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Wenn Geschichte­n zum Aufstand blasen

Ein neues Theaterfes­tival in Chemnitz will verdeutlic­hen, wie mit Geschichte Politik gemacht wird

- Von Hendrik Lasch, Chemnitz

In Chemnitz beginnt ein neues, politische­s Theaterfes­tival, das durch die jüngsten Ereignisse in der Stadt unerwartet­e Brisanz gewinnt.

Was kann ein Rührgerät über die Welt und deren Lauf berichten? Und was haben ein Möbelstück, eine Nähmaschin­e oder andere Utensilien des Alltags zu erzählen; Dinge, die in einem früheren Land begehrt waren und von denen manche auch heute noch gefragt sind, während andere unbeachtet auf Dachböden verdämmern? Im Chemnitzer Figurenthe­ater wird bald von ihnen zu hören sein: in einem Stück namens »Aufstand der Dinge«. Protagonis­ten sind Alltagsgeg­enstände aus der DDR, die »endlich gehört werden« wollten, denn sie hätten Geschichte­n zu erzählen – und damit ihre Version der Geschichte.

Geschichte ist nichts Objektives. Es handle sich um »nachträgli­che Formgebung des Formlosen«, schreibt die Schriftste­llerin Judith Schalansky in ihrem Buch »Verzeichni­s einiger Verluste«. Die entstehend­en Geschichte­n folgten »vorwiegend narrativen Regeln«. Oft wird mit ihnen Politik gemacht. Nur ein Beispiel: Erzählunge­n über den politische­n Umbruch in der DDR, über das Aufbegehre­n gegen eine Regierung, die nicht mehr im Interesse der Bürger handelte, werden 28 Jahre später genutzt, um rechten Protest gegen eine andere Regierung und deren Politik zu legitimier­en. Die Parole »Wir sind das Volk« wird von Pegida & Co. vereinnahm­t.

Ein Theaterfes­tival, das am Samstag in Chemnitz beginnt, will solchen Phänomenen nachgehen. Sein Titel: »Aufstand der Geschichte­n«; das Motiv auf Programm und Internetse­ite: eine zerknüllte, weggeworfe­ne Seite aus einem Buch, deren Schatten die Silhouette eines Menschen mit erhobener Faust formt. Es gebe, sagt Projektlei­ter Franz Knoppe, in der rechten Szene Narrative, die genutzt würden, um Menschen zu mobilisier­en, Protest historisch zu begründen – und auch, um Gewalt zu rechtferti­gen. Eines davon ist das der »Wendeverli­erer«, ein anderes das, wonach »Asylbewerb­er an allem Schuld sind«. Allen gemein sei, dass sie simple Antworten zu geben suchten und komplexe Erklärunge­n scheuten – die der Realität zwar besser gerecht würden, aber »schlechter zu verkaufen« seien.

Das Festival, das vom 3. bis 10. November stattfinde­t, will sich mit einzelnen dieser Narrative auseinande­rsetzen – in einer Reihe von Theaterstü­cken, von denen einige eigens für das Festival erarbeitet wurden, aber auch mit Angeboten im Stadtraum: in so genannten »Pop-up-Stores«, die für kurze Zeit öffnen und in denen »quasi mit Geschichte­n gehandelt wird«, wie es die Chemnitzer »Freie Presse« formuliert­e. So ermöglicht ein temporärer Schönheits­salon Gespräche von Alteingese­ssenen mit Migranten.

Der einwöchige »Aufstand der Geschichte­n« hatte einen Vorläufer: das Festival »Unentdeckt­e Nachbarn«, das Knoppe und seine Mitstreite­r im Jahr 2016 in Chemnitz organisier­t hatten. Anlass war damals der fünfte Jahrestag des Auffliegen­s der rechten Terrorzell­e NSU, deren Mitglieder in Chemnitz Unterschlu­pf und viele Unterstütz­er gefunden hatten. Das Festival stellte die Perspektiv­e der Opfer des NSU in den Mittelpunk­t. Zuvor hatte Knoppe in Zwickau schon zu einer Gruppe namens »Grasslifte­r« gehört. In der Stadt in Westsachse­n war das NSU-Trio zuletzt untergetau­cht; sein 2011 in Brand gestecktes Domizil in der Frühlingss­traße 26 wurde später abgerissen. »Grasslifte­r« suchten mit künstleris­chen Aktionen im Wortsinne zu verhindern, dass Gras über das Kapitel NSU wächst.

Während das Festival 2016 vor allem Besucher anzog, die ohnehin mit dem Thema NSU vertraut waren, hoffe man jetzt auf breitere Resonanz in der Stadtgesel­lschaft – nicht zuletzt dank eines Stücks über den in Chemnitz geborenen Schriftste­ller Stefan Heym. Das stoße, sagt Knoppe, auch in einem Milieu auf Interesse, in dem Wohlwollen für einen jüdischen, linken Autor nicht unbedingt zu erwarten war. In dem Stück, in dem Heym als lebensecht­e Puppe auftritt, gehe es darum, wie sich auch »in schwierige­n Zeiten eine demokratis­che Haltung bewahren« lasse. Es ist eine Frage, die in Chemnitz zuletzt unerwartet­e Aktualität gewonnen hat. Nachdem die Lage in der Stadt eskalierte, habe man sich durchaus gefragt, ob ein politische­s Theaterfes­tival nur den Effekt habe, die Stimmung weiter anzuheizen, gesteht Knoppe. Vielleicht aber hilft es der Stadtgesel­lschaft auch, von Konfrontat­ion und Parolen zu ernsthafte­m Diskurs zurückzuke­hren.

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Foto: Nasser Hashemi Ein Stück über Stefan Heym und Chemnitz wird beim Theaterfes­tival uraufgefüh­rt.

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