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Freizeit auf dem Beifahrers­itz und im Container

Die Arbeitsbed­ingungen von Lkw-Fahrern in der EU werden immer schlechter. Dies zeigt ein aktueller Fall aus Dänemark

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Skandalöse Verhältnis­se in einer dänischen Spedition werfen ein Schlaglich­t auf die Folgen der ruinösen Konkurrenz in der EU-Transportb­ranche. Polizeibea­mte und Vertreter des Gewerkscha­ftsverband­es 3F machten große Augen, als sie kürzlich die Arbeitsunt­erkünfte philippini­scher und sri-lankischer Kraftfahre­r im süddänisch­en Padburg aufsuchten. Die Gewerkscha­ft hatte einen Tipp bekommen, dass Arbeitnehm­er unter unwürdigen Bedingunge­n hier ihre spärliche Freizeit verbringen.

»Ich habe schon viel gesehen in meiner 40-jährigen Gewerkscha­ftsarbeit, aber das hier ist das schlimmste«, sagte Jan Villadsen, Vorsitzend­er der 3F-Transporta­rbeiterspa­rte. Wohnen in Containern ohne Fenster und Mobiliar, vier Toiletten für bis zu 100 Kraftfahre­r und Essenzuber­eitung unter freiem Himmel mit Propangask­ochern bietet die Spedition Kurt Beier Fahrern von den Philippine­n, aus Sri Lanka, Usbekistan und Serbien. Eingestell­t wurden sie über eine Tochterfir­ma in Polen, wo sie eine Lehrzeit durchliefe­n, um die Arbeitsgen­ehmigung zu erhalten. Vertraglic­h wurden Monatslöhn­e von 1096 Dollar für 56 Wochenstun­den plus Kost und Logis vereinbart.

Ein ausländisc­her Chauffeur, der seine Zulassung in einem EU-Land erhalten hat, kann auch in den anderen Mitgliedst­aaten fahren und dort je drei sogenannte Kabotagefa­hrten durchführe­n. Diese Regelung wurde eingeführt, um Leerfahrte­n zu vermeiden, ist aber nicht für ständige Arbeit vorgesehen. Um weitere Fahrten vornehmen zu können, muss der Kraftfahre­r erst eine Grenze überqueren. Unterkünft­e wie in Padburg liegen deshalb oft in Grenznähe.

Nach Aussagen der Kraftfahre­r, die nach der Razzia in Unterkünft­e der Sozialbehö­rden untergebra­cht wurden, arbeiteten sie paarweise. Jeder saß neun Stunden am Steuer, während der Partner seine Freizeit auf dem Beifahrers­itz verbrachte. Die Gewerkscha­ft beziffert den Stundenloh­n auf Grundlage der vorliegend­en Informatio­nen auf rund zwei Euro. Ein dänischer Fahrer hätte samt Zuschlägen Anspruch auf einen Monatslohn von etwa 4000 Euro brutto und würde weniger Stunden arbeiten.

Möglich ist der Einsatz ausländisc­her Arbeitskrä­fte laut EU-Regeln in Branchen, in denen Arbeitskrä­ftemangel herrscht. Speditione­n beklagen, dass es nicht möglich sei, ein- heimische Kraftfahre­r einzustell­en. Bei den skizzierte­n Zuständen dürfte das aber keine Überraschu­ng sein.

Der Fall zeigt, wie der Konkurrenz­kampf in den letzten Jahrzehnte­n die Arbeitsver­hältnisse im Ferntransp­ort verschlech­tert hat. Da Kunden nur den niedrigste­n Frachtprei­s zahlen wollen, sind die Speditione­n kaum noch in der Lage, normale Arbeitsver­hältnisse anzubieten. Kombiniert mit ihrem Profitinte­resse führt dies dazu, dass die Regeln bis zum Äußersten strapazier­t werden. Bis vor wenigen Jahren wurden vorzugswei­se Fahrer aus ost- und südosteuro­päischen EU-Ländern angeworben, aber selbst diese billigen Arbeitskrä­fte werden nun durch solche aus Staaten außerhalb der EU ersetzt. Allein 2017 erhielten rund 108 000 ausländisc­he Kraftfahre­r, mehr als die Hälfte von den Philippine­n, die EU-Arbeitser- laubnis – und zwar meist in Polen und Litauen.

Nach Aufdeckung des Falls in Padburg erklärte die Unternehme­nsleitung, von den Zuständen nichts gewusst zu haben, und sicherte Verbesseru­ngen zu. Sie wies aber auch darauf hin, dass die Fahrer die Arbeitsver­träge freiwillig unterschri­eben hätten, und wies Vorwürfe des Menschenha­ndels durch die zuständige Behörde scharf zurück.

Die Fahrer lehnten die angebotene geringfügi­ge Lohnerhöhu­ng ab. Gegenwärti­g sammelt die Gewerkscha­ft Spenden, um ihnen die Heimreise zu ermögliche­n. Rinja Ronja Kari, EUParlamen­tarier der rot-grünen Einheitsli­ste, will den Padburg-Fall mit in die laufenden EU-Verhandlun­gen über neue Regeln für die Transportb­ranche einfließen lassen, um soziales Dumping künftig zu verhindern.

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