Die aufregendste Zeit
Im Berliner HAU wird das Leben des Revolutionärs und Schriftstellers Franz Jung als Revue aufgeführt
Es gibt Momente, in denen man sich durchaus fragen kann, ob im Theater überhaupt noch irgendetwas Wirkung erzielt. Wenn plötzlich der Feueralarm losgeht zum Beispiel. Man könnte wohl Hunderte im Duktus zeitgenössischer Theorie verfasste theaterwissenschaftliche Texte heranziehen, die einen solchen »Einbruch des Realen« als das ganz eigentliche politische Theater, weil Kontingenz und so weiter, zu beschwören versuchen.
Zum Glück zeigte sich das Premierenpublikum am Mittwochabend im Berliner HAU davon unbeeindruckt und blieb einfach sitzen. Und nach einer kurzen Pause, es war ein technischer Defekt, zum Glück kein Brand, ging es auch weiter. Ob das aber wiederum im Sinne des Schriftstellers und Revolutionärs Franz Jung gewesen wäre? Es war die ihm gewidmete Revue »Die Technik des Glücks«, die auf solch rüde Weise unterbrochen wurde.
Wirklich alarmierend ist dagegen der Inhalt seines Essays vom Anfang der 1920er Jahre, der dem Abend im HAU den Titel gab: Der Faschismus werde siegen, wenn die Revolution scheitert. Wenn Solidarität nicht hergestellt werden kann, wenn gemeinsame Kämpfe misslingen, ist der Boden bereitet für die konformistische Revolte der Rechten.
Das sollte all jenen Linken der Gegenwart zu denken geben, die zum Beispiel mit der Einführung eines Zwangssystems wie Hartz IV und Ähnlichem nie ein Problem hatten. Jung wiederum schöpfte seine Erfahrungen aus den revolutionären Unruhen am Ende des Ersten Weltkrieges. Kaum hatte er am 9. November 1918 ein paar herumstehende Soldaten angestiftet, mit ihm gemeinsam eine Nachrichtenagentur zu besetzen, stürmte Militär der neuen Regierung heran. Jung wäre beinahe von einem sozialdemokratischen Journalisten erschossen worden. Der Redakteur des »Vorwärts« fuchtelte ihm mit einem Revolver vor der Nase rum, wie Jung in seiner Autobiografie »Der Weg nach unten« in lakonischem Ton berichtet. Der Auftrag der Regierungstruppen: Säuberung der Ämter und Reichsstellen von Saboteuren und Plünderern, Ausräucherung der Spartakistennester.
Jung beobachtete, wie mit der Plan- und Ziellosigkeit jener Novembertage, mit dem Opportunismus der Sozialdemokratie und der Verlogenheit ihrer politischen Führer eine Enttäuschung über die Revolution einsetzte, die sich später zum Hass gegen sie steigern sollte.
Doch zunächst sollte die wohl aufregendste Zeit in Jungs Leben beginnen, die auch den Mittelpunkt der Revue bildet. Die Schauspielerin Corinna Harfouch wird in Videoaufnahmen eingeblendet, auf der Bühne wirbeln Wolfgang Krause Zwieback und Robert Stadlober, sprechen Texte von und über Jung, schieben Möbel hin und her, werfen Blätter in die Luft und wickeln sich in Stoffbänder.
Der rote Faden ist der Lebensgeschichte Jungs selbst geschuldet, die man im Detail wechselhaft nennen kann, bei einigen Konstanten. Eine solche Konstante gibt es im Bühnenbild. Eine Stange mit roten Stoffelementen symbolisiert die über dem Geschehen wehende oder schwebende rote Fahne der kommunistischen Weltbewegung. Als Jung kurzerhand 1919 ein Schiff entführte, um nach Russland zu fahren und mit Lenin über die Aufnahme der ultralinken KPD-Abspaltung KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands) in die Dritte Internationale zu verhandeln, landete er in Murmansk. Dort nahm er an einer Versammlung mit Liedern und Reden teil. »Es ist das große Erlebnis meines Lebens gewor- den. Das war es, was ich gesucht habe und wozu ich seit Kindheit ausgezogen bin: die Heimat, die Menschenheimat.«
Später baute Jung in der Sowjetunion eine Zündholzfabrik auf. Der studierte Ökonom hatte noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Dissertation über die Streichholzindustrie geschrieben (die aber nicht angenommen wurde).
Immer wieder verdiente er Geld mit ökonomischen Analysen. Produktion und Glück gehören für ihn zusammen. »Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!« war eine seiner Losungen. Was heute im Zuge der neoliberalen Umgestaltung der Welt wie eine Drohung klingt, war damals ein Versprechen. Tempo, Glück, Macht – dem wurde bei der Revue im HAU vor allem durch die Hamburger Band Die Sterne noch Rhythmus verliehen. Am linken Bühnenrand auf einem Podest spielend, gaben sie dem Abend einen leicht rockigen Touch.
Diese knapp zweistündige Revue – die künstlerische Leitung lag bei der Schriftstellerin Annett Gröschner und der Jung-Verlegerin Hanna Mittelstädt von der Edition Nautilus, die Regie führte Rosmarie Vogtenhuber – ist vor allem eine Annäherung an das aufregende Leben Franz Jungs. Der war nicht nur ein unermüdlicher Kämpfer für die Revolution, sondern auch Theatermacher. Erwin Piscator führte seine Stücke auf, er arbeitete auch mit Bertolt Brecht, John Heartfield und Hanns Eisler.
Dass die Revue nun im zweiten Haus des HAU am Halleschen Ufer 32 zur Aufführung kommt, hat auch eine Verbindung zu Jung. Am selben Ort stempelte er einst gemeinsam mit Genossen Spartakus-Parolen auf Geldscheine, auf dem Schreibtisch lagen Pistolen und Kokain.
Wenn Solidarität nicht hergestellt werden kann, dann ist der Boden bereitet für die konformistische Revolte der Rechten.
Nächste Vorstellungen: 16. und 17. November, jeweils 20 Uhr im HAU, Hallesches Ufer 32, Berlin.