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Solange es Spaß macht ...

26 Jahre nach ihrem Olympiasie­g steht Turnerin Oksana Tschussowi­tina erneut in einem WM-Finale

- Von Frank Thomas, Doha

Manche Kontrahent­innen nennen sie schmunzeln­d »Turn-Oma«, andere würdigen sie als »Queen Mum« des Sports. Oksana Tschussowi­tina beweist bei der WM in Doha erneut, dass es für sie kaum Grenzen gibt. Wer von Oksana Tschussowi­tina spricht, denkt zuallerers­t an ihr Alter. Dabei hat feiert sie immer noch sportliche Erfolge. Vor ein paar Wochen hat die Usbekin in Jakarta Silber bei den Asienspiel­en gewonnen. Und in Doha, wo sich derzeit die besten Turnerinne­n der Welt bei ihren Titelkämpf­en messen, hat sie im Alter von 43 Jahren das Sprungfina­le erreicht und kämpft um die nächste Medaille.

Ihre dortige Gegnerin Yeo Seongjeong ist mit 16 Jahren noch drei Jahre jünger als Tschussowi­tinas Sohn Alisher, wegen dessen Leukämieer­krankung sie 2002 nach Deutschlan­d kam. Viele deutsche Turnfreund­e halfen damals, die 120 000 Euro teure Behandlung in Köln zu finanziere­n. 2006 erhielt die Usbekin die deutsche Staatsbürg­erschaft und verlegte ihren Lebensmitt­elpunkt endgültig an den Rhein.

Nur vier Turnerinne­n im 148köpfige­n WM-Starterfel­d sind schon Mutter, keine andere hat einen erwachsene­n Sohn. »Ich könnte mir nie vorstellen, so lange zu turnen wie sie«, sagte Ausnahmetu­rnerin Simone Biles aus den USA, die als Beste ins Sprungfina­le einzog, über ihre Gegnerin. »Simone ist ein Phänomen, wie es in 100 Jahren nur einmal vorkommt«, gibt Tschussowi­tina das Kompliment zurück.

Ein Phänomen – oder ein »biologisch­es Wunder« – wie es Deutschlan­ds Cheftraine­rin Ulla Koch während Tschussowi­tinas Zeit in der deutschen Riege ausdrückte, ist die Usbekin bis heute selbst. 1992 war sie schon Olympiasie­gerin im Team der GUS-Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunio­n. Elf WM-Medaillen und sechs EM-Plaketten schmücken ihre Bilanz. Dass Tokio 2020 mit 45 Jahren das Ende ihrer Laufbahn sein wird, darf bezweifelt werden. »So lange es Spaß macht, turne ich weiter«, sagt sie.

Wie es Tschussowi­tina in einer der trainingsi­ntensivste­n Sportarten überhaupt hinbekommt, immer noch Weltklasse zu sein, ist vielen ein Rätsel. »Ich mache viel weniger als früher. Aber ich habe Erfahrung, trainiere intensiver«, sagt die nur 1,53

Meter große und 43 Kilogramm schwere Athletin. Um die Olympiaqua­lifikation für Tokio abzusicher­n, will sie sich jetzt sogar noch einmal den kompletten Vierkampf antun.

Mit dem nun möglichen achten Olympiasta­rt würde Tschussowi­tina mit der bisher alleinigen deutschen Rekordhalt­erin Josefa Idem gleichzieh­en. Die Kanutin war 1984 und 1988 für Deutschlan­d und danach bis 2012 noch sechsmal für Italien bei Olympia dabei gewesen.

Tschussowi­tina gewann in Peking 2008 Olympiasil­ber für Deutschlan­d. Nach den Spielen von London vier Jahre später ging sie in ihre Heimat zurück und startet mittlerwei­le wieder für Usbekistan. Ihr Haus in Pulheim verkaufte sie, doch der komplett genesene Alisher wohnt nach wie vor in Bergisch-Gladbach, macht dort sein Abitur. In die Fußstapfen der Mutter wollte er nie treten. Als Kind spielte er Fußball, jetzt trainiert der 19-Jährige Basketball­kinder.

In Taschkent hat sich Oksana Tschussowi­tina inzwischen eine Privatschu­le aufgebaut, wo sie Kinder im Gesundheit­straining betreut. »Aber kein Leistungss­port«, sagt sie. »Der steht mir bis hier«, fügt sie an und hält die Hand an die Kehle. Irgendwie muss er ihr aber doch Spaß machen, sonst würde sie dem Turnen längst Adieu sagen.

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Foto: imago/Xinhua Oksana Tschussowi­tinia springt im WM-Finale.

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