Freizeit auf dem Beifahrersitz und im Container
Die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern in der EU werden immer schlechter. Dies zeigt ein aktueller Fall aus Dänemark
Skandalöse Verhältnisse in einer dänischen Spedition werfen ein Schlaglicht auf die Folgen der ruinösen Konkurrenz in der EU-Transportbranche. Polizeibeamte und Vertreter des Gewerkschaftsverbandes 3F machten große Augen, als sie kürzlich die Arbeitsunterkünfte philippinischer und sri-lankischer Kraftfahrer im süddänischen Padburg aufsuchten. Die Gewerkschaft hatte einen Tipp bekommen, dass Arbeitnehmer unter unwürdigen Bedingungen hier ihre spärliche Freizeit verbringen.
»Ich habe schon viel gesehen in meiner 40-jährigen Gewerkschaftsarbeit, aber das hier ist das schlimmste«, sagte Jan Villadsen, Vorsitzender der 3F-Transportarbeitersparte. Wohnen in Containern ohne Fenster und Mobiliar, vier Toiletten für bis zu 100 Kraftfahrer und Essenzubereitung unter freiem Himmel mit Propangaskochern bietet die Spedition Kurt Beier Fahrern von den Philippinen, aus Sri Lanka, Usbekistan und Serbien. Eingestellt wurden sie über eine Tochterfirma in Polen, wo sie eine Lehrzeit durchliefen, um die Arbeitsgenehmigung zu erhalten. Vertraglich wurden Monatslöhne von 1096 Dollar für 56 Wochenstunden plus Kost und Logis vereinbart.
Ein ausländischer Chauffeur, der seine Zulassung in einem EU-Land erhalten hat, kann auch in den anderen Mitgliedstaaten fahren und dort je drei sogenannte Kabotagefahrten durchführen. Diese Regelung wurde eingeführt, um Leerfahrten zu vermeiden, ist aber nicht für ständige Arbeit vorgesehen. Um weitere Fahrten vornehmen zu können, muss der Kraftfahrer erst eine Grenze überqueren. Unterkünfte wie in Padburg liegen deshalb oft in Grenznähe.
Nach Aussagen der Kraftfahrer, die nach der Razzia in Unterkünfte der Sozialbehörden untergebracht wurden, arbeiteten sie paarweise. Jeder saß neun Stunden am Steuer, während der Partner seine Freizeit auf dem Beifahrersitz verbrachte. Die Gewerkschaft beziffert den Stundenlohn auf Grundlage der vorliegenden Informationen auf rund zwei Euro. Ein dänischer Fahrer hätte samt Zuschlägen Anspruch auf einen Monatslohn von etwa 4000 Euro brutto und würde weniger Stunden arbeiten.
Möglich ist der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte laut EU-Regeln in Branchen, in denen Arbeitskräftemangel herrscht. Speditionen beklagen, dass es nicht möglich sei, ein- heimische Kraftfahrer einzustellen. Bei den skizzierten Zuständen dürfte das aber keine Überraschung sein.
Der Fall zeigt, wie der Konkurrenzkampf in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsverhältnisse im Ferntransport verschlechtert hat. Da Kunden nur den niedrigsten Frachtpreis zahlen wollen, sind die Speditionen kaum noch in der Lage, normale Arbeitsverhältnisse anzubieten. Kombiniert mit ihrem Profitinteresse führt dies dazu, dass die Regeln bis zum Äußersten strapaziert werden. Bis vor wenigen Jahren wurden vorzugsweise Fahrer aus ost- und südosteuropäischen EU-Ländern angeworben, aber selbst diese billigen Arbeitskräfte werden nun durch solche aus Staaten außerhalb der EU ersetzt. Allein 2017 erhielten rund 108 000 ausländische Kraftfahrer, mehr als die Hälfte von den Philippinen, die EU-Arbeitser- laubnis – und zwar meist in Polen und Litauen.
Nach Aufdeckung des Falls in Padburg erklärte die Unternehmensleitung, von den Zuständen nichts gewusst zu haben, und sicherte Verbesserungen zu. Sie wies aber auch darauf hin, dass die Fahrer die Arbeitsverträge freiwillig unterschrieben hätten, und wies Vorwürfe des Menschenhandels durch die zuständige Behörde scharf zurück.
Die Fahrer lehnten die angebotene geringfügige Lohnerhöhung ab. Gegenwärtig sammelt die Gewerkschaft Spenden, um ihnen die Heimreise zu ermöglichen. Rinja Ronja Kari, EUParlamentarier der rot-grünen Einheitsliste, will den Padburg-Fall mit in die laufenden EU-Verhandlungen über neue Regeln für die Transportbranche einfließen lassen, um soziales Dumping künftig zu verhindern.