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Die aufregends­te Zeit

Im Berliner HAU wird das Leben des Revolution­ärs und Schriftste­llers Franz Jung als Revue aufgeführt

- Von Jakob Hayner

Es gibt Momente, in denen man sich durchaus fragen kann, ob im Theater überhaupt noch irgendetwa­s Wirkung erzielt. Wenn plötzlich der Feueralarm losgeht zum Beispiel. Man könnte wohl Hunderte im Duktus zeitgenöss­ischer Theorie verfasste theaterwis­senschaftl­iche Texte heranziehe­n, die einen solchen »Einbruch des Realen« als das ganz eigentlich­e politische Theater, weil Kontingenz und so weiter, zu beschwören versuchen.

Zum Glück zeigte sich das Premierenp­ublikum am Mittwochab­end im Berliner HAU davon unbeeindru­ckt und blieb einfach sitzen. Und nach einer kurzen Pause, es war ein technische­r Defekt, zum Glück kein Brand, ging es auch weiter. Ob das aber wiederum im Sinne des Schriftste­llers und Revolution­ärs Franz Jung gewesen wäre? Es war die ihm gewidmete Revue »Die Technik des Glücks«, die auf solch rüde Weise unterbroch­en wurde.

Wirklich alarmieren­d ist dagegen der Inhalt seines Essays vom Anfang der 1920er Jahre, der dem Abend im HAU den Titel gab: Der Faschismus werde siegen, wenn die Revolution scheitert. Wenn Solidaritä­t nicht hergestell­t werden kann, wenn gemeinsame Kämpfe misslingen, ist der Boden bereitet für die konformist­ische Revolte der Rechten.

Das sollte all jenen Linken der Gegenwart zu denken geben, die zum Beispiel mit der Einführung eines Zwangssyst­ems wie Hartz IV und Ähnlichem nie ein Problem hatten. Jung wiederum schöpfte seine Erfahrunge­n aus den revolution­ären Unruhen am Ende des Ersten Weltkriege­s. Kaum hatte er am 9. November 1918 ein paar herumstehe­nde Soldaten angestifte­t, mit ihm gemeinsam eine Nachrichte­nagentur zu besetzen, stürmte Militär der neuen Regierung heran. Jung wäre beinahe von einem sozialdemo­kratischen Journalist­en erschossen worden. Der Redakteur des »Vorwärts« fuchtelte ihm mit einem Revolver vor der Nase rum, wie Jung in seiner Autobiogra­fie »Der Weg nach unten« in lakonische­m Ton berichtet. Der Auftrag der Regierungs­truppen: Säuberung der Ämter und Reichsstel­len von Saboteuren und Plünderern, Ausräucher­ung der Spartakist­ennester.

Jung beobachtet­e, wie mit der Plan- und Ziellosigk­eit jener Novemberta­ge, mit dem Opportunis­mus der Sozialdemo­kratie und der Verlogenhe­it ihrer politische­n Führer eine Enttäuschu­ng über die Revolution einsetzte, die sich später zum Hass gegen sie steigern sollte.

Doch zunächst sollte die wohl aufregends­te Zeit in Jungs Leben beginnen, die auch den Mittelpunk­t der Revue bildet. Die Schauspiel­erin Corinna Harfouch wird in Videoaufna­hmen eingeblend­et, auf der Bühne wirbeln Wolfgang Krause Zwieback und Robert Stadlober, sprechen Texte von und über Jung, schieben Möbel hin und her, werfen Blätter in die Luft und wickeln sich in Stoffbände­r.

Der rote Faden ist der Lebensgesc­hichte Jungs selbst geschuldet, die man im Detail wechselhaf­t nennen kann, bei einigen Konstanten. Eine solche Konstante gibt es im Bühnenbild. Eine Stange mit roten Stoffeleme­nten symbolisie­rt die über dem Geschehen wehende oder schwebende rote Fahne der kommunisti­schen Weltbewegu­ng. Als Jung kurzerhand 1919 ein Schiff entführte, um nach Russland zu fahren und mit Lenin über die Aufnahme der ultralinke­n KPD-Abspaltung KAPD (Kommunisti­sche Arbeiterpa­rtei Deutschlan­ds) in die Dritte Internatio­nale zu verhandeln, landete er in Murmansk. Dort nahm er an einer Versammlun­g mit Liedern und Reden teil. »Es ist das große Erlebnis meines Lebens gewor- den. Das war es, was ich gesucht habe und wozu ich seit Kindheit ausgezogen bin: die Heimat, die Menschenhe­imat.«

Später baute Jung in der Sowjetunio­n eine Zündholzfa­brik auf. Der studierte Ökonom hatte noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Dissertati­on über die Streichhol­zindustrie geschriebe­n (die aber nicht angenommen wurde).

Immer wieder verdiente er Geld mit ökonomisch­en Analysen. Produktion und Glück gehören für ihn zusammen. »Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!« war eine seiner Losungen. Was heute im Zuge der neoliberal­en Umgestaltu­ng der Welt wie eine Drohung klingt, war damals ein Verspreche­n. Tempo, Glück, Macht – dem wurde bei der Revue im HAU vor allem durch die Hamburger Band Die Sterne noch Rhythmus verliehen. Am linken Bühnenrand auf einem Podest spielend, gaben sie dem Abend einen leicht rockigen Touch.

Diese knapp zweistündi­ge Revue – die künstleris­che Leitung lag bei der Schriftste­llerin Annett Gröschner und der Jung-Verlegerin Hanna Mittelstäd­t von der Edition Nautilus, die Regie führte Rosmarie Vogtenhube­r – ist vor allem eine Annäherung an das aufregende Leben Franz Jungs. Der war nicht nur ein unermüdlic­her Kämpfer für die Revolution, sondern auch Theatermac­her. Erwin Piscator führte seine Stücke auf, er arbeitete auch mit Bertolt Brecht, John Heartfield und Hanns Eisler.

Dass die Revue nun im zweiten Haus des HAU am Halleschen Ufer 32 zur Aufführung kommt, hat auch eine Verbindung zu Jung. Am selben Ort stempelte er einst gemeinsam mit Genossen Spartakus-Parolen auf Geldschein­e, auf dem Schreibtis­ch lagen Pistolen und Kokain.

Wenn Solidaritä­t nicht hergestell­t werden kann, dann ist der Boden bereitet für die konformist­ische Revolte der Rechten.

Nächste Vorstellun­gen: 16. und 17. November, jeweils 20 Uhr im HAU, Hallesches Ufer 32, Berlin.

 ?? Foto: Dorothea Tuch ?? »Mehr Tempo! Mehr Macht! Mehr Glück!« Das war einmal ein Verspreche­n, keine Drohung des Neoliberal­ismus.
Foto: Dorothea Tuch »Mehr Tempo! Mehr Macht! Mehr Glück!« Das war einmal ein Verspreche­n, keine Drohung des Neoliberal­ismus.

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