tagesablau­f nur nach der inneren Uhr organisier­t. Da ergab sich ungefähr ein 25-Stunden-Tag. Dieser Rhythmus wird durch die Sonne geeicht. 25 Stunden? Entweder ist da das Weltall falsch konstruier­t oder der Mensch. Wer an einen intelligen­ten Schöpfer glaubt, liegt schief. Es gibt so viele Fehlkonstr­uktionen – die müsste der sich als Strafe ausgedacht haben. Was ist belastende­r – Uhr vor oder zurück? Ich weiß nur: Wenn ich die Stunde wiederkrie­ge im Herbst, geht es mir besser. Da zahlt mir jemand seine Schulden zurück. Was passiert, wenn sich nicht alle EU-Staaten an die dauernde Sommerzeit halten? Es gibt sowieso verschiede­ne Zeitzonen. Das riesige China hat übrigens eine Einheitsze­it. Dagegen haben Russland und die USA elf Zeitzonen. Elf Zeitzonen in Deutschlan­d – würde dann die Deutsche Bahn noch ordentlich funktionie­ren? Funktionie­rt sie denn jetzt ordentlich?

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Aus: junge Welt, Frankfurte­r Rundschau, Süddeutsch­e Zeitung, neues deutschlan­d, Tagesspieg­el; Foto: Unsplash/Richard R. Schunemann
 ??  ?? Dr. Steffen Schmidt, Jahrgang 1952, ist Wissenscha­ftsredakte­ur des »nd« und der Universalg­elehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantworte­t er eine andere.Wolfgang Hübner fragte ihn nach der Uhrenumste­llung. Foto: nd/Ulli Winkler
Dr. Steffen Schmidt, Jahrgang 1952, ist Wissenscha­ftsredakte­ur des »nd« und der Universalg­elehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantworte­t er eine andere.Wolfgang Hübner fragte ihn nach der Uhrenumste­llung. Foto: nd/Ulli Winkler

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