Feminisierung reicht nicht
Die Vorsitzende der Democratic Socialists of America Maria Svart über Identitäts- und Klassenpolitik
Die Democratic Socialists of America über ihren Kampf gegen Trump.
Wo positionieren sich die Democratic Socialists of America in dem linken Dauerbrenner Identitätspolitik versus Klassenpolitik? Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um, wie lösen Sie ihn auf?
Der Klassenbegriff ist in den USA ohne ein Verständnis von »race« und Rassismus nicht zu denken oder zu verstehen. Dem Widerspruch haben wir uns dabei ständig zu stellen. Das erfolgt mit Hilfe des Konzepts Solidarität, genauer gesagt der »working-class solidarity«.
Was heißt das konkret?
Ohne das Wissen, dass der Rassismus die Arbeiterklasse spaltet, ist linke Organisationsarbeit in den USA unmöglich. Das wurde mir als ehemalige Gewerkschafterin fast täglich vor Augen geführt, als der Chef die Arbeiter im Betrieb auseinanderzudividieren versuchte. Im politischen Leben ist das nicht anders. Das Problem zu benennen und bekämpfen ist unabdingbar. Die People of Color, die der Arbeiterklasse angehören, haben keine bloße, sozusagen »farbenblinde« Klassenidentität, sondern auch eine, die von »race« geprägt ist. Das zu ignorieren, macht Solidarität unmöglich. Wenn Menschen Trump und den Boss Tag um Tag über »race« reden hören und dann ihre Kollegen erleben, wie sie das nicht als Problem sehen wollen, dann verhindert das die Bildung von Vertrauen. Andererseits entfalten auch neoliberale Denkweisen über Identität eine zerstörerische Wirkung. Denn sie drehen sich ausschließlich um das Individuum und um dessen Verhalten. Kollektives Handeln kommt darin nicht vor, ebenso wenig die Möglichkeit einer Klassenanalyse. Der strukturelle Rassismus hat im US-amerikanischen Kontext eine herausragende Stellung, weil die Gesellschaft auf gestohlenem Land und die Wirtschaft aus der Sklaverei heraus entstanden ist.
Und Gender?
Auch Gender prägt amerikanische Politik und die Klassenerfahrungen von Menschen. Auch darauf beziehen wir uns, insbesondere im Kampf gegen die extreme Rechte. Entlang des Gender-Begriffs sind große Teile der US-Linken und damit auch der DSA bei ihren politischen Analysen allerdings immer noch viel zu reaktiv. Man reagiert negativ auf Hillary Clinton und auf den Lean-In-Feminismus (benannt nach dem Buch »Lean In« einer ehemaligen Facebook-Managerin, die sagt, dass Frauen alles erreichen können, was sie wollen, wenn sie sich nur hart genug anstrengen.
Anm. d. Red.) – und das zu Recht, weil die Erfahrungen von Frauen aus der Arbeiterklasse oder armer Frauen sowie die Tatsache, dass sie handelnde Subjekte sind, übersehen werden. Aber was der Linken dabei fehlt, ist das Aufzeigen einer positiven Alternative. Diese Lücke versuchen wir zu füllen, indem wir die Konturen eines feministischer Sozialismus zeichnen, eines Feminismus also, der auf Klassensolidarität und kollektivem Handeln beruht. Solche alternativen Horizonte sind auch in allen anderen Bereichen nötig.
Setzen Sie Hoffnung auf eine Feminisierung der Politik?
In der Politik ist tatsächlich ein Wandel im Gange, wie in anderen Institutionen, in die Frauen vorstoßen. Aber Feminisierung allein reicht nicht aus. Eine multiethnische und klassenorientierte Ausrichtung muss dazukommen. Wahlkandidatinnen sollten zum Beispiel aus der Arbeiterklasse stammen. Und die US-Arbeiterklasse hat nicht nur sehr viele Frauen, sondern auch viele People of Colour und viele weibliche People of Colour. Mehr Frauen aus der Arbeiterklasse, die politische Ämter innehaben, würden ganz andere Forderungen stellen als neoliberale Feministinnen. Natürlich würden dann zum Beispiel unbezahlte Arbeit und die Reproduktion der Arbeitskraft stärker thematisiert werden.
Die neu gewählte Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die DSA-Mitglied ist, schaffte das ja schon mit ein paar Tweets, bevor sie überhaupt vereidigt wurde. Wir hoffen, dass sie und Rashida Tlaib, die ebenfalls DSA-Mitglied ist, als Leitfiguren sozialistische Positionen im Kongress vertreten werden, ihre Kollegen mit organisieren, von linken Positionen überzeugen und dann zusammen als Abstimmungsblock fungieren. Besonders OcasioCortez verfügt über ein US-weites Profil. Sie kann, ähnlich wie Bernie S anders 2016, sozial demokra tischsozialistische Positionen bekannter machen. Als DSA haben wir aber keine Parteidisziplin wie etwa bei europäischen Linksparteien. Von daher können wir nur hoffen, dass die gute Zusammenarbeit mit unseren prominenten Mitgliedern anhält. Die wechselseitige Beziehung ist jedenfalls ein schwieriges Neufeld.
Bernie Sanders ist 2016 im Nominierungswahlkampf der Demokraten von DSA massiv unterstützt worden und wird voraussichtlich wieder kandidieren. Nun gibt es sowohl in der Demokratischen Partei wie bei DSA Vorbehalte gegenüber Bernie Sanders, weil er sich angeblich zu sehr auf wirtschaftliche Forderungen beschränke und alles andere zu Nebensachen erkläre. Wie geht DSA mit dieser Spannung um? Zunächst muss man unterscheiden zwischen dem, was das Bildungsbürgertum dazu meint, und wie die Rea- lität aussieht. Die Elitemedien und ihre Zuträger vom Mainstreamflügel der Demokratischen Partei zeichnen ständig das Bild von den »Bernie Bros«
(»Berni-Brüdern«, Anm. d. Red.), also weißen, männlichen Bernie-Fans. Als Latina und DSA-Vorsitzende kann ich dazu nur sagen, dass in diesem Narrativ die unzähligen Frauen und People of Colour, die hinter Sanders stehen, nicht vorkommen. Verschwiegen wird außerdem, dass Bernie Sanders in den USA seit Jahren der beliebteste Politiker ist. Selbstverständlich sind Sanders ebenso wie die sozialistische Bewegung nicht perfekt, und selbstverständlich haben sie dazuzulernen. Und das tun beide. Denn wenn Trump rassistische Tweets ablässt und von einer »Invasion« aus Lateinamerika schwafelt oder wenn dauernd schwarze Menschen von der Polizei erschossen werden, dann lässt sich das nicht mehr ökonomistisch ableiten.
Das Hauptproblem sind aber neoliberale Erklärweisen und Lösungsvorschläge, die in der Demokratischen Partei nach wie vor großen Raum einnehmen. Quasi als Gegenmittel haben wir als DSA in den vergangenen Monaten die großen Streikwellen unterstützt, die die USA durchziehen, etwa die Streiks der Lehrerinnen und der öffentlich Angestellten im US-Bundesstaat West Virginia. Das war ein Paradebeispiel für Politisierung, Bewusstseinsbildung und Kampferfahrung im sozialistischen Feminismus.
DSA ist mittlerweile in sämtlichen 50 Bundesstaaten dieses riesigen Landes vertreten. Wie sieht die DSAArbeit auf dem Land aus?
Das übergreifende Ziel besteht natürlich darin, die Arbeiterklasse zu solidarischem Handeln zu bewegen. Das sieht von Fall zu Fall, von Landstrich zu Landstrich jeweils anders aus. Trump konnte bei den Midterms seine Unterstützung auf dem Land konsolidieren, dort also, wo die Krise offensichtlich ist: Die Zerstörung von kleinen und mittleren Farmen, zunehmende Umweltverschmutzung, Wasserversorgungskrise, ausuferndes Agrobusiness, Fracking-Industrie und eine steigende Suizidrate. Dort konnte er sich als Alternative darstellen.
Wir machen Veranstaltungen an den Orten, die von der Demokratischen Partei und selbst den Gewerkschaften aufgegeben worden sind. Es ist sehr, sehr mühsam. Denn nur die Hälfte der Bevölkerung, oft noch weniger, ist dort politisch interessiert, das heißt, geht überhaupt wählen. Wir wenden uns an die, die Trump ablehnen, an die Nichtwähler und an diejenigen, deren Wahlrechte unterdrückt werden. Was halten Sie als DSA von den Untersuchungen gegen Trump? Besteht darin nicht eine Chance, ihn loszuwerden?
Wir setzen nicht viel Hoffnung auf die Gerichte. Wenn die FBI-Ermittlungen die Menschen in eine Richtung bewegen können, dass sie sich organisieren, dann wäre das natürlich positiv zu beurteilen. Aber es handelt sich nicht um eine Mobilisierung von unten. Besonders nach der Ernennung und dem Bestätigungsverfahren des rechten Richters Kavanaugh ins Oberste Gericht ist dem Justizsystem nicht zu trauen. Unsere Hauptanstrengungen gelten dem sozialen Bereich: der Mobilisierung am Arbeitsplatz, der Solidarität dort, das Networking und der Organisationsarbeit gegen die Immobilienspekulanten und gegen die Finanzindustrie.
Vor der Wahl von Trump plädierte eine nicht unerhebliche Zahl von DSA-Mitgliedern für den Aufbau einer Partei links von den Demokraten. Was ist in dieser Hinsicht in den kommenden Jahren zu erwarten?
Die Drittpartei-Protagonisten sind recht schweigsam geworden. Trump wird als Hauptgefahr angesehen und neoliberale Demokraten als seine Zuarbeiter. Das Wissen darum, dass das Zweiparteiensystem kaum Platz lässt für Dritte, weil wir keine parlamentarische Demokratie sind, hat sich verfestigt. Gleichwohl ist die Frustration um die Demokraten gestiegen. Unsere Strategie besteht darin, unabhängig Macht aufzubauen – manchmal durch Kandidaturen von DSA-Mitgliedern bei Vorwahlen der Demokraten, manchmal als Kandidaten anderer Parteien, je nach der Reife der Bedingungen. Wir fahren nach wie vor zweigleisig: Kandidaturen innerhalb der Parteien sowie außerhalb als Bewegung, die wachsen muss.