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Tödliche Lobbyarbei­t

Die Pharmaindu­strie versucht sich aus ihrer Verantwort­ung in der Opioid-Krise in den USA herauszuka­ufen

- Von John Dyer

Vergangene­s Jahr starben mehr als 70 000 US-Amerikaner an Drogen. Verursacht wurde diese Krise durch die aggressive Vermarktun­g von synthetisc­hen Opiaten als Schmerzmit­tel. Für Michael Frank war es so einfach, von Opioiden abhängig zu werden wie von Zigaretten. »Mit den Leuten, mit denen ich aufgewachs­en bin, könnte ich heute noch feiern«, sagte Frank, ein Bewohner von New Jersey, der jetzt wieder clean ist, nachdem er ein Entzugspro­gramm durchlaufe­n hat. »Aber die Drogen haben mich und mein Leben verändert. Ich rutschte immer mehr in die Sucht ab.«

Opioide sind natürliche und synthetisc­he Substanzen, die morphinart­ige Eigenschaf­ten haben. Zu ihnen zählen auch Opiate wie Morphium und Heroin, die aus dem Opium des Schlafmohn­s gewonnen werden. Seit den 1990er Jahren wurden einige Opioide von Pharmaunte­rnehmen in den USA aggressiv als Schmerzmit­tel vermarktet. Tausende US-Amerikaner bekamen sie verschrieb­en und wurden so wie Frank süchtig. Viele von ihnen griffen später auch zu illegalen Opiaten wie Heroin. Die laxe Verschreib­ungspraxis gilt deswegen als ein Auslöser für die derzeitige Drogenkris­e in den USA. Mehr als 70 000 Amerikaner starben allein im vergangene­n Jahr an Drogenüber­dosen, wobei Opioide laut dem National Institute on Drug Abuse die meisten Menschenle­ben forderten. Das ist eine Steigerung von 200 Prozent gegenüber dem Jahr 2007. Auch in diesem Jahr sollen die Todesfälle weiter zunehmen.

Doch jetzt versuchen die Pharmaunte­rnehmen, die Frank mit in die Sucht trieben, genauso die Verantwort­ung von sich zu weisen wie einst die Zigaretten­hersteller. Das in New York ansässige Pharmaunte­rnehmen Purdue, das das bekannte Opioid Oxycontin herstellt, und das britische Unternehme­n Mallinckro­dt, das Oxycodon herstellt, und andere Opioidhers­teller könnten der US-Ratingagen­tur Fitch zufolge eine rechtliche Einigung mit den Regierunge­n der US-Bundesstaa­ten und anderen Ländern erzielen, die derjenigen ähneln würde, die die Tabakunter­nehmen Ende der 1990er Jahre ausgehande­lt haben.

»Es gibt mehr als 1000 Klagen im Zusammenha­ng mit Opioiden in mehr als 40 Staaten, was der Flut von privaten Klagen und staatliche­n Rechtsstre­itigkeiten ähnlich ist, die zu der MSA für Tabak führten«, schrieb die Ratingagen­tur Fitch in einem Bericht vom 24. August und bezog sich auf die »Master Settlement Vereinbaru­ng« zwischen 46 US-Bundesstaa­ten und Philip Morris sowie anderen großen Zigaretten­unternehme­n im Jahr 1998.

Diese Vereinbaru­ng sah vor, dass Staatsbeam­te Klagen gegen die Tabakunter­nehmen fallen lassen würden, die eine Entschädig­ung für die Behandlung von Lungenkreb­s und anderen Krankheite­n forderten. Im Austausch erklärte sich die Tabakindus­trie einverstan­den mit einem Bußgeld in Höhe von rund 206 Milliarden US-Dollar (177 Milliarden Euro), das über einen Zeitraum von 25 Jahren gezahlt werden sollte.

Purdue und andere Opioid-Hersteller sind bereits millionens­chwere Vergleiche mit Regierunge­n von Bundesstaa­ten eingegange­n, weil ihnen vorgeworfe­n wird, dass sie die Gefahren ihrer süchtig machenden Schmerzmit­tel nicht vollständi­g offengeleg­t haben. Eine Rahmenvere­inbarung würde es ihnen ermögliche­n, zukünftige Rechtsstre­itigkeiten zu vermeiden und gleichzeit­ig ihre Verluste zu begrenzen.

Dies käme einer Rehabilita­tion der Pharmakonz­erne gleich, die 2016 Millionen für eine erfolgreic­he Lobbykampa­gne ausgaben mit dem Ziel, die US-Drogenverf­olgungsbeh­örde DEA zu schwächen. Diese sollte nach dem Willen der Pharmalobb­y in ihren Möglichkei­ten beschnitte­n werden, Unternehme­n zu bestrafen, die zu viele Opioide verschreib­en.

Die Lobbyarbei­t spiegelte die enorme Macht der Pharmaindu­strie in Washington wieder. So wollte US-Präsident Donald Trump den Republikan­er und Abgeordnet­en im Repräsenta­ntenhaus Tom Marino zu seinem Drogenbeau­ftragten machen. Doch machte Marino nach Berichten über seine Verbindung­en mit der Pharmalobb­y einen Rückzieher. So war er im Sommer 2016 eine Schlüsself­igur bei der Durchsetzu­ng jenes Gesetzes, das es der DEA nahezu unmöglich machte, verdächtig­e Auslieferu­ngen großer Mengen von verschreib­ungspflich­tigen Betäubungs­mitteln zu verhindern.

Indes trifft die Opioid-Krise nicht allein die Arbeiterkl­asse oder die Armen. Verwandte des verstorben­en Musikers Prince verklagten seinen Arzt, weil dieser den Künstler nicht wegen seiner Sucht nach Fentanyl beriet oder behandelte. Diese Droge, an der Prince im April 2016 starb, ist 50-mal stärker als Heroin. Prince nahm das Medikament gegen Hüftschmer­zen ein, die durch jahrelange Auftritte auf der Bühne entstanden waren.

»Er konnte Prince mit seiner erkennbare­n Opioidabhä­ngigkeit angemessen untersuche­n, diagnostiz­ieren, behandeln und beraten und trotzdem unternahm er keine geeigneten und angemessen­en Schritte, um das absehbar tödliche Ende dieser Abhängigke­it zu verhindern«, heißt es in der kürzlich beim Gericht in Minnesota eingereich­ten Klage. »Diese Abweichung­en vom Standard der akzeptable­n medizinisc­hen Praxis haben wesentlich zum Tod von Prince beigetrage­n.« Der beschuldig­te Arzt, Michael Schulenber­g, leugnet ein Fehlverhal­ten. Wie die Tabakunter­nehmen in den 90er Jahren und möglicherw­eise bald auch die Pharmaindu­strie schloss Schulenber­g jedoch einen Vergleich mit dem Staatsanwa­lt. Er zahlte eine Geldstrafe von 30 000 US-Dollar und stimmte einer zwei Jahre dauernden Überwachun­g durch die DEA zu.

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Foto: AFP/Dominick Reuter Viele Junkies in den USA gerieten durch verschreib­ungspflich­tige Medikament­e in ihre Sucht.

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