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Rot-Grün-Rot in Dresden auf der Kippe

Austritt dreier SPD-Fraktionär­e kostet das Bündnis im Stadtrat die Mehrheit / LINKE-Fraktionsc­hef bleibt gelassen

- Von Hendrik Lasch

Politische­r Paukenschl­ag in Dresden: Ein halbes Jahr vor der Wahl des neuen Stadtrats hat das Bündnis aus LINKE, Grünen und SPD seine absolute Mehrheit verloren. Mancher nahm es mit Sarkasmus. Als im Rathaus Dresden am Mittwoch die IT-Anlage zusammenbr­ach und Ämter wie die Führersche­inbehörde geschlosse­n bleiben mussten, schrieb der Dresdner Grünenpoli­tiker Achim Wesjohann lakonisch: »Mehrheit weg – und schon bricht das Chaos aus«.

Das Computerne­tz dürfte halbwegs flott zu reparieren sein. Wie gut das Linksbündn­is im Stadtrat freilich den Verlust der absoluten Mehrheit verkraftet, ist eine spannende Frage. Bisher hatten LINKE, Grüne und SPD im 70 Mitglieder zählenden Stadtparla­ment 37 Sitze. Damit ist es seit Dienstag vorbei. Drei bisherige Mitglieder der SPD-Fraktion erklärten den Austritt und gründeten zusammen mit einem vierten Stadtrat eine neue Fraktion. Rechnerisc­h kann das Bündnis damit ab sofort überstimmt werden – auch beim Beschluss des Haushalts, der in zwei Wochen auf der Tagesordnu­ng steht.

Die drei Parteien – und die Piraten, deren zwei gewählte Stadträte in der Fraktion der LINKEN mitarbeite­n – hatten bei der Kommunalwa­hl 2014 eine Mehrheit im zuvor oft zersplitte­rten oder von CDU und FDP dominierte­n Rat errungen. Sie wurde genutzt, um sich auf gemeinsame politische Projekte zu verständig­en. Es entstand ein Kooperatio­nspapier, das 2016 fortgeschr­ieben wurde. Zu den Kernprojek­ten gehören die Neugründun­g einer städtische­n Wohnungsge­sellschaft, eine stärkere Eigenständ­igkeit der Ortschafts­räte, ein Sozialtick­et und die fußgänger-, fahrradund bahnfreund­liche Gestaltung etlicher Verkehrsad­ern. Alle drei Parteien streben die Fortsetzun­g der Zusammenar­beit nach der Ratswahl im kommenden Jahr an. Die SPD etwa bekannte sich dazu erst kürzlich bei einem Stadtparte­itag, auf dem auch die Kandidaten aufgestell­t wurden.

Dabei gingen freilich drei bisherige Mitglieder der Fraktion leer aus, darunter mit Thomas Blümel ihr Geschäftsf­ührer. Dieser sowie Christian Bösl und der parteilose Chef des Mietervere­ins Peter Bartels erklärten nun ihren Austritt. Zur Begründung war die Rede von einem Mangel an Zusammenar­beit mit anderen Parteien im Rat und »Arroganz der Macht«. Bösl beklagte auch einen »Linksruck« innerhalb der SPD. Der Vorstand ihrer bisherigen Fraktion bedauerte indes, dass sie aus »verletzter Eitelkeit« gegangen seien. Bei der Linksfrakt­ion ist gar von einem »Rachefeldz­ug gegen die eigene Partei« die Rede.

Maßgeblich­e Akteure des Bündnisses stimmen allerdings nicht in bereits zu vernehmend­e Kassandrar­ufe ein, wonach Rot-Grün-Rot im Stadtrat damit ein halbes Jahr vor der Wahl Geschichte sei. Das Bündnis habe – gerade wegen eines abweichend­en Stimmverha­ltens der jetzt Ausgetrete­nen – schon bisher wiederholt auf Stimmen auf den eigenen Reihen verzichten müssen, heißt es. Weil aber der Rat jenseits des Bündnisses mit Abgeordnet­e von CDU, FDP, AfD und NPD heterogen ist, gewann man wichtige Abstimmung­en auch mit weniger als 37 Stimmen. Eine »gefestigte Mehrheit« gegen das rotgrün-rote Bündnis, sagt LINKE-Fraktionsc­hef André Schollbach, sei auch künftig nur möglich, wenn die ExSPD-Räte nicht nur mit CDU und FDP, sondern »darüber hinaus mit den Rechtsradi­kalen der AfD und den Na- zis der NPD paktieren«. Gedämpfter klingt die Zuversicht bei den Grünen. Deren Fraktionsc­hefin Christiane Filius-Jehne sagte, mit dem Austritt sei »eine funktionie­rende progressiv­e Gestaltung­smehrheit und die politische Stabilität im Stadtrat (...) infrage gestellt.« Ihr Kollege Thomas Löser verweist freilich ebenfalls auf den Umstand, dass es »gegen RGR keinen Dresdner Haushalt« geben werde, es sei denn, die Gegenseite verhandle auch mit AfD und NPD. Löser warnte, ohne zügigen Beschluss des Etats drohe 2019 eine Haushaltss­perre. Die drei Fraktionen müssten nun mit Oberbürger­meister Dirk Hilbert (FDP) beraten, wie ein solcher Beschluss gelingen könnte.

Das Bündnis im Stadtrat war in den vier Jahren seines Bestehens immer wieder in Turbulenze­n geraten. Streit gab es etwa zur Eigentumsf­orm der neuen Wohnungsge­sellschaft oder um die Ansiedlung des Großmarkte­s Globus auf dem Gelände eines einstigen Bahnhofs. Zudem galt mit Christian Avenarius ausgerechn­et der frühere Chef der SPD-Fraktion als nicht eben überzeugte­r Anhänger der Kooperatio­n. Als er im Frühjahr 2018 in das Verbindung­sbüro des Freistaats in Brüssel entsandt wurde, verstanden manche das auch als Schachzug seiner Partei, um die Lage in Dresden zu beruhigen. Nun sind es erneut Abgeordnet­e der SPD-Fraktion, die das Bündnis in Turbulenze­n bringen. Es zeige sich, kommentier­t der lange in Dresden beheimatet­e LINKE-Landesvize Silvio Lang, »wo die Fliehkräft­e bei R2G am größten sind: am rechten Rand der SPD.«

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Radwege führen an der Kulisse der historisch­en Dresdner Altstadt vorbei.

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