Demenz durch dicke Luft
Feinstaub in der Umwelt belastet auch in Südasien die menschliche Gesundheit, globale Strategien für das Problem fehlen noch
Zu viel Feinstaub in der Luft führt nicht nur zu Erkrankungen des HerzKreislauf-Systems und zu Diabetes Typ 1, sondern wohl auch zu Demenz, wie eine neue Studie ergab. Für manchen Teilnehmer des Halbmarathons in Neu-Delhi auch in diesem Oktober könnte sich der sportliche Ehrgeiz langfristig als gesundheitsschädlich oder gar tödlich erweisen. Die indische Kapitale gilt weltweit als Stadt mit der dramatischsten Luftverschmutzung.
Das krank machende Element in der Luft sind die Feinstaubpartikel. Je kleiner sie sind, desto leichter können sie ins Herz-Kreislauf-System eindringen, den Blutdruck steigen lassen oder Herzprobleme bis hin zum Infarkt verursachen. Es gibt erste Belege für einen Zusammenhang von Feinstaubbelastung und Typ-1-Diabetes bei Kindern.
Noch besorgniserregender aber ist ein Forschungsergebnis chinesischer Wissenschaftler: Hohe Feinstaubbelastung führt zu Demenzerkrankungen wie Alzheimer. Für ihre im September im amerikanischen Wissen- schaftsjournal »PNAS« veröffentlichte Studie hat das Wissenschaftlerteam umfangreiches Datenmaterial einer Langzeitbefragung genutzt und festgestellt, dass hohe Verschmutzungsgrade zu deutlich schlechteren Ergebnissen bei Sprach- und Mathematiktests führten.
Die Studie geht weit über die Ansätze früherer Forschungsarbeiten zum Zusammenhang von Feinstaub und Demenz hinaus. »Wir haben den Kontakt mit örtlichen Umweltstressfaktoren mit der individuellen kognitiven Leistung zum exakten Zeitpunkt der Tests in Verbindung gesetzt«, heißt es in der Studie. Zudem, so die Autoren, gehörten sie zu den ersten Forschern, die sowohl kurzzeitige Wirkungen als auch den kumulativen Effekt von Feinstaubbelastungen untersucht haben. »Nach unserer Erkenntnis dominiert der kumulative Effekt.« Dieser ist besonders ausgeprägt bei älteren Männern sowie Männern mit geringer Bildung. Der Dreck in der Luft sammele sich höchstwahrscheinlich in der weißen Substanz des Gehirns, die mit kognitiven Fehlfunktionen in Verbindung gebracht werde, erklärt Xin Zhang gegenüber dem »nd«. »Die mit geringerer Bildung könnten stärker betroffen sein, weil sie vermutlich mehr draußen arbeiten und somit stärker der Luftverschmutzung ausgesetzt sind«, sagt der Wissenschaftler von der Beijing Normal University und Chefautor der Studie.
Sieben Millionen Menschen sterben jährlich weltweit durch vergiftete Luft. In Südasien liegt im größten Teil des Jahres die Belastung mit Feinstaubpartikeln und OberflächenOzon über den Grenzwerten der WHO. Die weltweiten Ernteverluste bei landwirtschaftlichen Produkten wie Sojabohnen, Weizen und Mais durch schmutzige Luft und Ozon liegen nach Expertenschätzungen zwischen 79 und 121 Millionen Tonnen jährlich. Alleine mit den Ernteverlusten in Indien könnten 94 Millionen Menschen ernährt werden
Rajesh Kumar, Experte für Luftqualität an der Universität Boulder im US-Bundesstaat Colorado, schlägt in einem Beitrag in der Septemberausgabe des Wissenschaftsmagazins »Nature« einige Schritte zur Verbesserung der Vorhersage der Luftqualität vor. Darunter sind am besten stündliche, weltweite Messungen der Schadstoffe wie Ozon, Feinstaub und Kohlenstoff durch Satelliten und Bodenmessungen sowie die Entwicklung besserer wissenschaftlicher Modelle für exakte, ortsgenaue Vorhersagen. Außerdem sollten demnach aktuelle Luftverschmutzungswerte öffentlich verfügbar sowie Menschen so weit aufgeklärt sein, dass ihnen die Interpretation der Daten möglich ist.
In manchen Staaten existieren solche Maßnahmen bereits in Ansätzen. Insgesamt aber, klagt Kumar, fehle es an einer »internationalen Strategie« zum Umgang mit dem Problem der Luftverschmutzung. Deshalb fordert er als »ersten Schritt« eine »Gipfelkonferenz zur Entwicklung einer globalen Strategie zur Senkung der Todesfälle durch Luftverschmutzung«. Sie sollte von der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), der Weltgesundheitsorganisation, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Welternährungsorganisation durchgeführt werden. »Die WMO unterstützt unseren Vorschlag zur Entwicklung von Kapazitäten zur Überwachung, Analyse und Vorhersage der Luftqualität sehr«, sagt Kumar gegenüber dem »nd«. »Wegweisende Aktivitäten finden bereits unter dem Dach des WMO-Programms ›Global Atmosphere Watch‹ statt.«
Auch in Neu-Delhi macht man sich schon Gedanken, was den Halbmarathon betrifft. Bisher fand der immer im November statt, also dem Monat, in dem die Luft in der indischen Hauptstadt wegen der Winterwetterlage, extremer Böllerei zum hinduistischen Lichterfest Dipavali und dem Abbrennen der abgeernteten Felder im großen Umkreis um die Metropole noch katastrophaler als sonst ist. Deshalb wurde das Sportereignis in diesem Jahr in den Oktober vorverlegt.
Zudem wurde eine neue, von der Firma Devic Earth in Bangalore entwickelte Technologie getestet. Zur Säuberung der Luft von Feinstaub kamen Hochfrequenzradiowellen (UHF) zum Einsatz. Die UHF-Radiowellen reduzieren Feinstaubpartikel verschiedener Größe um »30 bis 40 Prozent«. Das reduziere in der von dem System abgedeckten Region durch schmutzige Luft verursachte Krankheiten um 33 Prozent. So wird es auf der Webseite von Devic Earth versprochen. Eine von unabhängigen Experten geprüfte Studie zu dieser Technologie gibt es allerdings noch nicht.