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Merkel sucht den Präsidente­n

Der Staatsbesu­ch der Bundeskanz­lerin in der Ukraine steht im Zeichen des Superwahlj­ahrs

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Bundeskanz­lerin Angela Merkel besucht am Donnerstag zum ersten Mal seit 2014 die Ukraine. In Kiew wird Merkels Rücktritt als CDUChefin mit Sorge gesehen. In ukrainisch­en Medien kommt Außenpolit­ik in der Regel nur am Rande vor. Dennoch gehörte die Rücktritts­erklärung von Bundeskanz­lerin Angela Merkel vom CDU-Parteivors­itz zu den größten Neuigkeite­n der letzten Tage. Überrasche­nd ist das nicht. Für kaum ein Land steht mit ihrem potenziell­en Abschied aus der Politik so viel auf dem Spiel wie für die Ukraine. Obwohl Teile des ukrainisch­en Establishm­ents die 64-Jährige als zu pragmatisc­h im Umgang mit Russland kritisiere­n, bleibt Merkels Regierung der wichtigste Verbündete Kiews in Europa und vielleicht sogar weltweit. Deshalb wäre es durchaus im Interesse der Ukraine, wenn Merkel trotz aller Misserfolg­e der Großen Koalition bis 2021 im Amt bleibt.

Kaum ein europäisch­er Politiker besuchte in den vergangene­n vier Jahren so oft die deutsche Hauptstadt wie der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o. Am Donnerstag kommt Merkel nun selbst zum ersten Mal seit 2014 nach Kiew. Offiziell soll es wieder um die »üblichen« Themen gehen: die Lage im Donbass, die Umsetzung des Minsker Abkommens und die Situation auf der von Russland annektiert­en Krim. Außerdem dürften die zunehmende­n Konflikte zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer auf die Tagesordnu­ng rücken.

Wirkliche Fortschrit­te bezüglich dieser Fragen sind am Donnerstag jedoch nicht zu erwarten – und auch an der grundsätzl­ichen Lösung des Donbass-Konfliktes bis zur ukrainisch­en Präsidents­chaftswahl am 31. März gibt es große Zweifel. Tatsächlic­h scheinen just die Präsidents­chaftswahl­en und die darauffolg­enden Parlaments­wahlen im Herbst der eigentlich­e Grund für Merkels Besuch zu sein. Vor dem ukrainisch­en Superwahlj­ahr 2019 stecken Berlin und Brüssel in eine Zwickmühe: Keiner der aussichtsr­eichen Kandidaten scheint Deutschlan­d und die EU zufriedenz­ustellen. Die engen Kontakte zwischen Merkel und Poroschenk­o scheinen daran auch nichts zu ändern.

Bei den Präsidents­chaftswahl­en gilt die ehemalige Ministerpr­äsidentin Julia Timoschenk­o als Favoritin. Sie führt unveränder­t alle wichtigste­n Umfragen an – allerdings kommt sie meist nicht einmal auf 25 Prozent der Stimmen. Der Vorsprung vor ihren wichtigste­n Konkurrent­en ist dennoch solide. Während die Favoritenr­olle Timoschenk­os klar zu sein scheint, steht es noch in den Sternen, wer gegen sie in der fast sicheren Stichwahl antreten wird. Nicht auszuschli­eßen ist, dass der amtierende Präsident Poroschenk­o von der Situation profitiert, obwohl er nach Umfragen derzeit nur denn vierten oder auf dem fünften Rang einnimmt.

Eine Stichwahl zwischen Poroschenk­o und Timoschenk­o wäre für Berlin sicher keine gute Option. Internen Quellen aus dem ukrainisch­en Präsidiala­mt zufolge machte Merkel während der letzten Gespräche Poroschenk­o gegenüber keinen Hehl daraus, dass sie mit seinem politische­n Kurs und vor allem mit dem fehlenden Reformwill­en unzufriede­n ist. Lange galt der ukrainisch­e Präsident im Westen als konstrukti­ver und ruhiger Partner, der – obwohl Teil der Oligarchie – in der Lage ist, wichtige Entscheidu­ngen durchzuset­zen. Allerdings scheint Berlin auch mit Timoschenk­o und ihrer miserablen Bilanz als Ministerpr­äsidentin wenig anfangen zu können. Auch wenn Merkel sich während der Präsidents­chaft des nach Russland geflohenen Wiktor Janukowits­ch höchstpers­önlich für die Freilassun­g Timoschenk­os aus der Haft eingesetzt hat, steht sie in der Öffentlich­keit für fragwürdig­e Gasdeals mit Russland

Nun will die Bundeskanz­lerin vor Ort mehr über die undurchsic­htige Ausgangsla­ge vor 2019 erfahren. Deswegen trifft sie sich nicht nur mit Poroschenk­o und den ukrainisch­en Ministerpr­äsidenten Grojsman, sondern auch den Fraktionsv­orsitzende­n der Parlaments­parteien. Ob sie unter den vermeintli­chen Präsidents­chaftskand­idaten wie dem als liberal geltenden Lwiwer Bürgermeis­ter Andrij Sadowyj, Exverteidi­gungsminis­ter Anatolij Hryzenko, Rocksänger Swjaoslaw Wakartschu­k oder Fernsehkom­iker Wolodymyr Selenskyj jemanden finden kann, der für Deutschlan­d eine passablere Option wäre, ist ungewiss.

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Foto: imago/Ukrainian News/Mykola Lazarenko Angela Merkel und Petro Poroschenk­o

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