»Ich habe Nein gesagt!«
Der ZDF-Film »Aufbruch in die Freiheit« über Abtreibung und Emanzipation
Wenn Frauen am Fernseher Erika heißen, sind sie entweder Ahnen argloser Arztfamilien oder Randfiguren opulenter Zeitgeschichtsmehrteiler, aber eher selten Charaktere einer Geschichte vom feministischen Aufbruch in die Freiheit der frühen Siebziger. Darin heißen sie, das haben wir voriges Jahr vom ZDF gelernt, Zarah und tragen stets den heißesten Fummel ihrer Zeit. Weil Erika züchtigen Faltenrock trägt, ist es demnach kein Wunder, dass ihr Mann Kurt leicht überrascht ist vom emanzipierten Gestus seiner Gattin. »Ich habe Nein gesagt!«, brüllt er über den fein gedeckten Kaffeetisch, als sie partout die Erstgeborene aufs Gymnasium statt hinter den Tresen der elterlichen Metzgerei schicken will. »Ein für allemal!«
So war das damals für die Erikas der jungen Bundesrepublik – besonders auf dem Dorf, wo weiblicher Widerspruch bis tief in unsere Gegenwart mit männlicher Autorität beantwortet wurde. Aber es war ja auch nicht der erste Anflug von Renitenz, den Erika beim »Aufbruch in die Freiheit« zeigt, wie ihn das ZDF am Montagabend inszeniert.
Kurz zuvor nämlich hat die dreifach belastete Hausfrau, Mutter, Mitarbeiterin heimlich das vierte Kind abgetrieben und passte damit gut zum Aufhänger dieses bemerkenswerten Dramas: Kurz darauf nämlich wird sie zum Teil einer Titelgeschichte. Auf dem Cover des seinerzeit meinungsführenden Magazins »Stern« waren 374 Frauen zu sehen, die dem Patriarchat mit ihrem Bekenntnis zum illegalen Schwangerschaftsabbruch buchstäblich die Stirn boten.
Es war der nächste Dammbruch im Kampf gegen ein (Un-)Rechtssystem, das Frauen ohne Zustimmung des Mannes weder arbeiten noch umziehen ließ. Auch Erika drohen daher fünf Jahre Haft für den illegalen Eingriff, bei dem sie fast das Leben verliert und 60 Filmminuten später auf dem Titel des »Stern« landet. Denn nach dem Drehbuch dreier Autorinnen hat sich Isabel Kleefeld eines Tricks bedient, um Erikas Aufbruch zu inszenieren: Sie soll eine der 28 Frauen auf Seite eins sein, die vom Banner mit der Schlagzeile »Wir haben abgetrieben!« verdeckt wurden.
Das indes ist nur der Aufhänger für eine Erzählung, die selten ist am Bildschirm. Wird dort der Geschlechterkampf früherer Epochen nachspielt, sind die Protagonistinnen ihrer Zeit um Lichtjahre voraus wie all die Wanderhuren des Wohlfühlfernsehens oder verlieren sich in karnevalesker Komik wie das Kostümfest »Zarah«, deren Beine dem ZDF ersichtlich wichtiger waren als ihr Ringen um Respekt einer Redaktion, die dem »Stern« nicht zufällig ähnlich sah. Doch während Claudia Eisinger das feministische It-Girl der sexuellen Revolution überfrachtet, verleiht Anna Schudt ihrem Landei Erika einen so verdrucksten Trotz, dass die Enge ringsum körperlich spürbar wird.
Vor allem für sie selbst. Denn irgendwann bleibt ihr nur noch die Flucht zur Schwester nach Köln, die dort den Gegenentwurf zu Erikas dörflichem Spießeridyll führt. Das vorwiegend weibliche Filmteam stattet Charlottes Welt zwar etwas aufdringlich mit sexueller Freizügigkeit, WG ohne WC-Tür, polyesterbuntem Dresscode aus; und die Demos gegen Paragraf 218 entstammen dann doch wieder der Klamottenkiste oberflächenverliebten Historytainments. Trotzdem zeigt der Kontrast,wie effektiv die Konventionen von damals ihre Objekte im Griff hatten. Und zwar auch jene, die vermeintlich davon profitierten.
Das größte Verdienst dieses TVDramas ist, wie dezent Christian Erdmann den verlassenen Metzger Kurt spielt. Um das Leid weiblicher Figuren im männlichen Dominanzgriff zu schildern, neigt Fiktion dazu, ihre Antagonisten als Tyrannen zu zeichnen. Kurt hingegen ist ein Häftling antiquierter Traditionen und verdeutlicht dies mit einem hilflosen Furor, der Empathie zwar zulässt, aber nie die Opfer-Frage umkehrt. Der »Aufbruch in die Freiheit« ist deshalb auch sein eigener. Er weiß es nur noch nicht. Angesichts der Tatsache, dass die reaktionäre Populisten die Uhr zurückdrehen wollen, ist dieser Film nicht nur sehenswert, sondern wichtig.
Erika drohen fünf Jahre Haft für den illegalen Eingriff, bei dem sie fast das Leben verliert.
29. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr