Ausbeutung extrem
Lage der Menschenrechte in Deutschland: Arbeitsmigranten sind Lohndrückern und -dieben oft ausgeliefert. Bei Rüstungsexporten bricht die Regierung ihre Selbstverpflichtung
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat viele Hausaufgaben für die Bundesregierung formuliert. In seinem am Mittwoch vorgelegten Bericht konstatiert es massive Grundrechtsverletzungen. Einen offiziellen Bericht zur Lage der Menschenrechte in Deutschland gibt es erst seit 2015. Der am Mittwoch vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) veröffentlichte Report ist der dritte seiner Art, in Auftrag gegeben von der Bundesregierung. Die wiederum folgt damit einer Vorgabe der Vereinten Nationen, der zufolge jedes Land über die Einhaltung der Menschenrechte auf seinem Territorium von unabhängiger Stelle berichten lassen soll.
Was das DIMR aufgelistet hat, ist ernüchternd. Seine Expertise ergänzt einen bereits im Oktober von einer Delegation der Vereinten Nationen veröffentlichten Report, in dem festgestellt wird, dass die Grundrechte auf soziale Mindestsicherung, auf menschenwürdige Unterkunft und Arbeit großen Teilen der Bevölke- rung in Deutschland vorenthalten werden. Das DIMR hat den Fokus auf die Lage von Arbeitsmigranten und von psychisch Kranken sowie die Verletzung von Menschenrechten durch die Genehmigung von Rüstungsexporten gelegt.
Trotz der Gesetzesänderungen gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen vor zwei Jahren sei noch immer ein großer Teil der Arbeiter aus EU-Mitgliedsländern, aber auch aus Drittstaaten, von »schwerer Ausbeutung« betroffen, sagte DIMR-Direktorin Beate Rudolf. Viele bekommen weit weniger als den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro pro Stunde. Sei es, weil sie unbezahlte Überstunden leisten müssen oder weil sie gänzlich um ihre Entgelte betrogen werden. Oder weil ihnen beispielsweise horrende »Mieten« für eine miserable Massenunterkunft vom Lohn abgezogen werden. Die zahllosen Spielarten der Ausbeutung seien auf dem Bau, in der Fleischindustrie, aber auch in der Kranken- und Altenpflege ein »risikoloses Geschäft«, konstatierte Rudolf. Die Opfer ausbeuterischer Verhältnisse seien gegenüber Auftrag- gebern und Unternehmern »strukturell unterlegen«, hätten kaum eine Chance, Löhne einzuklagen. Meist fehlen Beweis mittel und Sprachkenntnisse. Zudem gebe es zu wenige Beratungs einrichtungen. Das DIMR fordert unter anderem die Schaffung von Verbands klage möglichkeiten. Zudem müssten Betroffenen vonKontroll behörden» prozessrelevante Daten« einfordern können.
Weiter wird im Bericht die Verletzung der Rechte psychisch Kranker moniert. Noch immer komme es sehr häufig zu Zwangsmaßnahmen. Betroffene »werden gegen ihren Willen in stationären Einrichtungen untergebracht, isoliert, ans Bett gefesselt oder zur Einnahme sedierender Medikamente gezwungen«, sagte Beate Rudolf. Dies, obwohl das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung auch für Personen mit »psychosozialen Behinderungen« gilt und obwohl der Status quo mehrfach, zuletzt im Juli dieses Jahres vom Bundesverfassungsgericht, kritisiert wurde. Dessen Forderungen seien bislang weder auf Bundesebene noch in den Ländern vollständig umgesetzt worden, beklagte Rudolf.
Valentin Aichele, einer der Autoren des Berichts, sagte gegenüber »nd«, der Personalmangel in psychiatrischen Einrichtungen sei zwar ein Grund für den schnellen Einsatz von Psychopharmaka oder Fixierungen. Doch es fehle vor allem auch an einem Netz von ambulanten Unterstützungs- und Betreuungsangeboten. 20 Wochen müsse ein Patient im Schnitt auf einen Termin für ein Therapieangebot warten, im Ruhrgebiet sogar 30 Wochen, erläuterte Aichele. In stationären Einrichtungen fehle es wiederum vielfach an »systemischer Kompetenz, die auf die Vermeidung von Zwang ausgerichtet« sei.
Bei den Rüstungsexporten stellt das DIMR ein komplettes Unterlaufen der geltenden Richtlinien durch Politik und Wirtschaft fest. Das Institut fordert, dass Ausfuhrverbote künftig auch für ausländische Tochterfirmen deutscher Unternehmen gelten müssten. Außerdem müsse es möglich sein, auch bereits erteilte Genehmigungen zu widerrufen. Durch entsprechende Gesetzesänderungen könne sich der Staat vor Schadenersatzforderungen der Unternehmen schützen.