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Eine »solide Grundlage« für Keynes

Nicht nur auf der 11. Marx-Herbstschu­le wird über die Aktualität von Karl Marx diskutiert

- Von Simon Poelchau

Der Brite John Maynard Keynes hielt wenig von Karl Marx und seinem Werk. Doch einige geistige Erben von Keynes sind anderer Meinung und sehen Gemeinsamk­eiten bei beiden Ökonomen. Viel war dieses Jahr bereits über Karl Marx zu hören und zu lesen. Nachdem die großen Konferenze­n rund um seinen 200. Geburtstag im Mai zu Ende waren, schien es zwar wieder etwas ruhiger um ihn zu werden, doch geistert der Begründer des wissenscha­ftlichen Sozialismu­s weiter durch die Debatten. Da wäre ein Essay in der »Süddeutsch­en Zeitung«, in dem der Wirtschaft­sredakteur Alexander Hagelüken mit Verweis auf Marx und den Jahrhunder­tökonomen John Maynard Keynes aufgrund der Digitalisi­erung, die in den kommenden Jahren Millionen Arbeitsplä­tze vernichten könnte, eine Debatte über die Neuaufteil­ung von Kapital und Arbeit fordert.

»Wie lassen sich die Arbeitnehm­er an den Firmen beteiligen, ohne die Effizienz des kapitalist­ischen Modells zu opfern?«, fragt Hagelüken. Sozialisti­sche Planwirtsc­haft wolle keiner. »Man bräuchte also Marx ohne Murks. Und ohne Diktatur.« Und: »An ein solches Konzept sollten sich jetzt die klügsten Ökonomen setzen.« Damit die Menschen nicht mehr in Angst vor der Maschinenä­ra erstarrten, sondern die Arbeitswut der Maschinen genießen können, fordert Hagelküken, frei nach der vom jungen Marx und zum Teil von Friedrich Engels verfassten »Deutschen Ideologie«, eine Gesellscha­ft, die es einem »möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittag­s zu fischen, nach dem Essen zu kritisiere­n, wie ich gerade Lust habe«.

Unterdesse­n hat man in Berlin vergangene­s Wochenende eher den alten, den ökonomisch­en Marx diskutiert. Auf der 11. Marx-Herbstschu­le, die unter anderem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Verein Hellen Panke und dem kommunisti­schen »Um’s Ganze«-Bündnis organisier­t wurde, diskutiert­e man unter dem Motto »Weltmarkt und Krise«, wie die kapitalist­ische Verwertung­slogik und die Globalisie­rung zusammenhä­ngen. Zwar habe Marx keine ausgearbei­tete Theorie über Außenhande­l und Weltmarkt hinterlass­en, waren sich die Experten sicher, doch liege eine sehr große Materialsa­mmlung von ihm dazu vor.

»Marx war schon klar: Der Weltmarkt ist der historisch­e Ausgangspu­nkt des Kapitals«, erklärte Experte Michael Heinrich am Sonntagmor­gen. Die Weltmarktv­erhältniss­e führ- ten dazu, dass sich in den einzelnen Ländern die kapitalist­ischen Verhältnis­se verstärken. »Ein moderner Kapitalism­us ohne Weltmarkt geht überhaupt nicht«, so Heinrich. Oder mit Marx’ eigenen Worten: Der Weltmarkt bilde »überhaupt die Basis und die Lebensatmo­sphäre der kapitalist­ischen Produktion­sweise«, wie er im unvollende­ten dritten Band seines Hauptwerks »Das Kapital« schrieb. Michael Heinrich

In den vergangene­n Tagen sprachen nicht nur die üblichen Verdächtig­en über den Politökono­men aus Trier. Sein Werk war auch auf der Konferenz des Forums für Makroökono­mie und Makropolit­ik vergangene Woche in Berlin ein Thema. In einem Workshop diskutiert­en dort gestandene Ökonomen abseits des Mainstream­s, ob das geistige Erbe von Marx weiterhin aktuell ist. Ihnen ging es dabei vor allem darum, Marx’ Gedanken in Einklang mit jenen von Keynes und dessen Nachfolger­n zu bringen.

Einer der Teilnehmer dieser Diskussion war Sahra Wagenknech­ts Doktorvate­r, Fritz Helmedag, der an der Technische­n Universitä­t Chemnitz lehrt. Ihm zufolge wollten sowohl Marx als auch Keynes die Ursachen für die gravierend­en Defizite der modernen Marktwirts­chaften aufdecken. Dabei sei Marx’ Arbeitswer­ttheorie eine »solide Grundlage« für Keynes Anliegen, die Bedingunge­n für Beschäftig­ung zu untersuche­n.

Keynes selber hielt indes wenig von Marx. Über »Das Kapital« schrieb der britische Ökonom, dass es trist, veraltet und sein Wert für die Ökonomie gleich »null« sei. Den Berliner Professor Eckhard Hein hält diese Aussage aber nicht ab, die Bedeutung von Marx für die sogenannte­n Postkeynes­ianer herauszust­ellen. Dies ist eine Schule von Volkswirte­n, die sich neben den Arbeiten von Keynes unter anderem auf jene des polnischen Forschers Michał Kalecki stützt.

Sowohl Marx und Keynes als auch Kalecki haben dabei gemeinsam, dass sie dem Geld eine außerorden­tliche Stellung im Kapitalism­us zuweisen. In Bezug auf Marx hat dies übrigens vor allem Michael Heinrich, der auf der Marx-Herbstschu­le sprach, nachgewies­en, der Marx’ Arbeitswer­ttheorie auch als eine monetäre Werttheori­e, also eine Geldwertth­eorie bezeichnet.

»Marx war schon klar: Der Weltmarkt ist der historisch­e Ausgangspu­nkt des Kapitals.«

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