An Migration kommt keiner vorbei
Iberoamerikanischer Gipfel in der einstigen »spanischen« Hauptstadt Antigua
Im Luxushotel Casa Santo Domingo in Antigua hört die Gelassenheit in dieser Woche auf. Polizei und Militär haben Teile der Innenstadt von Antigua gesperrt, überall gibt es Sicherheitskontrollen. Denn am Freitag findet hier der Iberoamerika-Gipfel statt. Staats- und Regierungschefs aus 20 amerikanischen Staaten treffen sich; und die beiden ehemaligen Kolonialmächte sind dabei, Portugal und Spanien. Bis 1733 war Antigua Hauptstadt der spanischen AmerikaBesitzungen. Thema ist »Ein erfolgreiches, integratives und nachhaltiges Iberoamerika«. Das klingt nach Weitsicht, Visionen für den Halbkontinent. Solch hehre Gedanken aber zerschellen an der Betonmauer der Realität. Besser: am Metallzaun der Grenze zwischen Mexiko und den USA. In Tijuana sind am Vortag der Beratungen die ersten 400 Flüchtlinge angekommen, die über die Grenze ins kalifornische San Diego wollen. Sie hatten Geld für die Busfahrt. Die Mehrzahl des Migrantenstroms, den US-Präsident Donald Trump als »Invasion« bezeichnet hat, ist noch zu Fuß unterwegs, in drei Kolonnen, noch 1000 oder sogar 1500 Kilometer von Tijuana entfernt. Gut 8500 sind es, nach Schätzungen von Hilfsorganisationen. Sie marschieren in drei getrennten Kolonnen.
Mit Bildern von den am Grenzübergang San Diego auf US-Seite angebrachten Stacheldrahtbarrieren und von jungen Männern, die kaum angekommen auf den hohen Metallzaun an der Grenze geklettert sind, dürfte die Migrationskrise zum überlagernden Thema bei der Konferenz in Antigua werden. Sie hat zwei Seiten. Zum einen geht es um die seit Jahren immer wieder aus den zentralamerikanischen Staaten Honduras, El Salvador und Guatemala durch Mexiko ziehenden Menschen, die sich in den USA ihren Traum von einem von Not und Gewalt freien Leben er- füllen wollen. Zum anderen geht es um die Flüchtlinge aus den krisengeschüttelten Venezuela und immer häufiger auch Nicaragua. Nicaraguas Präsident Daniel Ortega will nach Guatemala kommen. Die Flucht aus seinem Land hält sich noch in Grenzen. Ganz anders sieht es im Land seines Freundes Nicolás Maduro aus. 2,3 Millionen sind nach Schätzung der UN bisher geflohen, weil es im einst reichen Venezuela an allem mangelt, auch an Lebensmitteln und Medikamenten. Und aus politischen Gründen. Das von der Opposition dominierte Parlament ist durch die Verfassunggebende Versammlung entmachtet worden und prominente Oppositionelle sitzen im Gefängnis.
800 000 Venezolaner sind ins benachbarte Kolumbien geflohen, viele von ihnen aus wirtschaftlicher Not. Zwar hat das Maduro-Regime eben erst den Mindestlohn um Hunderte Prozent angehoben. Aber es sind immer noch erst 27 Dollar im Monat. mit denen kaum über die Runden zu kommen ist. Neben Kolumbien sind auch Brasilien, Peru und Chile Zufluchtsländer.
Für die Aufnahmestaaten ist das ein Riesenproblem. Die meisten Venezolaner kommen auf Dauer. Denn die Not zu Hause ist ein Langzeitproblem. Das erdölreichste Land der Welt fördert nur noch gut ein Drittel seiner früheren Erdölproduktion. Nach Schätzung der Weltenergieagentur IEA braucht Venezuela, selbst bei wiederhergestellten geordneten Verhältnissen, bis 2040, um wieder auf das alte Produktionsniveau zurückzukehren. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.