Klimaaktivisten legen Bahn lahm
Aktionen gegen Energiekonzern RWE im Kampf um den Hambacher Forst
Kerpen. Mit Blockaden im rheinischen Braunkohlerevier haben Klimaaktivisten am Wochenende den Tagebaubetrieb behindert und eine Autobahnsperrung ausgelöst. Dabei legten etwa 1000 Kohlegegner ab Samstag die Hambachbahn lahm, die RWE-Kraftwerke mit Braunkohle versorgt. Erst Sonntagvormittag verließen die meisten Klimaschützer die Gleise. Die Mehrzahl formierte sich am Sonntagmittag zu einem Protestmarsch zurück zum Basislager des Aktionsbündnisses »Ende Gelände« in Düren-Stepprath.
Der parlamentarische Beobachter vor Ort und Energie- und Klimapolitiker der Linkspartei im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, erklärte: »Die friedlichen Klimaproteste sind das Gegenteil von Landfriedensbruch. Die Formen des zivilen Ungehorsams wie das Besetzen von Kohlebaggern, Straßen und Gleisen sind legitim und dürfen nicht als Rechtsbruch kriminalisiert werden. Die Klimaaktivisten sind keine Öko-Terroristen.«
Der Kampf um den Hambacher Forst richtete sich am Wochenende erneut gegen den Energiekonzern RWE. Rund 2000 Aktive verbrachten eine kalte Nacht auf den Gleisen einer Kohle-Transportbahn. Es klingt beinahe flehend, als die Polizei durchsagt: »Sie können die Gleisanlagen jetzt verlassen. Wir werden keine polizeilichen Maßnahmen gegen Sie ergreifen.« Mehrfach wird die Durchsage am Sonntagmorgen wiederholt. Die Ansprache der Polizei richtet sich an gut 1000 Aktivisten des Bündnisses »Ende Gelände«, die auf den Schienen der Hambachbahn sitzen. Dass die Polizei die Klimaaktivisten ohne weitere Maßnahmen gehen lassen möchte, liegt auch an der Örtlichkeit. Die Bahngleise liegen zwischen zwei steilen Böschungen. 1000 Aktivisten dort hochzutragen, wäre erstens gefährlich und zweitens ziemlich anstrengend für die Polizeibeamten.
»Ende Gelände« hat wieder einen Erfolg zu feiern. Die Hambachbahn ist zentral für die Kohleinfrastruktur. Über sie versorgt für RWE die nahegelegenen Kraftwerke mit frischer Kohle aus dem Tagebau. Ist die Bahn blockiert, müssen die Kraftwerke schnell ihre Leistung drosseln. Das zeigte auch eine Blockade, die »Ende Gelände« im Sommer 2017 mit nur wenigen hundert Aktivisten durchgeführt hatte. Jetzt sitzen über 1000 Menschen auf den Gleisen. Eine so große Blockade hat es noch nicht gegeben. »Das ist die größte Massenaktion zivilen Ungehorsams der Klimagerechtigkeitsbewegung, die wir hier je gesehen haben«, sagt Selma Richter, Sprecherin von »Ende Gelände«.
Dass das Wochenende im Rheinischen Revier aus Sicht der Aktivisten so positiv verläuft, war lange nicht abzusehen. Die Frage, wo Tausende Aktive zelten können, war bis zum Donnerstag ungeklärt. Ein nicht genehmigtes Camp wurde in der Nacht zum Donnerstag von der Polizei geräumt. Als am Freitagmorgen 1000 Ende-Gelände-Aktivisten mit einem Sonderzug ankamen, wurden diese am Bahnhof in Düren von der Polizei in eine Kontrollstelle geleitet. Aktivisten, die sich nicht ausweisen konnten oder wollten, wurden fotografiert, ihre Fingerabdrücke wurden genommen. Die Polizei begründete dies mit »angekündigten Straftaten«. Das Aachener Verwaltungsgericht hielt die Maßnahme für angemessen.
Über zehn Kilometer mussten die Aktivisten dann am Samstag von ihrem Camp im Süden von Düren bis nach Merzenich laufen. Dort wurden sie erstmals von der Polizei gestoppt. Die Autobahn 4 über eine Brücke zu überqueren, sei zu gefährlich, so die Argumentation der Polizei. Dann wurde die Autobahn gesperrt und über 4000 Ende-Gelände-Aktivisten sollten über Feldwege in das Dörfchen Buir gehen. Darauf hatten die Aktivisten allerdings keine Lust, überstiegen zu Hunderten einen Wall an der Autobahn und ließen sich auch nicht von den zwei auf der A4 positionierten Wasserwerfern stoppen. Ihr Ziel: die Kohlebahn.
Und dort blieben die Aktivisten die ganze Nacht über. Trotz Temperaturen um drei Grad verließen nur wenige freiwillig die Schienen. Am Sonntagvormittag gegen 11 Uhr verließ dann ein Großteil die Gleise freiwillig. 22 Stunden hatten sie auf den kalten Gleisen verbracht. Zu unschönen Szenen kam es anschließend. Etwa 50 Aktivisten, die im Gleisbett sitzen geblieben waren, wurden von der Polizei äußerst ruppig geräumt. Menschen wurden von den Schienen geschubst und die Böschungen hochgezerrt. Die Polizei habe dabei »schwere Verletzungen« in Kauf genommen, kritisieren Aktivisten von »Ende Gelände«.
Paul aus Berlin spricht dennoch von einer »unglaublich schönen Nacht« auf den Gleisen, die Menschen seien »total solidarisch« miteinander umgegangen. Als er nachts einmal aufgewacht sei, habe er einen Menschen gesehen, der die ganze Blockade ablief und die goldenen Rettungsdecken, die viele Menschen dabei hatten, wieder über die Schlafenden legte. Auch Tina berichtet Ähnliches, man habe sich eng aneinander gekuschelt, deswegen sei es nicht zu kalt geworden.
Schon in der Nacht zum Sonnabend war eine kleine Gruppe von Aktivisten in den Tagebau Hambach eingedrungen und hatte einen Bagger besetzt. Etwa 200 Aktivisten, die mit Bussen zum Tagebau Inden gefahren waren, schafften es fast bis in die Braunkohlegrube. Mehr als 400 Personen wurden im Verlauf des Tages in Gewahrsam genommen. Auf die Durchsage der Polizei, dass man die Schienen ohne polizeiliche Maßnahmen verlassen könne, reagierten übrigens bis zum Abend nur etwa 50 Aktivisten.