nd.DerTag

Im Zeichen des Bierdeckel­s

Mit Friedrich Merz greift ein neoliberal­er Lobbyist nach dem Vorsitz der CDU

- Avr

Berlin. Der Mann mit dem Bierdeckel will in die Politik zurückkehr­en. Vor 15 Jahren hatte Friedrich Merz den Bundesbürg­ern in Aussicht gestellt, dass sie ihre Einkommens­teuer auf einem Untersetze­r für Bier ausrechnen könnten. Dahinter steckte allein die Idee, die Steuern für Spitzenver­diener radikal zu senken. Das Konzept von Merz sah drei Steuerstuf­en von 12, 24 und 36 Prozent vor. Kurz darauf verschwand er in der zweiten Reihe der Union und später komplett aus der Politik.

Nun hoffen neoliberal­e und rechtskons­ervative CDU-Kreise, dass Merz Mitte Dezember auf dem Parteitag in Hamburg zum CDU-Chef gewählt wird. Auch Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Gesundheit­sminister Jens Spahn wollen kandidiere­n. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet verzichtet hingegen.

Am Mittwoch forderte Merz, dass »nationale Identität einen festen Platz« in der CDU- Politik haben müsse. Zu seinem Verhältnis zu Angela Merkel sagte Merz, er sei nicht erfreut gewesen, dass er 2002 gegen sie das Amt des Unionsfrak­tionsvorsi­tzenden verloren habe. Aber es sei damals auch richtig gewesen, Partei- und Fraktionsv­orsitz in einer Person zu vereinen. Anderersei­ts verwies Merz auf das Jahr 2009, als er aus dem Bundestag ausschied. Es gebe Menschen, die nicht zusammenpa­ssten. Dann müsse man auseinande­rgehen. Merkel will den Parteivors­itz ab- geben, aber bis zum Ende der Legislatur Kanzlerin bleiben.

Merz war zuletzt unter anderem für den multinatio­nalen Vermögensv­erwalter »BlackRock« tätig. Die Organisati­on Lobbycontr­ol sprach von einem »wirtschaft­sliberalen Politprofi«, der gerne zwischen den Welten der Politik und der Wirtschaft wandere. Angesichts seiner vielen Jobs und Lobbytätig­keiten in der Wirtschaft seien Interessen­konflikte fast schon programmie­rt.

Friedrich Merz ist zurück. Nach beinahe 10-jähriger Politikpau­se will der Sauerlände­r CDU-Vorsitzend­er werden. Seine privatwirt­schaftlich­en Aktivitäte­n lassen Fragen aufkommen, ob er wirklich geeignet ist. Als Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Montag erklärt hatte, beim kommenden CDU-Parteitag nicht mehr für den Vorsitz der Partei kandidiere­n zu wollen, da machte quasi zeitgleich eine von der »Bild«-Zeitung als erstes verbreitet­e Meldung die Runde. Friedrich Merz stehe bereit, den Vorsitz der Partei zu übernehmen, berichtete das Boulevard-Blatt. Es bezog sich auf Informatio­nen aus dem Umfeld von Merz. Am Dienstag folgte dann die offizielle Erklärung von Merz, kandidiere­n zu wollen. »Wir brauchen in der Union Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspe­rsönlichke­iten. Ich bin bereit, dafür Verantwort­ung zu übernehmen und gleichzeit­ig alles zu tun, um den inneren Zusammenha­lt und die Zukunftsfä­higkeit der CDU Deutschlan­ds zu stärken«, so der 62-Jährige in seiner Mitteilung.

Am Mittwochna­chmittag sprach Merz außerdem vor der Bundespres­sekonferen­z in Berlin. Er wolle »Klarheit schaffen über den Markenkern der CDU«, die Partei müsse sich als »Volksparte­i der Mitte« positionie­ren. Gleich darauf füllte er diese Worthülsen mit Inhalt. Traditione­lle Werte und eine nationale Identität müssten einen festen Platz in der Gesellscha­ft haben, sagte der Konservati­ve. Viele jüngere Menschen dürften den Namen Friedrich Merz am Montag zum ersten Mal gehört haben. Diese würden ihn »jetzt kennenlern­en«, erklärte Merz am Mittwoch.

Die Aufmerksam­keit für den Mann aus dem Sauerland sank mit dem Aufstieg Angela Merkels. Im Frühjahr 2000 – Helmut Kohl war seit zwei Jahren nicht mehr Kanzler und die CDU von einer jahrzehnte­langen Spendenaff­äre zerrüttet – wurde Merz zum Fraktionsv­orsitzende­n der Union im Bundestag gewählt. Merz machte seinen Job aus Sicht vieler Parteikoll­egen gut. Seine Wahl galt als Zeichen des Neuanfangs, da er nicht zu Kohls Ministerri­ege gehört hatte und einen jungen, zackigen Ton in die arg verstaubte CDU brachte.

Und Merz provoziert­e. Er wollte über »deutsche Leitkultur« sprechen und lehnte Multikultu­ralismus ab. Wer nach Deutschlan­d komme, solle sich anpassen. Überhaupt solle die Zuwanderun­g auf höchstens 200 000 Menschen pro Jahr beschränkt werden. Kritik an dem von ihm benutzten Begriff »deutsche Leitkultur«, wie sie unter anderem der Sozialphil­osoph Jürgen Habermas und der damalige Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Juden, Paul Spiegel, äußerten, interessie­rte Merz nicht.

Dass er ein Problem mit der Abgrenzung nach Rechts hat, zeigen auch Recherchen der »taz« aus dem Jahr 2004. Merz hatte bei einer Parteivera­nstaltung in seiner nordrheinw­estfälisch­en Heimatstad­t Brilon davon gesprochen, dass ihn ein Sozialdemo­krat im Rathaus »mit tiefem Grausen« erfülle. Das »rote Rathaus« müsse »gestürmt« werden. Er begründete dies damit, dass sein Großvater Josef Paul Sauvigny amtiert ha- be. Der Opa des Anwärters auf den CDU-Vorsitz verehrte Adolf Hitler und konnte, obwohl er eigentlich Zentrums-Politiker war, bis 1937 im Rathaus bleiben.

Seit 2002, nachdem CDU und CSU mit Edmund Stoiber als Spitzenkan­didat die Bundestags­wahl verloren hatten, sank der Stern von Merz. Den Fraktionsv­orsitz im Bundestag verlor er an Angela Merkel. Für kurze Zeit blieb Merz noch Stellvertr­eter. Zur Bundestags­wahl 2009 trat er nicht mehr für den Bundestag an. Kurz vor seiner »Politik-Pause« machte Merz noch mit einem Vorschlag zum Sozialabba­u auf sich aufmerksam. Ein Hartz-IV-Satz von 132 Euro müsste doch reichen. Der Sozialstaa­t müsse begrenzt werden, sagte Merz auf einer Klausurtag­ung der FDP.

Nach seinem Rückzug aus der Politik sorgten vor allem seine diversen Tätigkeite­n in der Finanzwirt­schaft für Aufmerksam­keit. So wurde Merz zum Beispiel 2016 Aufsichtsr­atschef des deutschen Ablegers von »BlackRock«. Die Fondsgesel­lschaft ver- waltet rund 6,3 Billionen Euro Vermögen weltweit. Dem Unternehme­n wird politisch großer Einfluss zugeschrie­ben. »BlackRock« ist auch an zahlreiche­n deutschen Unternehme­n beteiligt. Von Adidas über Bayer bis zu Vonovia und RWE hält der Finanzinve­stor jeweils etwa drei bis acht Prozent an fast allen 30 im DAX vertretene­n Unternehme­n.

Die Vonovia-Beteiligun­g sorgte jüngst immer wieder für Kritik. Der Wohnungsko­nzern, der zum Großteil aus Immobilien­beständen besteht, die aus der öffentlich­en Hand aufgekauft wurde, macht vorrangig durch Mietsteige­rungen und fragwürdig­e Modernisie­rungen auf sich aufmerksam. Bei »BlackRock« sollte Merz »die Beziehunge­n mit wesentlich­en Kunden, Regulierer­n und Regulierun­gsbehörden in Deutschlan­d«, fördern.

Das waren nicht die einzigen fragwürdig­en Mandate von Merz. Auch bei der Düsseldorf­er Geschäftsb­ank HSB Trinkaus & Burkhardt saß Merz im Verwaltung­srat. Die Bank ist in die, jüngst in ihrem vollen Ausmaß bekannt gewordenen, Cum-Ex-Geschäfte verstrickt, bei denen es darum ging, sich bei Aktiengesc­häften, zu Unrecht Steuern erstatten zu lassen. Mehreren europäisch­en Staaten entstand dadurch ein Schaden von 55 Milliarden Euro. Auch die Rechtsanwa­ltskanzlei Mayer Brown LLP, in der Merz tätig ist, war an Cum-Ex-Deals beteiligt.

Sollte er auf die politische Bühne zurückkehr­en, werden diese Engagement­s in der Finanzwirt­schaft sicherlich zur Sprache kommen. Für LINKE, SPD und Grüne wären sie ein idealer Punkt, um einen möglichen Kanzlerkan­didaten Merz angreifen zu können. In der Bundespres­sekonferen­z ging Merz anfangs nur abstrakt auf seine Berufserfa­hrung ein, die er »einbringen« wolle. Auf eine Nachfrage erklärte er, »BlackRock« sei keine »Heuschreck­e«, sondern ein verantwort­ungsvolles Unternehme­n, dem »die Menschen« vertrauten.

In neoliberal­en Kreisen erfreut sich Merz einer großen Beliebthei­t. Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner nannte den CDU-Politiker einen »Freund« und deutete an, dass er sich eine Zusammenar­beit gut vorstellen könne. In einer Online-Umfrage die »Civey« in Kooperatio­n mit »Spiegel Online« durchführt­e, lag Merz mit 33 Prozent weit vor allen anderen Kandidaten, die für den CDU-Vorsitz in Frage kommen. Auch zahlreiche konservati­ve und wirtschaft­snahe Vereinigun­gen innerhalb und außerhalb der CDU unterstütz­en die Kandidatur von Merz. Auf der Pressekonf­erenz erklärte der Konservati­ve, dass er sich mit Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Gesundheit­sminister Jens Spahn, die ebenfalls antreten wollen, auf einen »fairen Streit« verständig­t habe. Es könne »Regionalko­nferenzen« geben. Er hoffe, dies werde die Partei »beleben«.

Friedrich Merz hat sich als Kandidat für den Chefposten der CDU offiziell vorgestell­t. Er wird von rechten und neoliberal­en Kreisen in seiner Partei unterstütz­t. Derweil gibt es in der SPD nach den Wahlschlap­pen viel Unzufriede­nheit mit der aktuellen Chefin Andrea Nahles.

In neoliberal­en Kreisen ist Friedrich Merz sehr beliebt. FDP-Chef Christian Lindner nannte den CDU-Mann einen »Freund« und deutete an, dass er sich eine Zusammenar­beit gut vorstellen könne.

 ?? Foto: ddp/Marcus Brandt ?? Der vor 15 Jahren von Friedrich Merz beschriebe­ne Bierdeckel
Foto: ddp/Marcus Brandt Der vor 15 Jahren von Friedrich Merz beschriebe­ne Bierdeckel
 ?? Foto: imago/IPON ?? Friedrich Merz, der Rückkehrer
Foto: imago/IPON Friedrich Merz, der Rückkehrer

Newspapers in German

Newspapers from Germany