Malerei des Baukastensystems
Die Galerie Brockstedt erweist der niederländischen Malerin Lou Loeber Reverenz
Mit LL plus Jahreszahl, so signiert sie bescheiden in einer der unteren Ecken einige ihrer Werke. Dabei hätte Lou Loeber allen Grund, den Namen voll auszuschreiben, ist doch ihre Kunst auf ganz eigene Weise vollkommen. Dass die 1894 in Amsterdam geborene Malerin heute wenig bekannt ist und so das Schicksal vieler ihrer Geschlechtsgenossinnen teilt, mag verschiedene Ursachen haben – ihr soziales Engagement vielleicht oder ihr Einzelkämpfertum. Im gutbürgerlichen Elternhaus genießt sie als Tochter eines kinderreichen, kunstsinnigen Papierfabrikanten die Unterstützung des Vaters: Er richtet ihr früh ein kleines Atelier ein. Nach privatem Malunterricht absolviert sie die Reichsakademie für Bildende Kunst in Amsterdam, interessiert sich für soziale Ideen. Parallel zu ihrem Kontakt mit dem Kubismus und der De-Stijl-Bewegung, einer niederländischen Künstlergruppe im Streben nach abstrakter Gestaltung, wendet sie sich sozialistischem Gedankengut zu. Kunst und Sozialismus gelte es zu verknüpfen, etwa durch Themen aus der Industrie- und Ar- beitswelt, dem »allgemein Menschlichen, das auch die ethische Grundlage für den Sozialismus (…) ist, auf direkte Weise Ausdruck« zu verleihen, wie sie äußert. 1925 tritt sie der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei, 1927 schließt sie sich einer sozialistischen Künstlervereinigung an.
In der künstlerischen Arbeit steht sie gewissermaßen zwischen den Fronten. Nach einer kurzen akademischen Phase begeistert sie sich für die Auffassungen von Mondrian und Kandinsky, fort vom Gegenständlichen, hin zu reinen Kompositionen aus Form und Farbe. Loeber verwendet geometrische Formen, Rauten, Trapeze, Rechtecke, spitzwinklige Dreiecke, bisweilen Kreise, die sie mit nahezu mathematischer Akribie und häufig in diagonaler Anordnung in ihre Ölgemälde einbringt. Dabei entsteht eine Art Baukastensystem, aus dem sie die Motive zusammensetzt: Die geometrischen Formen schwarz gerändert, weshalb sie »geordnet« aufeinandertreffen, ihre klaren, fein aufgetragenen Farben nie ineinander verschwimmen. Kaum je verleugnet sie den konkreten Gegenstand ihrer Darstellungen, sei er noch so abstrahiert. Das mag einer der Gründe für ihre Sonderstellung sein. Sie gehört doch keiner der rivalisierenden Strömungen gegenständlich versus abstrakt an. Dabei ist ihr ein so eigenständiges wie reizvolles OEuvre gelungen, das es wert ist, neu entdeckt zu werden.
Rund 40 ihrer Arbeiten aus drei Jahrzehnten stellt die Berliner Galerie Brockstedt aus. In Weimar hatte sie Ausstellungen von Klee und Feininger besucht, in Dessau Jahre später euphorisch das Bauhaus besichtigt. Schwingt im »Aronstab« auf 96 × 66 Zentimetern noch der Jugendstil nach, so staffelt sich in »Weiße Stadt« aus demselben Jahr, Reminiszenz einer Portugal-Reise, links aus Rechtecken dicht jene Stadt, während rechts Landschaft auszumachen ist. Es sind mehrfach weiße Segel, die Loeber geradezu raffiniert in Szene setzt, wie entrückt sie dem Bildzentrum auch sind: Auf »Die Brücke« begrenzen sie die Weite des Meeres, in »Weißes Segel« fällt durch eine Art Gasse der Blick unvermeidlich auf das kleinste, markant platzierte Dreieck.Wie souverän Lou Loeber über ihr »Baukastenprinzip« räumliche Tiefe erreicht, dafür stehen etwa die »Kiesgrubenarbeiter« mit jener scheinbar plastisch sich absenkenden Grube im Zentrum und »Lampe + Ofen« in Frontalansicht. Dass die 1983 verstorbene Lou Loeber für bezahlbare Kunst plädiert hat und deshalb gern mehrere Versionen ihrer Bilder verfertigte, also durchaus im Geist der Künstler aus Renaissance und Barock gehandelt hat, nahmen Zeitgenossen ihr übel. Ihrer Meisterschaft im Umgang mit Form und Farbe tut das keinen Abbruch.
»Lou Loeber (1894 – 1983), zwischen De Stijl und Bauhaus«, bis 20.11., Galerie Hans Brockstedt, Mommsenstraße 59, Berlin.