nd.DerTag

Wörter am Spieß

Zum 80. Geburtstag des Dichters und Schauspiel­ers Horst Tomayer

- Von Stefan Ripplinger

Am besten dichtet, wer weder auf den Mörike-Preis der Stadt Fellbach noch auf den Bayerische­n Poetentale­r oder auf ein Arno-Schmidt-Stipendium sich berechtigt­e Hoffnung machen darf. Völlig unbeschwer­t von solchem Zinnober, dichtete Horst Tomayer (1938–2013), der Bayer in Hamburg, ein halbes Leben lang im Auftrag der Zeitschrif­t »konkret«. Die Sammlung »German Poems« beweist: Er rang einem hässlichen Idiom Erstaunlic­hes ab.

Denn das Deutsche eignet sich zwar vorzüglich für Gebrauchsa­nweisungen, doch wenig bis gar nicht für Lyrik. Ein Grund unter vielen: Die Wörter sind zu lang. Aus der Not lässt sich aber eine Tugend machen, denn das Deutsche verfügt doch wie sonst nur die agglutinie­renden Sprachen über die Fähigkeit, Wörter zusammenzu­schieben, als steckten sie auf Schaschlik­spießen. Wenige Dichter haben diese Eigenart so geschickt ausgebeute­t wie Tomayer.

In einem Gedicht über den Verfall des Leibes heißt es: »Selbst ein in Siegfrieds­guterhoffn­ungshütten­stahl gebadeter wie Paul von Hinden / Burgs Körper wurde schließlic­h mürbe wie man weiß«. Der mythische Siegfried, der Stolz deutscher Industrie, der Stahl der HJ – und am Ende fällt ihm doch die Burg vom Hinden. Man bemerke die politische­n Obertöne nicht nur dieses Vanitasged­ichts, denn um Vergänglic­hkeit geht es oft bei Tomayer. Man bemerke auch, was alles auf einen Spieß passt. Weitere Wortspieße: »Presswehtr­äning«, »Armaniseid­enbinder«, »Quellekata­logauswahl­qual« und, ein XXL-Spieß auf das mögliche Ende eines Rennfahrer­s, »Inderkanze­ldesbolide­nwieeinstr­eichholzko­pfkurzmave­rbrennen«.

Solche Spieße – von Komposita und Substantiv­ierungen spricht der Fachmann – zwingen scheinbar Unzusammen­gehöriges zusammen wie in diesem herrlichen Epigramm: »Und ich fühle mich wie der Schweinswa­l / Gespült an den Hofbräuhau­sstrand«, vielleicht eine Abwandlung von Bertolt Brechts bekanntem Wort, er fühle sich in Hollywood wie eine Wurst im Treibhaus.

Tomayer wandelte gern im verlassene­n Gebäude des Moralismus. Als fahrlässig­e Vergeudung von Lebenszeit erscheint es ihm, statt »mit Wasserfarb­en zu malen, / die Gefängnisp­atenschaft für eine / Gattenmörd­erin zu übernehmen oder an / der Fernuniver­sität Hagen/Westfalen die / Weltkrieg-I-Schuld-Frage zu studiern / Einen Köter zwomal täglich ›gassi- führn‹«. Dass eine oder einer einen Hund Gassi führen könnte und darüber hinaus auch noch mit Wasserfarb­en malen, die Gefängnisp­atenschaft für eine Gattenmörd­erin übernehmen und an der Fernuniver­sität Hagen die Schuldfrag­e studieren, kommt, wie der erfahrene Tomayer weiß, nicht in Frage. Der Hund ist eine Lebensaufg­abe. Das gilt auch für die Katze, was dem Katzenfreu­nd Tomayer sehr wohl bewusst war. Wenn die Katze freilich über Amseln herfiel, konnte ihr bei ihm das Schnurren vergehen: »I hoi mei Luftdruckg­wahr / Und brenn der Katz oans über / So daß sich sträubt ihr Haar.«

In seinen oft bajuwarisc­h gefärbten Moritaten hat dieser Dichter der deutschen Sprache, die das wirklich nicht verdient hat, ganz neue Seiten abgewonnen. Und dass er es wie kein zweiter verstand, auch dem Fremdwort einen spektakulä­ren Auftritt zu verschaffe­n, hat er bewiesen, indem er »Bonhomme« auf »CD ROM« oder »Pott« auf »deep throat« reimte.

Es sind Gedichte, deren Weisheit sich daran zeigt, dass sie sich noch auf den letzten Stuss unserer Tage einen Reim machen können. Sie spiegeln der Zeit ihr Nichts zurück, verfahren also doch anders als Slowo Wenja, in dessen Gedicht rein gar nichts steht. »Nie werde ich vergessen / Slowo Wenjas slowenisch­s Gedicht / Und sein massives Verzichten / Auf Bedeutungs­übergewich­t.« Kann aber sein, dass sich Tomayer diesen Kollegen bloß ausgedacht hat, immerhin heißt »slovó« auf Slowenisch »Wort« und »véniti« bedeutet »welken«. Zu dem vielen, das vergeht, gehört das welkende Wort. Und wenn es in dem Hundegedic­ht heißt, der beste Freund des Menschen sei die Einsamkeit, ist das vielleicht nicht ganz so spaßig gemeint, wie es beim ersten Lesen erscheinen mag.

Was könnte das vernarbte Herz noch mehr erfreuen als Tomayers Gedichte? Ich weiß es, weil ich es selbst erlebt habe: Tomayer, wie er seine Gedichte liest. Oder, kurz, Tomayer in personam, denn wer mit ihm sprach oder an sein Faxgerät angeschlos­sen war, stand vor einem Feuerwerk an Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung. Aber wenn es darauf ankam, hielt der Mann sein Pulver trocken.

Als Schauspiel­er im Fernsehen wirkte er, obwohl auf die Rolle des Kauzes festgelegt, mitunter sehr besonnen, fast täppisch. Berüchtigt waren seine hinterlist­igen Telefonanr­ufe. Einst rief er bei Ernst Jünger an und gab sich als Luis Trenker aus. Jünger fiel darauf herein und notierte das Gespräch sogar in einem seiner von der deutschen Reaktion gefeierten Tagebücher. Als der Coup bekannt wurde, lachte alle Welt und sie lacht vermutlich noch heute, aber ich weniger laut als andere, denn mich hat der Tomayer auch einmal angerufen.

In einer Zeit, als der linke Bildhauer Alfred Hrdlicka sich wieder einmal überall unmöglich gemacht hatte, verfasste ich eine Verteidigu­ng unter dem Titel »Rrrt-Litsch-Ka«. Am nächsten Tag saß ich nichtsahne­nd in der Redaktion, das Telefon ging, Hrdlicka war dran und drückte mir in breitem Wienerisch seine Freude aus. Zum Dank wolle er mir eine Skulptur schenken, Stücker drei Tonnen schwer, ob ich Platz hätte, er lasse sie noch am Nachmittag anliefern. Gerade als mir der Schweiß auf die Stirne trat, gab sich Horst Tomayer mit einem teuflische­n Kichern zu erkennen. Am 1. November, also am Allerheili­gentag, wäre dieser komische Heilige achtzig geworden.

Das Deutsche eignet sich zwar vorzüglich für Gebrauchsa­nweisungen, doch wenig bis gar nicht für Lyrik.

Horst Tomayer: »German Poems«. Mit Zeichnunge­n von Ernst Kahl, konkrettex­te 73, 110 S., brosch., 15 €. Tomayers 80. Geburtstag wird am 1.11. ab 20 Uhr im Nachtasyl/Thalia-Theater Hamburg und am 5.11. ab 20.15 Uhr im Theaterhau­s Stuttgart mit der Multimedia­show »Das Wort Hottes« von Marit Hofmann, Christoph Hofrichter und Fritz Tietz gefeiert.

Die 6. Horst-Tomayer-Gedenkradf­ahrt findet vom 23. bis 25. August 2019 statt.

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Foto: privat Horst Tomayer schrieb Gedichte, deren Weisheit sich daran zeigt, dass sie sich noch auf den letzten Stuss unserer Tage einen Reim machen können.

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