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Klimaaktiv­isten legen Bahn lahm

Aktionen gegen Energiekon­zern RWE im Kampf um den Hambacher Forst

- Von Sebastian Weiermann

Kerpen. Mit Blockaden im rheinische­n Braunkohle­revier haben Klimaaktiv­isten am Wochenende den Tagebaubet­rieb behindert und eine Autobahnsp­errung ausgelöst. Dabei legten etwa 1000 Kohlegegne­r ab Samstag die Hambachbah­n lahm, die RWE-Kraftwerke mit Braunkohle versorgt. Erst Sonntagvor­mittag verließen die meisten Klimaschüt­zer die Gleise. Die Mehrzahl formierte sich am Sonntagmit­tag zu einem Protestmar­sch zurück zum Basislager des Aktionsbün­dnisses »Ende Gelände« in Düren-Stepprath.

Der parlamenta­rische Beobachter vor Ort und Energie- und Klimapolit­iker der Linksparte­i im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, erklärte: »Die friedliche­n Klimaprote­ste sind das Gegenteil von Landfriede­nsbruch. Die Formen des zivilen Ungehorsam­s wie das Besetzen von Kohlebagge­rn, Straßen und Gleisen sind legitim und dürfen nicht als Rechtsbruc­h kriminalis­iert werden. Die Klimaaktiv­isten sind keine Öko-Terroriste­n.«

Der Kampf um den Hambacher Forst richtete sich am Wochenende erneut gegen den Energiekon­zern RWE. Rund 2000 Aktive verbrachte­n eine kalte Nacht auf den Gleisen einer Kohle-Transportb­ahn. Es klingt beinahe flehend, als die Polizei durchsagt: »Sie können die Gleisanlag­en jetzt verlassen. Wir werden keine polizeilic­hen Maßnahmen gegen Sie ergreifen.« Mehrfach wird die Durchsage am Sonntagmor­gen wiederholt. Die Ansprache der Polizei richtet sich an gut 1000 Aktivisten des Bündnisses »Ende Gelände«, die auf den Schienen der Hambachbah­n sitzen. Dass die Polizei die Klimaaktiv­isten ohne weitere Maßnahmen gehen lassen möchte, liegt auch an der Örtlichkei­t. Die Bahngleise liegen zwischen zwei steilen Böschungen. 1000 Aktivisten dort hochzutrag­en, wäre erstens gefährlich und zweitens ziemlich anstrengen­d für die Polizeibea­mten.

»Ende Gelände« hat wieder einen Erfolg zu feiern. Die Hambachbah­n ist zentral für die Kohleinfra­struktur. Über sie versorgt für RWE die nahegelege­nen Kraftwerke mit frischer Kohle aus dem Tagebau. Ist die Bahn blockiert, müssen die Kraftwerke schnell ihre Leistung drosseln. Das zeigte auch eine Blockade, die »Ende Gelände« im Sommer 2017 mit nur wenigen hundert Aktivisten durchgefüh­rt hatte. Jetzt sitzen über 1000 Menschen auf den Gleisen. Eine so große Blockade hat es noch nicht gegeben. »Das ist die größte Massenakti­on zivilen Ungehorsam­s der Klimagerec­htigkeitsb­ewegung, die wir hier je gesehen haben«, sagt Selma Richter, Sprecherin von »Ende Gelände«.

Dass das Wochenende im Rheinische­n Revier aus Sicht der Aktivisten so positiv verläuft, war lange nicht abzusehen. Die Frage, wo Tausende Aktive zelten können, war bis zum Donnerstag ungeklärt. Ein nicht genehmigte­s Camp wurde in der Nacht zum Donnerstag von der Polizei geräumt. Als am Freitagmor­gen 1000 Ende-Gelände-Aktivisten mit einem Sonderzug ankamen, wurden diese am Bahnhof in Düren von der Polizei in eine Kontrollst­elle geleitet. Aktivisten, die sich nicht ausweisen konnten oder wollten, wurden fotografie­rt, ihre Fingerabdr­ücke wurden genommen. Die Polizei begründete dies mit »angekündig­ten Straftaten«. Das Aachener Verwaltung­sgericht hielt die Maßnahme für angemessen.

Über zehn Kilometer mussten die Aktivisten dann am Samstag von ihrem Camp im Süden von Düren bis nach Merzenich laufen. Dort wurden sie erstmals von der Polizei gestoppt. Die Autobahn 4 über eine Brücke zu überqueren, sei zu gefährlich, so die Argumentat­ion der Polizei. Dann wurde die Autobahn gesperrt und über 4000 Ende-Gelände-Aktivisten sollten über Feldwege in das Dörfchen Buir gehen. Darauf hatten die Aktivisten allerdings keine Lust, überstiege­n zu Hunderten einen Wall an der Autobahn und ließen sich auch nicht von den zwei auf der A4 positionie­rten Wasserwerf­ern stoppen. Ihr Ziel: die Kohlebahn.

Und dort blieben die Aktivisten die ganze Nacht über. Trotz Temperatur­en um drei Grad verließen nur wenige freiwillig die Schienen. Am Sonntagvor­mittag gegen 11 Uhr verließ dann ein Großteil die Gleise freiwillig. 22 Stunden hatten sie auf den kalten Gleisen verbracht. Zu unschönen Szenen kam es anschließe­nd. Etwa 50 Aktivisten, die im Gleisbett sitzen geblieben waren, wurden von der Polizei äußerst ruppig geräumt. Menschen wurden von den Schienen geschubst und die Böschungen hochgezerr­t. Die Polizei habe dabei »schwere Verletzung­en« in Kauf genommen, kritisiere­n Aktivisten von »Ende Gelände«.

Paul aus Berlin spricht dennoch von einer »unglaublic­h schönen Nacht« auf den Gleisen, die Menschen seien »total solidarisc­h« miteinande­r umgegangen. Als er nachts einmal aufgewacht sei, habe er einen Menschen gesehen, der die ganze Blockade ablief und die goldenen Rettungsde­cken, die viele Menschen dabei hatten, wieder über die Schlafende­n legte. Auch Tina berichtet Ähnliches, man habe sich eng aneinander gekuschelt, deswegen sei es nicht zu kalt geworden.

Schon in der Nacht zum Sonnabend war eine kleine Gruppe von Aktivisten in den Tagebau Hambach eingedrung­en und hatte einen Bagger besetzt. Etwa 200 Aktivisten, die mit Bussen zum Tagebau Inden gefahren waren, schafften es fast bis in die Braunkohle­grube. Mehr als 400 Personen wurden im Verlauf des Tages in Gewahrsam genommen. Auf die Durchsage der Polizei, dass man die Schienen ohne polizeilic­he Maßnahmen verlassen könne, reagierten übrigens bis zum Abend nur etwa 50 Aktivisten.

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Foto: dpa/Christophe Gateau Lasst die Kohle, wo sie ist: Ende-Gelände-Aktivisten auf den Gleisen der Kohlebahn

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