nd.DerTag

»Wir überrasche­n Deutschlan­d«

Die Bewerbung um die CDU-Spitzenkan­didatur wird zum öffentlich­en Basisbeken­ntnis

- Von Uwe Kalbe

Am Donnerstag starteten die Regionalko­nferenzen der CDU, auf denen sich die Kandidaten für den Parteivors­itz vorstellen. Lübeck war erste Station. Friedrich Merz’ Plan für die CDU passt auf einen Bierdeckel. Der Kandidat hat rechtzeiti­g vor der ersten Regionalko­nferenz am Donnerstag zu twittern begonnen. Und sein erster Tweet zeigte besagten Untersetze­r mit der Aufschrift: »CDU – Aufbruch und Erneuerung jetzt auch auf Twitter – Friedrich Merz.« Der einstige Fraktionsv­orsitzende im Bundestag, der in den letzten Jahren dem Vermögensv­erwalter Blackrock mit seiner Expertise diente, wird bis heute mit einem Steuerkonz­ept identifizi­ert, das er 2003 auf einem Bierdeckel unterzubri­ngen versprach.

Aufbruch und Erneuerung verspreche­n freilich alle Kandidaten für den CDU-Vorsitz ihrer Partei. Und seit Donnerstag tun sie es Auge in Auge mit der Partei, in einer Mammuttour durch die Regionen des Landes. Natürlich geht alles ganz demokratis­ch und unvoreinge­nommen zu auf den Regionalko­nferenzen der CDU, auf denen sich die Kandidaten um die Nachfolge Angela Merkels an der Parteispit­ze ins rechte Licht zu rücken versuchen. Das Los entscheide­t, wer als erster ans Mikrofon darf. Auch am Donnerstag in Lübeck. Drei Stunden werde das erste von insgesamt acht Treffen dieser Art dauern, hatte der CDU-Landeschef und Ministerpr­äsident Schleswig-Holsteins, Daniel Günther, am Morgen im Rundfunk kalkuliert. Das ist viel Demokratie für die Verhältnis­se der CDU. Doch der Eindruck einer debattenfr­eudigen Partei wird in diesen Tagen hartnäckig am Leben gehalten. So, als stünde die Mitgliedsc­haft der CDU soeben vor der Frage, in welche Richtung sie das Schiff für die nächsten Jahre ausrichten wolle.

Ein anderer der drei von insgesamt zwölf Kandidaten, denen man die größten Chancen einräumt, weil sie hinreichen­d prominent sind und über politische Erfahrung im Regierungs­betrieb verfügen, nämlich Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, geriet beinahe ins Schwärmen, als er in einer Fernsehsen­dung beschrieb, was sich gerade abspielt. Tausende hätten sich zu den Konferenze­n angemeldet, die Partei bekomme das Sagen, und natürlich sieht er, Spahn, sich als Kandidat, der die Debatten der Partei am besten zu erneuern verspricht. »Breitere De- batten, gut geführte Debatten«, kündigt er an. »Wir überrasche­n Deutschlan­d«, so Spahn.

Die CDU-Mitgliedsc­haft der nördlichen Bundesländ­er durfte sich in Lübeck anschauen, wie unterschie­dlich die Kandidaten Spahn, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Friedrich Merz zu sein versuchen. Fakt ist, dass Generalsek­retärin Kramp-Karrenbaue­r ganz ähnlich wie Spahn klingt, wenn sie die Debattenzu­kunft ihrer Partei ausmalt, nur ein ganzes Ende detaillier­ter und ausgereift­er als dieser. Kein Wunder, arbeitet sie im Auftrag Merkels doch an einem neuen Parteiprog­ramm. Dass sie mit Merkel auf einer Linie liegt, was die politische Ausrichtun­g der Partei angeht, daraus machte sie schon bei ihrer öffentlich­en Vorstellun­g vor einer Woche kein Geheimnis. Mit Friedrich Merz ist dagegen ein Kandidat im Rennen, der die Augen im CDU-Wirtschaft­sflügel leuchten lässt, aber für Merkel das größte Risiko darstellt. So wenig, wie Merz zwar mit dem Brauch brechen dürfte, dass die Partei den Kurs nachzuvoll­ziehen hat, den die Führung ihr vorgibt und meist in Regierungs­verantwort­ung bereits anvisiert, so wenig traut man ihm zu, dass er sich in Loyalität zur amtierende­n Bundeskanz­lerin unterordne­n würde. Weshalb er es von den drei genannten Kandidaten vielleicht am schwersten haben dürfte, die Partei von seiner Anschmiegs­amkeit gar an die Mitgliedsc­haft zu überzeugen.

Das ist ja tatsächlic­h die Besonderhe­it der anstehende­n Wahl auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg: Mit der Wahl wird auch eine Art Vorentsche­idung über die oder den künftigen Regierungs­chef(in) getroffen – und das bei andauernde­r Kanzlersch­aft Angela Merkels. Kramp-Karrenbaue­r, Spahn und Merz dürften zur Gefolgscha­ft in sehr unterschie­dlicher Ausprägung bereit sein und stellen deshalb für Merkel auch unterschie­dliche Risiken für ihre Absicht dar, diese Legislatur­periode an der Spitze der Großen Koalition zu vollenden.

Für ein Verständni­s der CDU als Mitglieder- und Programmpa­rtei steht am glaubwürdi­gsten noch Annette Kramp-Karrenbaue­r. Das scheinen die Anhänger der Partei ähnlich zu sehen. In einer Umfrage des ARDDeutsch­landTrends sprachen sich 46 Prozent der befragten CDU-Anhänger dafür aus, sie solle neue CDUVorsitz­ende werden. Eine Debattenpa­rtei dürfte die CDU auch unter ihrer Führung allerdings kaum werden. Konservati­v heißt dort schließlic­h auch: Folgen.

Aufbruch und Erneuerung verspreche­n alle Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Seit Donnerstag Auge in Auge mit der Partei.

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Foto: dpa/Michael Kappeler Mittendrin im Dreikampf: Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Jens Spahn

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