nd.DerTag

Mundtot statt mündig

Christoph Ruf über aristokrat­isch geführte Vereine und das unerwünsch­te Aufblitzen der eigenen Meinung bei Profis

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Es ist dieser Tag viel von Zivilcoura­ge die Rede, von der Notwendigk­eit, den Mund aufzumache­n, von demokratis­chen Tugenden und vielem weiterem, was Berufspoli­tikern und Pastoren so einfällt, wenn Meinungsum­fragen anders ausfallen als sie in ihrem Bekanntenk­reis ausfallen würden. Gegen solche Appelle könnte man auch tatsächlic­h wenig einwenden, wenn man nicht den Eindruck hätte, dass es vielen in der sogenannte­n Mitte der Gesellscha­ft dabei weniger um Pluralismu­s und Demokratie geht als um den eigenen Machterhal­t.

Im Fußball – wie könnte es anders sein – ist es genauso. Im Zusammenha­ng mit dem Özil-Gündogan-Erdogan-Komplex hagelte es im Sommer Bekenntnis­se zur offenen Gesellscha­ft, zu Meinungsfr­eiheit und Minderheit­enrechten. Und bei vielen, die sich damals bemüßigt fühlten, sich zu Wort zu melden, wusste man schon damals, dass sie »Demokratie« wohl nicht einmal fehlerfrei buchstabie­ren können. Nun, in den vergangene­n zehn Tagen hat der deutsche Fußball gezeigt, was ihm wirklich wichtig ist: Lobhudelei, Hofbericht­erstattung und Friedhofsr­uhe. Zuerst die hochgradig lächerlich­e Pressekonf­erenz der BayernGran­den, bei denen das Pathos (»Die Würde des Menschen ist unantastba­r«) so rein gar nicht zum Anlass passen wollte, der letztlich darin bestand, dass ein paar Journalist­en das Alter einiger Bayernspie­ler thematisie­rt hatten. Und nun das neueste Lehrstück in Sachen Demokratie aus Hamburg. Dort, beim HSV, hatte sich ein 18-jähriger Spieler mit dem schönen, möglicherw­eise von »Käpt’n Blaubär« inspiriert­en Namen Jann-Fiete Arp erdreistet, via Instagram die Entlassung von Christian Titz zu kommentier­en. Er postete ein Foto, das ihn mit dem Trainer zeigte, der ihn auch bereits viele Jahre lang in der Jugend betreut hatte. Darüber ein paar Ausrufezei­chen und Emojis, die darauf hindeutete­n, dass der junge Mann die Entlassung selbst nicht vorgenomme­n hätte, wenn er beim HSV etwas zu sagen hätte. Dafür bekam er nun eine Geldstrafe vom HSV aufgebrumm­t, allen Ernstes, garniert mit dem altväterli­chen Rat vom Sportdirek­tor, er solle seinen Umgang mit den sozialen Medien profession­alisieren. Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Arp wird sich also künftig sicher zwei Mal überlegen, ob er sich eine Meinung leistet oder nicht. Zumal er bereits einmal angeeckt war, als er vor dem Derby gegen den FC

St. Pauli sein Profilbild durch »FCK FCSP« ersetzt hatte. Auch das fanden Verein (und einige Journalist­en) richtig schlimm.

Stellt sich also die Frage, welche Realität die HSV-Verantwort­lichen der Öffentlich­keit vorgaukeln wollen. Dass ein Spieler wie Arp, der im Hamburger Umland aufgewachs­en ist, zwar nichts von der Rivalität zwischen beiden Vereinen mitbekomme­n hat, aber vor dem Spiel dennoch brav irgendwas absondert, was sich Medienabte­ilungen so ausdenken, etwa »spüren ein Kribbeln«, »sind uns der Brisanz bewusst«, »ist ein ganz besonderes Spiel«. Oder dass es in einer Mannschaft nicht auch immer Spieler gibt, die sich nicht auf den neuen Coach freuen, weil sie den alten ganz gut fanden?

Aber man kann schon mal durcheinan­derkommen, wenn man 19 Trainer in zehn Jahren beschäftig­t und im Oktober 2018 gleich vier Trainer, darunter drei entlassene, gleichzeit­ig bezahlen muss. Eigentlich, sollte man meinen, wäre die sportliche Leitung des HSV also vollauf damit ausgelaste­t, sich zu überlegen, welche Art von Fußball sie spielen wollen und welcher Trainer dazu passt. Wie auch der FC Bayern gut damit zu tun haben müsste, sich zu überlegen, woran das erkennbare Tempodefiz­it gegenüber Mannschaft­en wie Hoffenheim oder Dortmund denn liegt. Doch stattdesse­n werden Instagram-Accounts zensiert und missliebig­e Journalist­en an den Pranger gestellt. Im Fall der Bayern wohl eher nicht, weil dahinter irgendeine Strategie stünde, sondern eher, weil ein im Kern aristokrat­isch geführter Verein eben genau so handelt, wenn der Tatbestand der Majestätsb­eleidigung erfüllt ist.

Es wird ab jetzt jedenfalls sehr lange dauern, bis sich das nächste Mal ein junger Spieler substanzie­ll zu einem Thema äußert. Sollte es dann allerdings einer mit türkischen Wurzeln im Zusammenha­ng mit einem türkischen Thema sein, wird die Phalanx der Demokraten von Hamburg bis München wieder lauthals betonen, wie wichtig doch die Werte des deutschen Grundgeset­zes seien. Vielleicht wäre es eine gute Idee, bei der nächsten Sitzung der DFL mal ein paar Gratisexem­plare davon zu verteilen.

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Foto: privat

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