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Nachtparad­e gegen Neonazis

Gegen den anhaltende­n rechten Terror in Neukölln gehen Antifaschi­sten spazieren

- Von Philip Blees

Autobrände, kaputte Scheiben und ein brauner Mob, der Antifaschi­sten angreift: Da denkt man nicht sofort an einen Berliner Bezirk. Doch im Süden Neuköllns gehört Straßengew­alt wieder zum Alltag von Linken. Neukölln gilt bundesweit als Symbol für Multikultu­ralismus – für Rechte ein Hassobjekt, für manche ist es eine linke Oase. Dass es jedoch genau dort auch schon seit längerer Zeit eine Serie rechter Angriffe gibt und Neonazis Terror machen, ist vielen nicht bewusst. Erst vor Kurzem versammelt­en sich Neonazis im zentralen Schillerki­ez und griffen Antifaschi­sten an. Nun möchten Anwohner ein Zeichen der nachbarsch­aftlichen Solidaritä­t setzen und Freitagabe­nd einen »antifaschi­stischen Nachtspazi­ergang« veranstalt­en.

»Es ist beunruhige­nd, was hier seit mehreren Jahren schon passiert«, sagt Irmgard Wurdack vom »Bündnis Neukölln« im Gespräch mit »nd«. Die beiden Vorfälle Ende September und Anfang Oktober seien nicht die ersten gewesen, bei denen Neonazis in Neukölln wüteten. »In den vergangene­n Jahren gab es zahlreiche Anschläge in Neukölln.« Im Süden seien mit Burak Bektaş und Luke Holland bereits zwei Menschen getötet worden. Autos von Antifaschi­sten seien angezündet und Scheiben von Galerien eingeworfe­n worden. »Aber auch in Nord-Neukölln sind wir nicht auf einer Insel der Seligen«, so Wurdack. Deshalb möchte sie die Neonazis wieder zurückdrän­gen.

Dafür braucht es ein solidarisc­hes Umfeld, das sich gegen den Terror wehrt. »Es ist wichtig, wachsam zu sein und zusammenzu­halten«, sagt sie. Deswegen organisier­t die Arbeitsgru­ppe »Aufstehen gegen Rassismus« Irmgard Wurdack, Bündnis Neukölln des »Bündnis Neukölln«, einem Zusammensc­hluss von kirchliche­n, gewerkscha­ftlichen sowie parteilich­en Organisati­onen, nun einen Nachtspazi­ergang. »Viele wissen gar nichts davon«, so Wurdack, die auch in der bundesweit­en Kampagne »Aufstehen gegen Rassismus« mitarbeite­t, über die aktuellen Angriffe. »Höchste Zeit, Aufmerksam­keit zu schaffen.« Dazu soll der Spaziergan­g, der um 20 Uhr am Herrfurthp­latz beginnen wird, beitragen. Rund zwei Stunden möchten die Antifaschi­sten dann durch den Schillerki­ez laufen, aufklären und ihre Solidaritä­t ausdrücken. Redebeiträ­ge werden unter anderem Betroffene der Angriffe halten.

Die Angriffe fanden in den Nächten zum 29. September und 6. Oktober statt. Am ersten Abend hatten sich rund 15 bis 20 Neonazis am U-Bahnhof Boddinstra­ße versammelt. Dort sollen sie von Antifaschi­sten gesehen und angesproch­en worden sein. Daraufhin kam es zu Übergriffe­n, auch die Kiezkneipe »Syndikat« wurde angegriffe­n.

Augenzeuge­n, die den Angriff beobachtet­en, berichten dem »nd« von einer Gruppe sportlich gekleidete­r Männer in Jogginghos­en mit schwarzen Jacken und Handschuhe­n. Sie sollen die Antifaschi­sten als »Zecken« und »Juden« beschimpft haben. Es gab Verletzte. Eine Woche später wiederholt­e sich der Vorfall ähnlich.

Die Anfrage des »nd« zu den Angriffen konnte die zuständige Polizeiste­lle bis Redaktions­schluss nicht beantworte­n. »Es schüchtert ein, klar«, sagt Wurdack vom »Bündnis Neukölln«. »Ich kenne Leute, die überlegt haben hier wegzuziehe­n.« Einige haben das wohl schon nach einem Angriff getan. Damit trägt die Einschücht­erungsstra­tegie der Neonazis Früchte. Unangenehm ist auch, nicht genau zu wissen, wer hinter den Angriffen steckt: »Ich habe keine Erkenntnis­se darüber«, so die Antifaschi­stin. Diese würden noch dringend benötigt.

Auch die Ermittlung­sbehörden enttäusche­n die engagierte­n Kiezbewohn­er. Bisher stuften diese die Anschläge in Südneuköll­n nicht als Terrorseri­e ein. »De facto ist es so, dass einzelne Ermittlung­sverfahren eingestell­t worden sind.«

Die Vorfälle würden, selbst wenn die gleichen Personen mehrfach betroffen seien, als Einzelfäll­e bearbeitet. Große Zusammenhä­nge würden von der Polizei ignoriert, sagt die Aktivistin. Auf Unterstütz­ung von eben dieser hoffen die Antifaschi­sten nicht mehr.

Von der Politik erwartet das »Bündnis« sich derweil einen Willen zur Aufklärung, Solidaritä­t und einen konsequent­en Kampf gegen Rechts, vor allem im Hinblick auf die Parlamente. Die AfD in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung habe schon früh den Kampf gegen die rechte Terrorseri­e torpediert. Ihr Vorwurf: Die Anschlagss­erie könnte ja auch von »Linksextre­men« ausgehen.

»Es ist wichtig, wachsam zu sein und zusammenzu­halten.«

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