Rote Sonne über Eimsbüttel
Links und unabhängig: Seit 40 Jahren hält der Buchladen Osterstraße in Hamburg an seinen Idealen fest
Ein linker Buchladen ist inzwischen auch zum Literaturversorger für den ganzen Stadtteil geworden. Das ist nötig für die Existenz. Ein enger, fußkalter Kellerraum im Stadtteil Eimsbüttel im Jahr 1978: Subversive, Emanzen, Ökos, Friedensbewegte und Anti-AKW-Aktivisten, bei den Männern dominieren Bartträger. Sie alle feilschen um die morgendliche Öffnungszeit – und einigen sich schließlich auf 9 Uhr. Ist zwar früh, müsste aber zu schaffen sein. Zwei Jahre lang hatten die Gründermütter und -väter benötigt, um Kleinkredite zu besorgen und ein Konzept für eine linke, undogmatische Buchhandlung zu entwickeln, die auch als Kommunikationstreff im Viertel dienen sollte. Dann endlich konnte die latz- und jeansbehoste Kundschaft zwischen den damals schwer angesagten Lundia-Regalen aus Fichte in Werken blättern, die anderswo schwer zu haben waren – Bücher aus Verlagen, die Kollektiv, Amboß, Rote Sonne, Schwarze Presse oder Rotes Syndikat hießen.
Die Gründergeneration genießt mittlerweile den wohlverdienten Ruhestand, die aktuelle ist nicht weit davon entfernt. Seit 1996 ist Torsten Meinicke, der Dienstälteste, dabei. Ein knorriger Niedersachse aus dem Harz, »mit ersten Leseerfahrungen mit Hanni-und-Nanni-Büchern, offensichtlich ohne bleibende Schäden«, wie er launig erzählt. Den heute 58-Jährigen zog es nach einem abgebrochenen Geschichtsstudium in Göttingen in die Hansestadt, wo er nach einer »Jobber-Existenz als Hafenarbeiter« zum Buchhändler umschulte.
Meinicke ist im Laden der Experte für Literatur zum Nationalsozialismus, »relevanter Kriminalliteratur« und Fußballbücher. »Sportlich formuliert bin ich der Manuel Neuer der deutschen Buchhandlungsszene«, scherzt der Hobbytorwart, der sich beim Freizeitkick nur noch selten auf den Rasen wirft. Den Schwerpunkt im Sortiment bildet neben den Sparten Migration, Rassismus und Neue Rechte traditionell das Literaturangebot zur NS-Geschichte. Das ist auch der intensiven Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, dem Auschwitz-Komitee und dem Hamburger Institut für Sozialforschung geschuldet. Von der Kooperation mit der 1984 vom Mäzen Jan Philipp Reemtsma gegründeten Einrichtung hat Meinicke nicht nur be- ruflich profitiert: »Während eines von uns durchgeführten Büchertischs bei der Wehrmachtsausstellung lernte ich 2004 meine heutige Frau kennen – so romantisch kann Buchhandel sein.«
In Wirklichkeit ist der Buchhandel heute ein hartes Geschäft. Besonders dann, wenn man sich, wie der offiziell als GmbH firmierende »Betrieb in Selbstverwaltung«, bei der Sortimentsgestaltung den Luxus der totalen Voreingenommenheit, ein Angebot abseits des Mainstreams gönnt und den Fokus auf die Literatur kleiner und unabhängiger Verlage legt. »Die sind unsere natürlichen Verbündeten«, sagt Mitinhaberin Gerlinde Schneider, die fast so lange im Buchladen Osterstraße ist wie ihr Kollege und schon in den 1980er-Jahren als Buchhändlerin im Göttinger »Buchladen Rote Straße« gearbeitet hat. Das Trio komplettiert Doris Claus, eine studierte Literaturwissenschaftlerin, die vorher bei der Hamburger Heinrich-Heine-Buchhandlung tätig war.
Außer den großen Ketten machten »fiese Onlinehändler«, so Meinicke, kleinen Buchläden das Leben schwer. »Neulich«, erzählt er leicht angesäuert, »kam eine junge Nachbarin in den Laden, um ein bei Amazon bestelltes und von einem Boten geliefertes Buch abzuholen.« Er habe ihr entgegnet: »Übrigens, wir verkaufen auch Bücher.« Ist schon ärgerlich, zumal es den Buchladen schon gegeben hat, »als Amazon-Gründer Jeff Bezos noch in die Windeln geschissen oder zu- mindest ganz kleine Päckchen gepackt hat«, wie in der vom Buchladen Osterstraße zum Jubiläum herausgegebenen Broschüre nachzulesen ist.
Regelmäßig veranstaltet die mehrfach preisgekrönte kleine Buchhandlung Lesungen. Außer dem unvergessenen Harry Rowohlt trugen Esther Bejarano, Andrej Holm, Tilman Jens, Klaus Wagenbach, Feridun Zaimoglu und andere Prominente des Literaturbetriebs bei einem Glas Wein aus ihren Werken vor. Ideologische Scharmützel werden nur noch selten ausgetragen. Zuletzt hat Meinicke die Zeitschrift Bahamas nach der Lektüre eines seiner Meinung nach »unsäglichen Artikels« über den FC Bayern als angeblichem Hort des Widerstands gegen den Nationalsozialismus abbestellt. Antideutsche beschwerten sich über die Verbannung ihres Leib- und Magenblatts aus dem Zeitschriftenständer. Doch das Buchladenkollektiv blieb hart: »Auf dieses Klientel können wir gerne verzichten.«
Obwohl die Betreiber sich bis heute politisch links verorten, ist der Buchladen Osterstraße zum Literaturversorger für den ganzen Stadtteil geworden. »Ohne die Bestellung von juristischer und ärztlicher Fachliteratur könnten wir nicht existieren«, sagt Meinicke, der die Bücher zur Weihnachtszeit selbstverständlich in schönes Papier einpackt. Etwas hat sich in vier Jahrzehnten nicht geändert: die Öffnungszeit. Punkt 9 Uhr wird die Ladentür geöffnet.