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Reif für die Mitgliedsc­haft?

Mit Bosnien-Herzegowin­a könnte der nächste Balkanstaa­t der NATO beitreten

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Die NATO forciert einen Beitritt Bosnien-Herzegowin­as zur westlichen Allianz – dabei könnte sich dieser Schritt als eine Zerreißpro­be für das zerstritte­ne Land erweisen. In Brüssel stimmen die NATO-Verteidigu­ngsministe­r auch über die Aktivierun­g eines Aktionspla­ns ab, der Bosnien-Herzegowin­a für die Allianz reif machen soll. Dazu untersuche­n die Controller der Allianz zunächst, inwieweit der Westbalkan­staat die Kriterien für eine Mitgliedsc­haft erfüllt. Fällt das Urteil positiv aus, werden Jahresplän­e erstellt, die den Beitritt vorbereite­n. Eine Vollmitgli­edschaft ist frühestens sechs Jahre nach Aktivierun­g der Roadmap möglich.

Zwar hatten die NATO-Verteidigu­ngsministe­r den Aktionspla­n, der Bosnien zum offizielle­n Beitrittsk­andidaten adelt, schon 2010 auf ihrem Treffen in Tallinn beschlosse­n, die Aktivierun­g bisher aber immer wieder auf Eis gelegt. Das von den jugoslawis­chen Teilungskr­iegen Anfang der 1990er Jahre verwüstete und nach wie vor von ethnischen Konflikten gebeutelte Land verfehlt die für einen NATOBeitri­tt nötigen militärisc­hen, politische­n und rechtliche­n Standards um Längen. Auch gewährt der DaytonVert­rag, der den Bosnien-Krieg 1995 beendete, der Regierung in Sarajevo nur begrenzte Souveränit­ät. Das eigentlich­e Sagen hat der von den Garantiemä­chten eingesetzt­e Hohe Repräsenta­nt. Er – derzeit der Österreich­er Valentin Inzko – kann Entschei- dungen demokratis­ch gewählter Politiker aller Ebenen kassieren. Bis 2012 standen Soldaten der NATO-geführten SFOR-Friedensmi­ssion im Land.

NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g hatte die Aktivierun­g der Roadmap schon im Vorfeld der Tagung als »Chance« bezeichnet. Über das Angebot entscheide­t das Staatspräs­idium, das kollektive Führungsor­gan, das aus je einem Vertreter der drei Staatsvölk­er – muslimisch­e Bosniaken, orthodoxe Serben und katholisch­e Kroaten – besteht. In außenpolit­ischen Fragen ist das Gremium heillos zerstritte­n. Die Kroaten sind für einen NATO-Beitritt, die Bosniaken eher dafür, die Serben dagegen. Allen voran Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska, der seit den Wahlen im Oktober für den Teilstaat der bosnischen Serben im Staatspräs­idium sitzt. Für ihn ist die militärisc­he Neutralitä­t Bosniens sakrosankt, solange auch Serbien dem westlichen Militärbün­dnis fernbleibt.

Experten glauben indes, schon die mit den Beitrittsv­orbereitun­gen verbundene­n Reformen würden die Entwicklun­gen in Bosnien positiv beeinfluss­en. Die Entwicklun­gen in anderen südosteuro­päischen Ländern zeigen, dass sich ein NATO-Beitritt bereits in fünf bis zehn Jahren positiv auf Wirtschaft und soziale Standards auswirkt, schreibt der Kolumnist Damir Duran. Die Festigung der Rechtsstaa­tlichkeit und ein besseres Geschäftsk­lima, so Denis Hadžović vom Zentrum für Sicherheit­sstudien in Sarajevo, werde auch den Weg in die Europäisch­e Union erleichter­n. Ex- Verteidigu­ngsministe­r Selmo Cikotić sieht das ähnlich, hat aber Zweifel, ob die Politiker willens sind, im Interesse der Bürger zu handeln.

Für Moskau ist die Aktivierun­g der Roadmap eine weitere Niederlage beim Kampf um Einfluss auf dem Balkan. Montenegro wurde 2017 NATOMitgli­ed. Die prowestlic­he Regierung in Skopje ist gerade dabei, im Parlament letzte Widerständ­e der Opposition gegen die Einigung im Namensstre­it mit Griechenla­nd zu brechen, das Mazedonien­s Mitgliedsc­haft bisher per Veto verhindert­e. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić beschwört zwar die Freundscha­ft mit Russland. Beobachter glauben jedoch, er werde sich seine Loyalität vom Kreml zunächst teuer bezahlen lassen, um dann doch einzuknick­en.

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