Auf den Spuren jüdischer Nachbarn im Kiez
Seit 25 Jahren gibt es die »Orte des Erinnerns« im Schöneberger Bayerischen Viertel
Die »Orte des Erinnerns« rufen Passanten anhand von Verordnungen und Gesetzen das Schicksal der jüdischen Mitbürger in der Zeit des Nationalsozialismus ins Bewusstsein. Bei einem Spaziergang durch das Bayerische Viertel in Schöneberg fallen sie sofort ins Auge: Die 80 Schilder im Format 50 mal 70 Zentimeter, die in einer Höhe von drei Metern über den Gehwegen an den Laternenmasten in den Straßenzügen rund um den Bayerischen Platz angebracht sind.
Seit nunmehr 25 Jahren erinnert die von den beiden Künstlern Renata Stih und Frieder Schnock konzipierte Denkmalinstallation schon an das Schicksal der ehemaligen jüdischen Anwohner im Bezirk. Diesen Jahrestag hatte der »Freundeskreis des dezentralen Denkmals Ort des Erinnerns im Bayerischen Viertel« am Sonntag zum Anlass für einen Jubiläumsspaziergang genommen.
»Die mit dem Denkmal beabsichtigte mahnende Erinnerung ist auch 80 Jahre nach den Novemberpogromen von 1938 immer noch und schon wieder notwendig«, sagte der Vorsitzende des Freundeskreises, Joachim Meencke. Insbesondere in einer Zeit, in der Antisemitismus und Diskriminierung in der Gesellschaft wieder breiten Anklag finden, sei die Botschaft des Denkmals wichtiger denn je.
»Auch heute gilt es wieder, gegen Hass und Hetze einzustehen«, so Meencke. Der Spaziergang, an dem sich rund 70 Menschen beteiligten, führte vom Rathaus Schöneberg zum Bayerischen Platz. Rabbiner Andreas Nachama stellte dort mit den glei- chen Worten und dem gleichen Gesang die Feier nach, mit der sein Vater, Estrongo Nachama, das dezentrale Denkmal 1993 der Öffentlichkeit übergeben hatte.
Die »Orte des Erinnerns« sind ein ganz besonderes Denkmal. Auf der einen Seite der Schilder sind Abbildungen zu sehen, zum Beispiel eine Katze. Auf der Rückseite heißt es dort: »Juden dürfen keine Haustiere mehr halten. 15.5.1942.« Den farbigen Piktogrammen, Gegenstände des alltäglichen Lebens, werden Auszüge aus Verordnungen der Jahre 1933 bis 1945 gegenüber gestellt. Diese zeigen, wie die Nationalsozialisten den Berliner Juden schrittweise jegliche Freiheit im Alltag und zuletzt das Recht auf Leben nahmen.
Um den Bezug zur Gegenwart herzustellen, orientieren sich die Tafeln nicht an bestimmten Orten der Erinnerung, sondern am heutigen Stadtbild. Damit soll dem aufmerksamen Passanten ins Gedächtnis gerufen werden, dass der nationalsozialistische Terror nicht erst in den Konzentrationslagern und Deportationsbahnhöfen, sondern im Alltag, in der Normalität, seinen Anfang genommen hatte
Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) sagte, dass viele Passanten bestürzt reagieren, wenn sie die Gesetze und Verordnungen gegen Juden unkommentiert auf den Schildern lesen. »Das Denkmal tut weh«, so Schöttler, »und gerade deswegen ist es so wichtig und ein zentraler Bestandteil der Erinnerungskultur in Schöneberg«. Kultursenator Klaus Lederer (LINKE) sagte in einem Grußwort, dass die Orte des Erinnerns Warnung und Aufforderung zugleich seien. »Wir müssen heute wieder die Klappe gegen Diskriminierung aufmachen.«