Heilende am Limit
Therapeuten arbeiten oft unter prekären Bedingungen. Einige von ihnen wollen sich nun dagegen wehren.
Die schwierige Lage von Pflegekräften ist längst zu einem Politikum geworden. Bei den Heilmittelerbringern sieht es nicht besser aus. Auch sie setzen inzwischen verstärkt auf Protest. Rund 300 000 Heilmittelerbringer gibt es in Deutschland. Dazu zählen etwa Ergotherapeuten, Logopäden, Physiotherapeuten, Podologen und Diätassistenten. Wegen ihrer zunehmend prekären Arbeitsbedingungen und der sich rapide verschlechternden Versorgung von Patienten gab es vielerorts in Deutschland in jüngster Zeit schon Demonstrationen. Bisher kämpfen die Betroffenen aber eher für sich. Das soll sich nun ändern: Am vergangenen Donnerstagabend gab es ein erstes Vernetzungstreffen, zunächst für Nordrhein-Westfalen.
»Eine Meinung ist keine Tatsache und eine Perspektive keine Wahrheit. Wir müssen mutiger, lauter und dadurch sichtbar werden«, sagt Christine Donner, Geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes für Ergotherapeuten in Deutschland. Die Stuhlreihen im Saal des Duisburger Ortsbüros sind fast alle besetzt. Etwa 50 Besucher sind einer Einladung der Grünen nachgekommen. Sie möchten die Basis einer Interessenvertretung für Heilmittelerbringer bilden.
Neben Donner nehmen auch Maria Klein-Schmeink, Gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und Heiko Schneider, Initiator von Therapeuten am Limit, auf dem Podium Platz. Klein-Schmeink sagt, sie verstehe die Sorgen der Anwesenden über Fachkräftemangel, veraltete Ausbildungsinhalte, eine geringe Vergütung durch die Krankenkassen und fehlende Wertschätzung seitens der Gesundheitspolitik, die zu einem gefährlichen Abbau der therapeutischen Angebote führen würden. »Sie haben mich an Ihrer Seite«, beteuert die Politikerin. »Ich weiß, dass Sie echte Taten von der Politik sehen wollen.«
Der Applaus ist eher verhalten, der Gesichtsausdruck der Anwesenden bleibt angespannt. Das Mikro wird durch die Sitzreihen gereicht und landet bei einer Physiotherapeutin: »Besonders frustrierend ist, dass wir Feh- ler von Ärzten und Kassen ausbaden müssen«, berichtet sie. Denn schon ein falsches Kreuz des Arztes könne bedeuten, dass Therapeuten in Leistung gehen, noch bevor die Krankenkassen den Fehler erkennen. »Dann werden wir nicht bezahlt.« Die Kollegen stimmen der Rednerin kopfnickend zu. »Auch deswegen muss ich meine Praxis schließen. Übrigens die siebte im vergangenen Jahr, die in Frankfurt am Main insolvent gegangen ist«, sagt Schneider. Als Angestellter verdiene er auch nicht mehr als 2300 Euro brut- to. »Mit diesem Gehalt können wir weder für unsere Familien noch für unsere Renten sorgen.«
In Planungsunsicherheit befindet sich auch Karina Kloos. Die 23-Jährige macht eine Ausbildung zur Ergotherapeutin und hat wenige Stunden zuvor von der Schulleitung erfahren, dass sie mit dem vollen Schulgeld von 400 Euro monatlich weiterhin in Vorkasse treten muss. Laut der neuen Förderrichtlinie, die das Gesundheitsministerium kürzlich erlassen hat, sollte Schulen rückwirkend ab dem 1. September 70 Prozent des Schulgeldes erstattet werden. »Dafür müssen sie aber einen Antrag stellen, in dem alle Schüler und ihre Beiträge erfasst werden«, so Kloos. Der wird an die Bezirksregierung und danach an das Ministerium weitergeleitet. Die Überprüfung soll jedes Quartal erfolgen, wodurch erst nachträglich Geld in die Schulen fließt. Das Problem: Haben sie den Antrag gestellt, dürfen sie nicht mehr als 30 Prozent des Schulgeldes von den Schülern verlangen. »Unsere Schule ist aber kein Unternehmen mit Millionen im Hintergrund, von denen sie weiter- hin Miete und Dozenten bezahlen kann«, sagt die angehende Ergotherapeutin. Die meisten hätten schon Insolvenz angemeldet.
Wütend zu sein, sei manchmal der erste Schritt zur Veränderung, meint die Logopädin Dea Heibel. Dass von 300 000 Heilmittelerbringern in Deutschland nur wenige an Protesten teilnehmen, sei vor allem ihrer prekären Lage geschuldet. »Die meisten Therapeuten sind alleinerziehende Frauen, die nicht für einen Tag ihre Praxis schließen können, um auf der Straße Flyer zu verteilen.« Außerdem setzt man auch auf den Protest der Patienten. »Wir sollten die Scheiben für einen Tag mit dunkler Pappe abkleben, die Aktionen in unsere Praxen verlegen und unsere Arbeit einbeziehen«, schlägt Heibel vor. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit könnte man schließlich schon dadurch gewinnen.
Um die Frage der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit soll es auch in den folgenden Zusammentreffen im Januar gehen. Dann will man auch Thesen und konkrete Forderungen formulieren, die möglichst breit gestreut werden sollen.
»Eine Meinung ist keine Tatsache und eine Perspektive keine Wahrheit. Wir müssen mutiger, lauter und dadurch sichtbar werden.« Christine Donner, Vorstand des Bundesverbandes für Ergotherapeuten