Wenn Geschichten zum Aufstand blasen
Ein neues Theaterfestival in Chemnitz will verdeutlichen, wie mit Geschichte Politik gemacht wird
In Chemnitz beginnt ein neues, politisches Theaterfestival, das durch die jüngsten Ereignisse in der Stadt unerwartete Brisanz gewinnt.
Was kann ein Rührgerät über die Welt und deren Lauf berichten? Und was haben ein Möbelstück, eine Nähmaschine oder andere Utensilien des Alltags zu erzählen; Dinge, die in einem früheren Land begehrt waren und von denen manche auch heute noch gefragt sind, während andere unbeachtet auf Dachböden verdämmern? Im Chemnitzer Figurentheater wird bald von ihnen zu hören sein: in einem Stück namens »Aufstand der Dinge«. Protagonisten sind Alltagsgegenstände aus der DDR, die »endlich gehört werden« wollten, denn sie hätten Geschichten zu erzählen – und damit ihre Version der Geschichte.
Geschichte ist nichts Objektives. Es handle sich um »nachträgliche Formgebung des Formlosen«, schreibt die Schriftstellerin Judith Schalansky in ihrem Buch »Verzeichnis einiger Verluste«. Die entstehenden Geschichten folgten »vorwiegend narrativen Regeln«. Oft wird mit ihnen Politik gemacht. Nur ein Beispiel: Erzählungen über den politischen Umbruch in der DDR, über das Aufbegehren gegen eine Regierung, die nicht mehr im Interesse der Bürger handelte, werden 28 Jahre später genutzt, um rechten Protest gegen eine andere Regierung und deren Politik zu legitimieren. Die Parole »Wir sind das Volk« wird von Pegida & Co. vereinnahmt.
Ein Theaterfestival, das am Samstag in Chemnitz beginnt, will solchen Phänomenen nachgehen. Sein Titel: »Aufstand der Geschichten«; das Motiv auf Programm und Internetseite: eine zerknüllte, weggeworfene Seite aus einem Buch, deren Schatten die Silhouette eines Menschen mit erhobener Faust formt. Es gebe, sagt Projektleiter Franz Knoppe, in der rechten Szene Narrative, die genutzt würden, um Menschen zu mobilisieren, Protest historisch zu begründen – und auch, um Gewalt zu rechtfertigen. Eines davon ist das der »Wendeverlierer«, ein anderes das, wonach »Asylbewerber an allem Schuld sind«. Allen gemein sei, dass sie simple Antworten zu geben suchten und komplexe Erklärungen scheuten – die der Realität zwar besser gerecht würden, aber »schlechter zu verkaufen« seien.
Das Festival, das vom 3. bis 10. November stattfindet, will sich mit einzelnen dieser Narrative auseinandersetzen – in einer Reihe von Theaterstücken, von denen einige eigens für das Festival erarbeitet wurden, aber auch mit Angeboten im Stadtraum: in so genannten »Pop-up-Stores«, die für kurze Zeit öffnen und in denen »quasi mit Geschichten gehandelt wird«, wie es die Chemnitzer »Freie Presse« formulierte. So ermöglicht ein temporärer Schönheitssalon Gespräche von Alteingesessenen mit Migranten.
Der einwöchige »Aufstand der Geschichten« hatte einen Vorläufer: das Festival »Unentdeckte Nachbarn«, das Knoppe und seine Mitstreiter im Jahr 2016 in Chemnitz organisiert hatten. Anlass war damals der fünfte Jahrestag des Auffliegens der rechten Terrorzelle NSU, deren Mitglieder in Chemnitz Unterschlupf und viele Unterstützer gefunden hatten. Das Festival stellte die Perspektive der Opfer des NSU in den Mittelpunkt. Zuvor hatte Knoppe in Zwickau schon zu einer Gruppe namens »Grasslifter« gehört. In der Stadt in Westsachsen war das NSU-Trio zuletzt untergetaucht; sein 2011 in Brand gestecktes Domizil in der Frühlingsstraße 26 wurde später abgerissen. »Grasslifter« suchten mit künstlerischen Aktionen im Wortsinne zu verhindern, dass Gras über das Kapitel NSU wächst.
Während das Festival 2016 vor allem Besucher anzog, die ohnehin mit dem Thema NSU vertraut waren, hoffe man jetzt auf breitere Resonanz in der Stadtgesellschaft – nicht zuletzt dank eines Stücks über den in Chemnitz geborenen Schriftsteller Stefan Heym. Das stoße, sagt Knoppe, auch in einem Milieu auf Interesse, in dem Wohlwollen für einen jüdischen, linken Autor nicht unbedingt zu erwarten war. In dem Stück, in dem Heym als lebensechte Puppe auftritt, gehe es darum, wie sich auch »in schwierigen Zeiten eine demokratische Haltung bewahren« lasse. Es ist eine Frage, die in Chemnitz zuletzt unerwartete Aktualität gewonnen hat. Nachdem die Lage in der Stadt eskalierte, habe man sich durchaus gefragt, ob ein politisches Theaterfestival nur den Effekt habe, die Stimmung weiter anzuheizen, gesteht Knoppe. Vielleicht aber hilft es der Stadtgesellschaft auch, von Konfrontation und Parolen zu ernsthaftem Diskurs zurückzukehren.