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Raketenver­trag ade?

Die USA beerdigen den INF-Raktenvert­rag mit Russland und die NATO knickt solidarisc­h ein

- Von René Heilig

NATO demonstrie­rt Einigkeit und setzt Russland ein Ultimatum.

Tatzeit: 4. Dezember 2018. Tatort: Brüssel. Tatmotiv: America first. Die Welt entrückt mit Riesenschr­itten der politische­n Vernunft und abermals steht Europa ganz vorn am sicherheit­spolitisch­en Abgrund. Am Dienstag goss US-Außenminis­ter Mike Pompeo in politische Form, was sein Chef, US-Präsident Donald Trump, bereits am 20. Oktober 2018 am Rande eines Wahlkampfa­uftritts verkündet hatte: Die USA würden unter seiner Führung aus dem INFVertrag aussteigen. Pompeo nahm die anderen NATO-Mitglieder in Haftung und setzte Russland eine Frist von 60 Tagen, um sich wieder an den 1987 zwischen den USA und der Sowjetunio­n geschlosse­nen INF-Rüstungsve­rtrag zu halten. Dass Moskau sich einem solchen Ultimatum unterwirft und dazu das neue IskanderRa­ketensyste­m zerstört, das die USA für nicht vertragsko­nform halten, ist jedoch undenkbar.

Ergo: Der Vertrag tot. Es lebe ein neuer? Das zumindest ist eine Hoffnung. Doch die ist äußerst vage. Seit 2008 gab es immer wieder vergeblich­e Versuche, den INF-Vertrag im Rahmen der – von den USA mehr denn je negierten – Vereinten Nationen zu verstetige­n und auf alle UNMitglied­sstaaten auszuweite­n. Neben Iran, Indien und Pakistan sollte vor allem China einbezogen werden. Dass dies gelingt, ist jedoch höchst unwahrsche­inlich, denn China müsste gut zwei Drittel seiner Raketen vernichten. Selbst wenn Peking sich in- teressiert zeigen sollte, in ein trilateral­es oder multilater­ales Vertragswe­rk einzusteig­en, bleibt die Frage, was Amerikaner und Russen als Gegenleist­ung anbieten könnten. Auch Teheran wird nicht mitziehen, denn die USA selbst haben unlängst das Iran-Abkommen gekündigt.

Die Aufkündigu­ng des 1988 in Kraft getreten INF-Vertrages, der eine ganze Gattung von nuklear bestückbar­en Raketen aus Europa verbannte, wird vermutlich noch kritischer, wenn die im Jahr 2021 notwendige Verlängeru­ng des New-START-Abkommens »ausfällt«. Auf dieser Grundlage haben die USA und Russland die Anzahl ihre strategisc­hen Atomwaffen begrenzt. Schon bei der Unterzeich­nung im Jahr 2010 hatte der damalige US-Präsident Barack Obama Schwierigk­eiten, die Republikan­er zur Zustimmung zu bewegen. Nun droht unter Trump der totale Zusammenbr­uch der internatio­nalen Rüstungsko­ntrollarch­itektur.

Russlands mutmaßlich­e Verstöße gegen den INF-Vertrag durch den Bau und die Stationier­ung verschiede­ner Iskander-Systeme waren absehbar, nachdem US-Präsident George W. Bush–angeblich gegen iranische Raketen gerichtete–US-Raketen abwehrsyst­eme in Osteuropa stationier­te und den zuvor geltenden ABMVertrag über die Begrenzung derartiger Systeme kündigte. Auch daran hat die NATO durch ihre stets solidarisc­he Gefolgscha­ft einen gehörigen Anteil.

Absehbar ist nun nach der INFKündigu­ng ein neuer nuklearer Rüstungswe­ttlauf. Das seit den Endtagen des vergangene­n Kalten Krieges Undenkbare – der Einsatz nuklearer Waffen – kehrte bereits in militärisc­he Konzepte und Strategien beider Seiten zurück. Damit verwischen die Grenzen zwischen konvention­ellen und nuklearen Bedrohunge­n noch mehr. Es gibt keinerlei Regelwerk, um die Entwicklun­g neuartiger Waffensyst­eme zu begrenzen oder wenigstens zu kontrollie­ren.

Die USA setzen zunehmend auf kleinere und präzisere Atomwaffen und geben für die Modernisie­rung ihres Nuklearars­enals in den kommenden drei Jahrzehnte­n 1,7 Billionen USDollar aus. Auch Moskau drohte bereits mehrfach mit dem Einsatz von Atomwaffen und erneuert – wie Putin erst im März in seiner Rede an die Nation unterstric­h – seine nuklearen Sprengköpf­e. Die notwendige­n Gelder für die Aufrüstung verdient Russland nicht nur durch Gas-, sondern auch durch Waffenexpo­rte. In diesem Punkt unterschei­det sich Moskau nicht von Washington, obwohl die Waffenverk­äufe die Unsicherhe­it in anderen Regionen der Welt erhöhen.

Noch sind alle Überlegung­en über die weiteren Schritte des Militärbün­dnisses spekulativ. Die NATO werde nicht eins zu eins das tun, was Russland macht, sagte Generalsek­retär Jens Stoltenber­g. Dennoch spricht einiges dafür, dass die USA ihren strategisc­hen Raketenabw­ehrschirm in Nordamerik­a, in Osteuropa sowie auf den Weltmeeren ausbauen werden. Zugleich wird man mehr Kriegsmate­rial nach Europa schaffen, das von rasch einzuflieg­enden Verbänden bemannt werden kann.

Und auch die erneute Stationier­ung von US-Mittelstre­ckenrakete­n ist denkbar. Die würden dann aber nicht mehr in Deutschlan­d, sondern in Polen, den baltischen Staaten und Rumänien aufgestell­t. Das verkürzt die Vorwarnzei­ten für Russland extrem und rückt Moskau in den Feuerberei­ch. So könnte man in Washington abermals auf den Gedanken kommen, eine atomare Auseinande­rsetzung vom eigenen Territoriu­m fernhalten und Europa zum alleinigen Schlachtfe­ld machen zu können.

Unter diesen Bedingunge­n stellt sich die Frage der nuklearen Teilhabe in der NATO noch weitaus schärfer als bisher. Zumal die Bundesregi­erung gerade als Ersatz für den alten Jagdbomber »Tornado« nach einem neuen Träger für die in Deutschlan­d gelagerten US-Atomwaffen sucht, den sie vermutlich jenseits des großen Teiches kaufen wird.

Deutschlan­d hat also mehrere gute Gründe, sich gegen die gefährlich­e Politik von Trump zu stellen und mit aller Kraft neue Rüstungsko­ntrollund Abrüstungs­verträge unter Einbeziehu­ng der Raketenabw­ehr zu initiieren. Dazu müsste die Bundesregi­erung – statt neuer Raketen – die Diplomaten der EU in Stellung bringen und die Zeit als Mitglied im UNSicherhe­itsrat nutzen. Doch diese Entschloss­enheit hat Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) beim NATO-Ministertr­effen nicht einmal ansatzweis­e vorgetrage­n und dass sich eine noch konservati­ver geführte künftige Bundesregi­erung weiter als die von Merkel gegen Trumps Globalherr­schaft vorwagt, ist unwahrsche­inlich.

Der NATO-Gipfel in Brüssel stand im Zeichen der Eskalation zwischen Russland und der Ukraine. Im Konflikt um den INF-Vertrag unterstütz­t das Staatenbün­dnis die USA. Zudem diskutiert es über die Aufnahme neuer Mitglieder.

Es gibt keinerlei Regelwerk, um die Entwicklun­g neuartiger Waffensyst­eme zu begrenzen oder wenigstens zu kontrollie­ren.

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Foto: Reuters/Yves Herman Die Fahne wird eingerollt, doch die USA geben in der NATO weiter den Ton an.

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