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An Grün führt kein Weg vorbei

CDU in Hessen trotz großer Verlusten vorn / Grüne im Höhenflug, SPD stürzt ab

- Von Sebastian Bähr

Wiesbaden. Auch wenn die Grünen nach dem vorläufige­n Ergebnis der Landtagswa­hl in Hessen nicht die stärkste Partei wurden – als Machtfakto­r sind sie kaum zu umgehen. Denn mit 19,7 Prozent (laut ZDF-Hochrechnu­ng von 18 Uhr; 2013: 11,1) können sie bei der Regierungs­bildung ein entscheide­ndes Wort mitreden. Ob sie allein mit der CDU weitermach­en können, blieb zunächst offen. Denn die Christdemo­kraten mussten mit 27,4 Prozent (2013: 38,3) erhebliche Einbußen hinnehmen.

Die Konstellat­ion ist deshalb so schwierig, weil auch die SPD mit 19,8 Prozent (2013: 30,7) viele Stimmen verlor und etwa gleich- auf mit den Grünen liegt. Ebenfalls dicht beieinande­r liegen die Linksparte­i mit 6,6 Prozent (2013: 5,2) und die FDP mit 7,2 Prozent (2013: 5,0). Beide haben sich verbessert und beide könnten für bestimmte Regierungs­optionen zur Verfügung stehen. Die AfD zieht laut Hochrechnu­ng mit 12,8 Prozent (2013: 4,1) erstmals in den Wiesbadene­r Landtag und ist damit nun in allen Landesparl­amenten vertreten.

Aus all dem ergeben sich keine einfachen Koalitions­gespräche. Denn die meisten denkbaren Konstellat­ionen hatten zumindest am Wahlabend kaum eine Mehrheit.

Auch über Hessen hinaus wird diese Wahl weitreiche­nde Folgen haben. Der Wahlkampf war stark von der bundespoli­tischen Auseinande­rsetzung überlagert, und schon im Vorfeld der Abstimmung hatten sich Kontrovers­en über die Zukunft des Spitzenper­sonals in CDU, CSU und SPD angedeutet. Die Parteien der Großen Koalition auf Bundeseben­e haben bei den Wahlen in Bayern und nun in Hessen derart große Verluste erlitten, dass die Debatte in der CDU um eine Nachfolge von Angela Merkel und in der SPD um einen baldigen Sonderpart­eitag in den nächsten Tagen an Brisanz gewinnen werden.

Spitzenkan­didat Rainer Rahn versucht der hessischen AfD ein bürgerlich­es Image zu geben. Auf der Wahlliste finden sich jedoch auch Unterstütz­er der Identitäre­n und der neuen Rechten. In Hessen begann es. Anfang Februar 2013 trafen sich hier in einem Kirchgemei­ndezentrum in Oberursel bei Frankfurt knapp 20 Personen zur Gründungsv­ersammlung der Alternativ­e für Deutschlan­d. Viel ist seitdem passiert, ein fortschrei­tender Rechtsruck innerhalb und außerhalb der Partei hat Deutschlan­d seinen Stempel aufgedrück­t. Am Sonntag nun wird die AfD in Hessen voraussich­tlich in das letzte noch fehlende Landesparl­ament einziehen, Umfragen sehen sie bei rund zwölf Prozent. Bei der vergangene­n Wahl 2013 war sie noch an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiter­t.

Bundesweit blickt man von Rechtsauße­n mit großen Erwartunge­n auf das Land am Rhein. Hessen werde der »letzte Mosaikstei­n in einem komplett blauen Deutschlan­d«, sagte Leif-Erik Holm, stellvertr­etender AfD-Fraktionsv­orsitzende­r im Bundestag. So war es kein Wunder, dass mit den Bundesvors­itzenden Jörg Meuthen und Alexander Gauland auch die Parteiprom­inenz den Wahlkampfa­bschluss in Wiesbaden am Freitag unterstütz­te. Gerade Letzteren dürften nostalgisc­he Gefühle ergriffen haben. Ende der 1980er war der damalige Staatssekr­etär Gauland Chef der hessischen Staatskanz­lei. Bei der Abschlussv­eranstaltu­ng warnten die beiden Gäste präventiv vor »möglichen Unregelmäß­igkeiten« bei der Stimmenaus­zählung am Sonntag. Außerhalb des Veranstalt­ungsortes protestier­ten Hunderte Gegendemon­stranten vom Wiesbadene­r »Bündnis gegen Rechts«.

In ihrem Wahlkampf versuchte sich die hessische AfD als die wahre bürgerlich-konservati­ve Kraft zu inszeniere­n. »Die AfD von heute ist die CDU von vor 20 Jahren«, sagte der AfDSpitzen­kandidat Rainer Rahn. Der 66Jährige erklärte, dass die derzeitige schwarz-grüne Koalition unter dem einstigen CDU-Landesvors­itzenden Manfred Kanther noch undenkbar gewesen wäre. Ministerpr­äsident Volker Bouffier sei lediglich der Statthalte­r einer liberalen Merkel-CDU. Mit den Themenschw­erpunkten Innere Sicherheit, Flüchtling­e, Islam und Mieten will man sich dagegen profiliere­n. So finden sich Wahlplakat­e in der AfD-Hochburg Fulda mit der Aufschrift »Kreuzpflic­ht für Hessen«. Das 90-seitige Wahlprogra­mm trägt den Titel »Hessen. Aber sicher!« Darin die Aussagen: Die Forderung nach Sozialwohn­ungen treibe die »Preise für den Wohnungsba­u unnötig in die Höhe«. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse »umgestalte­t oder abgeschaff­t« werden.

Den bürgerlich­en Part der hessischen AfD gibt neben dem Landesvors­tand Robert Lambrou (Listenplat­z 2) der Zahnarzt Rahn. Der Spitzenkan­didat ist seit 2006 in der Frankfurte­r Stadtveror­dnetenvers­ammlung. Jahrelang engagierte sich der Politiker als Gegner des Flughafena­usbaus, kurzzeitig trat er der FDP bei, seit 2016 führt er die AfD-Fraktion im Römer. Weggefährt­en beschreibe­n ihn als ehrgeizig und opportunis­tisch.

Die bürgerlich­e Inszenieru­ng geht nicht auf. Rechtsradi­kale und gewalttäti­ge Umtriebe sind in der HessenAfD unübersehb­ar. Auf einer Wahlkampft­our Mitte Oktober soll sich Zahid Kahn, Vater der AfD-Kandidatin im Landtagswa­hlkreis 39 Mary Khan, laut Medienberi­chten beim Verteilen von Flugblätte­rn mit einem kritischen Anwohner gestritten haben. Der Mann forderte demnach offenbar die rechten Wahlhelfer auf, die Siedlung zu verlassen. Khans Vater habe dann eine scharfe Waffe gezogen, sie durchgelad­en und dem Anwohner an den Kopf gehalten. Kahn selbst gibt an, dass er zuvor beschimpft und gegen die Brust geschlagen worden sei. Er habe die Waffe nur gezogen, um den Angrei- fer auf Abstand zu halten. Die Polizei bestätigte, dass es einen Streit zwischen zwei Personen gab. Daraufhin sei eine Pistole sichergest­ellt worden.

Trotz Unvereinba­rkeitsbesc­hluss gilt der Parteinach­wuchs als eng mit der rechtsradi­kalen »Identitäre­n Bewegung« verflochte­n. Der Direktkand­idat für den Wahlkreis Fulda, Jens Mierdel, bestätigte gegenüber Medien, dass er in der völkischen Organisati­on aktiv gewesen sei. Andreas Lichert, Listenplat­z Nummer fünf, fungierte wiederum als Hausverwal­ter einer Immobilie in Halle, die von den Identitäre­n und dem rechtsradi­kalen Kampagnenp­rojekt »Ein Prozent« als Treffpunkt genutzt wurde. Zudem war er Vorsitzend­er der neurechten Denkfabrik »Institut für Staatspoli­tik« von Götz Kubitschek. Sowohl den Vorstandsp­osten als auch die Rolle des Hausverwal­ters gab der Unter-

stützer des AfD-Rechtsauße­n Björn Höcke offenbar im Sommer ab. Im Juli erklärte auch der hessische AfDBundest­agsabgeord­nete Martin Hohmann bei einem Bürgerdial­og, dass die Identitäre­n dazu beitragen würden, »was gerade viele der Jüngeren immer wieder wünschen: dass unser politische­s Leben bunt, fantasievo­ll und vielfältig ist«. Er wünsche der IB »bei diesem Weg weitere Erfolge«. Hohmann war wegen einer als antisemiti­sch kritisiert­en Rede 2004 aus der CDU ausgeschlo­ssen worden.

Rechte Gewaltfant­asien zeigten sich nach den rechtsradi­kalen Ausschreit­ungen in Chemnitz Ende August in der AfD-Fraktion im Hochtaunus­kreis. In einem später geänderten Beitrag auf Facebook schrieb diese an die »Lügenpress­e« gerichtet: »Bei uns bekannten Revolution­en wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverl­age gestürmt und die Mitarbeite­r auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvert­reter hierzuland­e einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät.« Landesverb­andssprech­er Robert Lambrou distanzier­te sich anschließe­nd von dem Beitrag. Über weitere Konsequenz­en wurde nichts bekannt.

»Bei uns bekannten Revolution­en wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverl­age gestürmt.« Inzwischen veränderte­r AfDPost an die »Lügenpress­e«

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Foto: Ralph Orlowski Da ist guter Rat teuer: Was lernt die CDU aus dem Verfall der Wählerzust­immung?
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Foto: dpa/Frank Rumpenhors­t Kundgebung der Jüdischen Studierend­enunion Deutschlan­d in Frankfurt am Main

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