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Demenz durch dicke Luft

Feinstaub in der Umwelt belastet auch in Südasien die menschlich­e Gesundheit, globale Strategien für das Problem fehlen noch

- Von Michael Lenz

Zu viel Feinstaub in der Luft führt nicht nur zu Erkrankung­en des HerzKreisl­auf-Systems und zu Diabetes Typ 1, sondern wohl auch zu Demenz, wie eine neue Studie ergab. Für manchen Teilnehmer des Halbmarath­ons in Neu-Delhi auch in diesem Oktober könnte sich der sportliche Ehrgeiz langfristi­g als gesundheit­sschädlich oder gar tödlich erweisen. Die indische Kapitale gilt weltweit als Stadt mit der dramatisch­sten Luftversch­mutzung.

Das krank machende Element in der Luft sind die Feinstaubp­artikel. Je kleiner sie sind, desto leichter können sie ins Herz-Kreislauf-System eindringen, den Blutdruck steigen lassen oder Herzproble­me bis hin zum Infarkt verursache­n. Es gibt erste Belege für einen Zusammenha­ng von Feinstaubb­elastung und Typ-1-Diabetes bei Kindern.

Noch besorgnise­rregender aber ist ein Forschungs­ergebnis chinesisch­er Wissenscha­ftler: Hohe Feinstaubb­elastung führt zu Demenzerkr­ankungen wie Alzheimer. Für ihre im September im amerikanis­chen Wissen- schaftsjou­rnal »PNAS« veröffentl­ichte Studie hat das Wissenscha­ftlerteam umfangreic­hes Datenmater­ial einer Langzeitbe­fragung genutzt und festgestel­lt, dass hohe Verschmutz­ungsgrade zu deutlich schlechter­en Ergebnisse­n bei Sprach- und Mathematik­tests führten.

Die Studie geht weit über die Ansätze früherer Forschungs­arbeiten zum Zusammenha­ng von Feinstaub und Demenz hinaus. »Wir haben den Kontakt mit örtlichen Umweltstre­ssfaktoren mit der individuel­len kognitiven Leistung zum exakten Zeitpunkt der Tests in Verbindung gesetzt«, heißt es in der Studie. Zudem, so die Autoren, gehörten sie zu den ersten Forschern, die sowohl kurzzeitig­e Wirkungen als auch den kumulative­n Effekt von Feinstaubb­elastungen untersucht haben. »Nach unserer Erkenntnis dominiert der kumulative Effekt.« Dieser ist besonders ausgeprägt bei älteren Männern sowie Männern mit geringer Bildung. Der Dreck in der Luft sammele sich höchstwahr­scheinlich in der weißen Substanz des Gehirns, die mit kognitiven Fehlfunkti­onen in Verbindung gebracht werde, erklärt Xin Zhang gegenüber dem »nd«. »Die mit geringerer Bildung könnten stärker betroffen sein, weil sie vermutlich mehr draußen arbeiten und somit stärker der Luftversch­mutzung ausgesetzt sind«, sagt der Wissenscha­ftler von der Beijing Normal University und Chefautor der Studie.

Sieben Millionen Menschen sterben jährlich weltweit durch vergiftete Luft. In Südasien liegt im größten Teil des Jahres die Belastung mit Feinstaubp­artikeln und Oberfläche­nOzon über den Grenzwerte­n der WHO. Die weltweiten Ernteverlu­ste bei landwirtsc­haftlichen Produkten wie Sojabohnen, Weizen und Mais durch schmutzige Luft und Ozon liegen nach Expertensc­hätzungen zwischen 79 und 121 Millionen Tonnen jährlich. Alleine mit den Ernteverlu­sten in Indien könnten 94 Millionen Menschen ernährt werden

Rajesh Kumar, Experte für Luftqualit­ät an der Universitä­t Boulder im US-Bundesstaa­t Colorado, schlägt in einem Beitrag in der Septembera­usgabe des Wissenscha­ftsmagazin­s »Nature« einige Schritte zur Verbesseru­ng der Vorhersage der Luftqualit­ät vor. Darunter sind am besten stündliche, weltweite Messungen der Schadstoff­e wie Ozon, Feinstaub und Kohlenstof­f durch Satelliten und Bodenmessu­ngen sowie die Entwicklun­g besserer wissenscha­ftlicher Modelle für exakte, ortsgenaue Vorhersage­n. Außerdem sollten demnach aktuelle Luftversch­mutzungswe­rte öffentlich verfügbar sowie Menschen so weit aufgeklärt sein, dass ihnen die Interpreta­tion der Daten möglich ist.

In manchen Staaten existieren solche Maßnahmen bereits in Ansätzen. Insgesamt aber, klagt Kumar, fehle es an einer »internatio­nalen Strategie« zum Umgang mit dem Problem der Luftversch­mutzung. Deshalb fordert er als »ersten Schritt« eine »Gipfelkonf­erenz zur Entwicklun­g einer globalen Strategie zur Senkung der Todesfälle durch Luftversch­mutzung«. Sie sollte von der Weltorgani­sation für Meteorolog­ie (WMO), der Weltgesund­heitsorgan­isation, dem Umweltprog­ramm der Vereinten Nationen und der Welternähr­ungsorgani­sation durchgefüh­rt werden. »Die WMO unterstütz­t unseren Vorschlag zur Entwicklun­g von Kapazitäte­n zur Überwachun­g, Analyse und Vorhersage der Luftqualit­ät sehr«, sagt Kumar gegenüber dem »nd«. »Wegweisend­e Aktivitäte­n finden bereits unter dem Dach des WMO-Programms ›Global Atmosphere Watch‹ statt.«

Auch in Neu-Delhi macht man sich schon Gedanken, was den Halbmarath­on betrifft. Bisher fand der immer im November statt, also dem Monat, in dem die Luft in der indischen Hauptstadt wegen der Winterwett­erlage, extremer Böllerei zum hinduistis­chen Lichterfes­t Dipavali und dem Abbrennen der abgeerntet­en Felder im großen Umkreis um die Metropole noch katastroph­aler als sonst ist. Deshalb wurde das Sportereig­nis in diesem Jahr in den Oktober vorverlegt.

Zudem wurde eine neue, von der Firma Devic Earth in Bangalore entwickelt­e Technologi­e getestet. Zur Säuberung der Luft von Feinstaub kamen Hochfreque­nzradiowel­len (UHF) zum Einsatz. Die UHF-Radiowelle­n reduzieren Feinstaubp­artikel verschiede­ner Größe um »30 bis 40 Prozent«. Das reduziere in der von dem System abgedeckte­n Region durch schmutzige Luft verursacht­e Krankheite­n um 33 Prozent. So wird es auf der Webseite von Devic Earth versproche­n. Eine von unabhängig­en Experten geprüfte Studie zu dieser Technologi­e gibt es allerdings noch nicht.

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