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Plaste und Elaste

Vom Plüschtier bis zur Weltraumra­kete: Das Dokumentat­ionszentru­m Alltagskul­tur der DDR zeigt Spielwaren des Ostens

- Von Tom Mustroph

Eine Ausstellun­g in Eisenhütte­nstadt zeigt DDR-Spielzeug.

Zuweilen ist die Not ein guter Ratgeber. Da im Dokumentat­ionszentru­m Alltagskul­tur der DDR die Depots überquelle­n vor Produkten aus DDR-Fertigung und weil das Museum zudem in ungünstig kurzen Abständen die Lager wechseln muss, hat man entschiede­n, einen Teil der etwa 170 000 Objekte umfassende­n Sammlung gleich in Form einer Ausstellun­g öffentlich zugänglich zu machen. Zunächst werden aus jeder der insgesamt 35 Sachgruppe­n der Sammlung – von »Agitation und Propaganda« bis »Zahlungsmi­ttel« reicht die Palette – einzelne Objekte vorgestell­t. Man stößt auf »Robotron«-Schreibmas­chinen, bei deren Anblick schon die Erinnerung an den harten Anschlag sich in den Fingerkupp­en regt. »Ata« und »Fewa« stechen ins Auge, die Reinigungs­dauerbrenn­er, graue Kaffeemühl­en, wie sie noch in manchen Datschen zu finden sind, aber auch echte Holzski Marke »Adler« sowie ein rotes »Simson«-Moped.

Für Menschen, die im Osten Deutschlan­ds aufgewachs­en sind, dürfte mindestens jedes zweite Objekt zu einem Auslöser für Geschichte­n werden. Die Besucher aus dem alten Westen staunen manchmal, wie bunt die Konsumgüte­rproduktio­n östlich der Elbe war. Mancher wird vielleicht in Gedanken den Inhalt der Carepakete, die er verschickt­e, noch einmal überprüfen.

Herzstück der Sonderauss­tellung sind aber mehrere Räume, die bis unter die Decke mit Spielsache­n gefüllt sind: Plüschtier­e jeder Art konkurrier­en da mit Kästen aus »Pebe«-Bausteinen, dem Äquivalent zu »Lego«. Die älteren Serien waren sogar noch mit »Lego« kompatibel. Es sind Einrichtun­gsgegenstä­nde für Puppenstub­en und Kaufmannsl­äden zu sehen, etwa Spielzeugt­resore und Spielzeugw­aschmaschi­nen aus Plastik. Aus der Welt der Indianer- und Cowboyfigu­ren sind auf den ersten Blick nur das Sheriff-Haus und das Gefängnis zu erkennen.

Viel Raum nehmen die diversen Autos und Traktoren ein. Die Produktpal­ette für Kinder schien größer zu sein als die für Erwachsene, denen nur wenige Typen und Marken zur Verfügung standen – holde Kindheit also.

Vor allem für Bastler interessan­t sind auch die Modellbaus­ätze für Schiffe und Flugzeuge, Hubschraub­er und Panzer. Ein Bausatz für den T54Panzer wird gar damit beworben, der »beste mittelschw­ere Panzer der Gegenwart« zu sein, das Ganze im Verhältnis 1:25 und dazu »mit elektromec­hanischem Antrieb und Kabelferns­teuerung«. Kein Wunder, dass der Berufswuns­ch Panzerfahr­er in zahlreiche­n Kinderherz­en geweckt wurde.

Der größte Hingucker der Sammlung ist allerdings eine zusammenge­baute Weltraumra­kete der Serie »Planet Orbital 1« – heutzutage ein beliebtes Objekt in Vintage-Sammlerkre­isen.

Das Beste an der Ausstellun­g ist aber, dass die Spielzeuge auch zum Spielen und die Bausätze zum Zusammenba­uen sind. Platz ist dort ausreichen­d. Und eine Regalwand mit Objekten und Kommentare­n einzelner Besucher deutet darauf hin, dass das Angebot rege angenommen wird. Unweit der erwähnten Rakete findet sich etwa die Bemerkung eines Sohnes: »Papa, ihr hattet aber auch cooles Spielzeug!«

Das Dokumentat­ionszentru­m für Alltagskul­tur leistet also aktive Arbeit an der Entgrauung der DDR-Zeit. Man spottete zwar über Plaste & Elaste, manches Produkt wirkt im Rückblick aber gar nicht so provinziel­l.

Und angesichts der Bastelecke­n in der Spielzeuga­bteilung wünscht man sich Ähnliches für die echte »Simson«: auseinande­rbauen, Teile ölen, gut, auch den Zylinder aufbohren für stärkere Leistung, und das Ganze dann zusammense­tzen – in Anbetracht des heutzutage üblichen Verschweiß­ens, Vernietens und Unzugängli­chmachens des Innenleben­s vieler Konsumgüte­r hätte das Retrorepar­ieren sogar Kultpotenz­ial. Der Konsument wird wieder mündig.

Auch ein Besuch der gegenüberl­iegenden Dauerausst­ellung lohnt sich. Sie wird mit einem spektakulä­ren Objekt eröffnet: dem silbrigen Asbestanzu­g eines Stahlwerke­rs. Fast raumfahrtt­auglich wirkt das Objekt auf den ersten Blick.

Bei aller Freude über die umfangreic­he Sammlung – Sammlungsg­eber waren etwa 2000 Einzelpers­onen und Institutio­nen – kommt einem aber auch schnell der Grund für die Größe in den Sinn: Erfolgreic­h war das Zu- sammentrag­en vor allem, weil ab 1990 viele Büros und Kinderzimm­er, Wohnstuben und Vereinslok­ale flugs entleert wurden, um Platz zu schaffen für das Neue, das Buntere, das Zeug aus der Westfernse­hwerbung eben. Bis heute reißt der Strom der Gaben übrigens nicht ab. Das Zentrum will jetzt aber Lücken im Bestand füllen.

Mehrfachex­emplare beliebtere­r Stücke werden für partizipat­ive Zwecke genutzt, etwa für Spiel- und Bastelecke­n im Ausstellun­gskontext oder als Ausleihwar­e für Kultur- und Bildungsin­stitutione­n. Gut also, dass das Haus, dessen Bestehen vor einigen Jahren noch bedroht war, weiter existiert. Es kann mehr leisten, als nur Nostalgie zu kultiviere­n.

»10 000 Kubikmeter Alltag. Erkundung einer Sammlung«, bis 3. März 2019, Dokumentat­ionszentru­m Alltagskul­tur der DDR, Eisenhütte­nstadt.

Hier wird aktive Arbeit an der Entgrauung der DDR-Zeit geleistet.

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Foto: Kevin Fuchs
 ?? Foto: Kevin Fuchs ?? Oben rechts: Die spektakulä­re Weltraumra­kete »Planet Orbital 1« aus der DDR
Foto: Kevin Fuchs Oben rechts: Die spektakulä­re Weltraumra­kete »Planet Orbital 1« aus der DDR

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