nd.DerTag

Gemeinsam gegen die Konzerne

Die neue Musterfest­stellungsk­lage soll Verbrauche­r wie Justiz entlasten

- Von Hermannus Pfeiffer

Besitzer von Mogel-Autos bekommen nun eine Möglichkei­t, Schadenser­satz zu erhalten. Doch alle Probleme wird auch die Massenklag­e nicht lösen, obwohl sie sich von ihrem US-Vorbild unterschei­det. Christian Rumpke gibt nicht klein bei. »Volkswagen wurde zwar zu Strafen verurteilt«, beklagt der Chef der Verbrauche­rzentrale Brandenbur­g, »aber die Verbrauche­r sind in Deutschlan­d bislang auf ihrem Schaden sitzen geblieben.« Das soll sich ändern. Ab dem 1. November gibt es die neue Musterfest­stellungsk­lage, und der erste Prozess wird gegen den VW-Konzern geführt werden. Der Dachverban­d der Verbrauche­rzentralen (vzbv) hat angekündig­t, zusammen mit dem Automobilc­lub ADAC eine Massenklag­e gegen VW einzureich­en. Ziel ist die Feststellu­ng, dass der weltgrößte Autoherste­ller Käufer vorsätzlic­h sittenwidr­ig geschädigt hat und daher Schadeners­atz schuldet.

Bislang fehlte im deutschen Zivilrecht die Möglichkei­t, ähnlich gelagerte Fälle zu bündeln, was Gerichte bis an die Grenzen ihrer Belastbark­eit bringt. Abhilfe schaffen soll nun die sogenannte Musterfest­stellungsk­lage. »Ein Meilenstei­n« sei erreicht, jubelte im Sommer der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and, als das Gesetz vom Bundestag verabschie­det worden war. Trotzdem entspricht es in einigen Punkten nicht den Vorstellun­gen der Verbrauche­rschützer. So müssen sich Betroffene vor Prozessbeg­inn entscheide­n, ob sie an einer Klage teilnehmen möchten. Sie müssen dann mit dem Risiko leben, dass ein Urteil für sie auch negativ ausfallen kann. Auch erlaubt die »zivilproze­ssuale Musterfest­stellungsk­lage« es nur Verbänden, stellvertr­etend für geschädigt­e Kunden Klage gegen ein Unternehme­n einzureich­en. Voraussetz­ung ist, dass der Missstand wenigstens zehn Verbrauche­r betrifft. Das ist bei dem »DieselGate« offenbar der Fall.

Damit der vzbv Klage vor Gericht erheben kann, müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene in einem Klageregis­ter einschreib­en. Dies dürfte der Verband aber schaffen. Eigenen Angaben zufolge sollen sich schon fast 40 000 Verbrauche­r für die Klage interessie­rt. Insgesamt könnten laut Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) allein beim VW-Skandal zwei Millionen Verbrauche­r von der neuen Klagemögli­chkeit profitiere­n

Betroffene können sich noch bis zum ersten Tag des Gerichtsve­rfahrens in das Register eintragen. Das ist deshalb wichtig, weil sie dadurch ihren Anspruch wahren. Nur so können VW-Fahrer verhindern, dass ihre Forderung verjährt. Das gilt beispielsw­eise auch für Handwerksb­etriebe, die sich durch eine manipulier­te Motorsoftw­are in ihren Autos geprellt fühlen.

Werden die Voraussetz­ungen erfüllt, befasst sich ein Oberlandes­gericht mit dem Fall. Dessen Entscheidu­ng kann unter Umständen vor dem Bundesgeri­chtshof oder vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f als höchste Instanzen angefochte­n werden. Die Entscheidu­ng der Richter ist dann aber für alle gleich gelagerten Fälle bindend. Dennoch müssen Autofahrer danach noch einmal selbst aktiv werden: Alle im Klageregis­ter Eingetrage­nen können ihren individuel­len Schaden vor Gericht geltend machen und eine individuel­le Entschädig­ung einklagen. Ob dies in der Praxis so reibungslo­s funktionie­rt, wie der Gesetzgebe­r hofft, bleibt abzuwarten.

Klageberec­htigt sind keineswegs jede Initiative, jeder Interessen­verband oder gar jeder Rechtsanwa­lt, wie etwa in den USA. Damit soll ein Stilbruch im deutschen Recht verhindert werden. Kritiker befürchtet­en nämlich eine vollständi­ge Amerikanis­ierung. In den Vereinigte­n Staaten war die Massenklag­e vor rund 50 Jahren geschaffen worden, um mehr Chancengle­ichheit für Verbrauche­r und Kunden gegenüber großen Konzernen zu schaffen.

Doch was einst gedacht war, um »kleinen Leuten« zu helfen, hat sich längst zu einer florierend­en Klageindus­trie ausgewachs­en. Um eine solche Entwicklun­g in Deutschlan­d zu verhindern, wurde von der Bundesregi­erung die Musterfest­stellungsk­lage auf einen kleinen Kreis beschränkt: Klagebefug­t sind nur Verbrauche­rverbände, die wenigstens 350 Mitglieder oder zehn Mitgliedsv­erbände haben. Sie dürfen eine Klage nicht aus Gewinnstre­ben erheben. Und es dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer Einnahmen von Unternehme­n stammen. Womit beispielsw­eise viele Umweltverb­ände ausgeschlo­ssen bleiben dürften.

In Frage kommen also nur größere Institutio­nen wie der vzbv, der gewerkscha­ftsnahe Automobilc­lub ACE oder die Deutsche Stiftung Patientens­chutz. Axel Köhler-Schnura von der Coordinati­on gegen BAYERGefah­ren (CBG) in Düsseldorf ist dieser Kreis zu klein: »Auch in Europa ist es dringend erforderli­ch, Pharma-Geschädigt­en die Möglichkei­t einzuräume­n, gemeinsam für ihre Rechte zu streiten« – ohne eine große Institutio­n dazwischen schalten zu müssen.

Weitere Gerichtsve­rfahren sind in Vorbereitu­ng. So sollen sich Dutzende Verbrauche­r auf der Internetpl­attform »Deine Klage« für eine Musterfest­stellungsk­lage gegen den Telefonanb­ieter O2 zusammenge­schlossen haben. Und Verbrauche­rzentralen erwägen, gegen negative Zinsen in Riester-Verträgen von Banken und Sparkassen vorzugehen.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte So mancher nigelnagel­neue VW ist ein Fall für die Musterfest­stellungsk­lage.

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