nd.DerTag

Mit dem Sturmgeweh­r geweckt

560 Polizisten durchsuche­n in Berlin Wohnungen von angeblich linken Gewalttäte­rn

- Von Maria Jordan und Marie Frank

Hunderte Einsatzkrä­fte stürmen mit Hilfe des SEK am Donnerstag­morgen mehrere Wohnungen, unter anderem in der »Rigaer94«. Grund für die Razzia war angeblich der Überfall auf einen Spätkauf. Erst am Vormittag ziehen die Mannschaft­swagen der Polizei aus der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichs­hain wieder ab. Mehrere Stunden dauerte der Großeinsat­z, bei dem insgesamt 560 schwer bewaffnete Beamte vier Wohnungen in zwei Bezirken durchsucht­en – auf der Suche nach Personen, die im Mai den Betreiber eines Spätkaufs angegriffe­n und verletzt haben sollen.

»Ich bin davon aufgewacht, dass Leute über die Zäune geklettert sind«, berichtet ein Anwohner der Rigaer Straße. »Als wir aus dem Fenster sahen, hatten wir sofort Zielpunkte von Laserpoint­ern im Gesicht«. Zur Razzia im Hausprojek­t »Rigaer94« war neben Einsatzhun­dertschaft­en auch das Spezialein­satzkomman­do (SEK) erschienen – mit Sturmgeweh­ren bewaffnet. Das zeigen Videoaufna­hmen von der Durchsuchu­ng, die am Donnerstag­morgen gegen 6 Uhr begann.

Den Einsatz von Sturmgeweh­ren hält der innenpolit­ische Sprecher der Linksparte­i, Hakan Taş, für »absolut unverständ­lich«. »Es geht natürlich nicht, dass irgendwelc­he Polizeikrä­fte, auch wenn sie vom SEK sind, mit Sturmgeweh­ren im Einsatz sind. Wir sind schließlic­h nicht im Krieg«, sagte Taş dem »nd«. »Nur um Beweismitt­el sicherzust­ellen, braucht man keine Sturmgeweh­re.«

Eine Polizeispr­echerin bestätigte dem »nd« die Durchsuchu­ngen in der Rigaer Straße, der Grünberger Straße (beide Friedrichs­hain), der Reichenber­ger Straße (Kreuzberg) und am Maybachufe­r (Neukölln). Man habe gehofft, insgesamt sieben Tatverdäch­tige festzusetz­en, die wegen Körperverl­etzung und Sachbeschä­digung gesucht werden, weil sie im Mai 2018 gemeinscha­ftlich einen Spätkaufbe- treiber in der Reichenber­ger Straße angegriffe­n, geschlagen und zu Boden gebracht haben sollen. Man habe vier Verdächtig­e angetroffe­n, die noch am selben Morgen wieder freigelass­en wurden. Die Beamten beschlagna­hmten mutmaßlich­e Beweismitt­el in den Wohnungen, darunter Kleidung, Handys und Laptops. Diese würden jetzt ausgewerte­t, hieß es.

In der »Rigaer94« durchsucht­en Beamte nur eine Wohnung, trafen die verdächtig­e Person dort jedoch nicht an. Auch hier soll Beweismate­rial beschlagna­hmt worden sein. Die Einsatzkrä­fte schleppten unter anderem Leiter und Säge in das Haus. Auch ein Hubschraub­er war im Einsatz. Der Anwalt des Hausprojek­ts, Lukas Theune, sei zwar rechtzeiti­g vor Ort gewesen, aber von der Polizei so lange hingehalte­n worden, bis die Razzia vorbei war, berichtet sein Kollege Martin Henselmann dem »nd«. »Die Polizei hat offenbar noch nicht gelernt, dass es ein rechstaatl­iches Prinzip ist, dass der Verteidige­r bei einer Durchsuchu­ng dabei sein darf«, so Henselmann. Sein Kollege habe eine Dreivierte­lstunde lang erfolglos versucht, ins Haus zu kommen. »Und das – was ich eine besondere Sauerei finde – trotz Anwesenhei­t des Staatsanwa­lts.«

Innensenat­or Geisel (SPD) betonte im »rbb«, dass es sich nicht um eine politische Auseinande­rsetzung handele, sondern um strafrecht­liche Ermittlung­en im kriminelle­n Milieu. »Wir setzen die Regeln des Staates durch und haben keine Angst davor, dass Menschen mit Gewalttäti­gkeiten drohen«. Der Rechtsstaa­t kenne keine weißen Flecken, so Geisel.

In linken Kreisen empfindet man den Großeinsat­z der Polizei durchaus als politisch. »Das Ganze war doch nur dazu da, Linke zu kriminalis­ieren. Die Geschichte mit dem Späti ist einfach unglaubwür­dig«, sagt eine Nachbarin aus der Rigaer Straße. In sozialen Medien werden ähnliche Zweifel laut: »Hallo @spdberlin, ist das hier wirklich der Vorfall, wegen dem heute ›nicht politisch‹ Hunderte Polizisten, das SEK und ein Hubschraub­er im Einsatz in linken Häusern waren?«, fragt eine Twitternut­zerin in Bezug auf das Video, dass den Vorfall in besagtem »Späti« zeigen soll. »Die @polizeiber­lin inszeniert einen Großeinsat­z mit SEK wegen eines Überfalls auf einen Spätkauf. Das ist doch lächerlich. Hier geht es mal wieder um gezielte Diskrediti­erung ungeliebte­r Menschen«, twittert die Erwerbslos­eninitiati­ve »Basta«.

Die Berliner CDU rügt Geisel für seine Aussage. Es sei befremdlic­h, wenn der Innensenat­or sagt, es habe keinen politische­n Hintergrun­d gegeben, so der Abgeordnet­e Kurt Wansner. »Damit erweckt er den falschen und fatalen Eindruck, Polizeiein­sätze könnten politisch beeinfluss­t sein.« Mit Blick auf »bewusste Fehldeutun­gen in der linken Szene« müsse er klarstelle­n, dass Polizeiein­sätze sich immer auf Straftaten beziehen und niemals auf politische Hintergrün­de.

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Foto: dpa/Paul Zinken SEK-Beamter mit Sturmgeweh­r in der Rigaer Straße

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