Schlechte Zeiten für die Mafia
Weltweit angelegte konzertierte Aktion gegen die ’Ndrangheta mit Achtungserfolgen
Bei groß angelegten Razzien gegen Mitglieder der italienischen Mafiaorganisation ’Ndrangheta in Deutschland und drei weiteren Ländern sind rund 90 Tatverdächtige festgenommen worden. Schlag auf Schlag gegen die Mafia: Das gilt für diese Woche. Weltweit sind am Mittwoch bei einer konzertierten Aktion unter Führung der Europäischen Justizbehörde Eurojust 90 Personen verhaftet worden, die in den internationalen Drogenhandel verwickelt sind, davon 14 Menschen allein in Deutschland. Nur einen Tag zuvor wurden auf Sizilien fast 46 Menschen festgenommen, darunter auch der amtierende Oberboss der Cosa Nostra, ein 80-jähriger Juwelier.
Die Dimension der Polizeioperation ist neu. Hunderte von Ermittlern und Beamten wurden von Eurojust koordiniert in den Einsatz geschickt. Sie schlugen am Mittwoch nicht nur in Italien, Deutschland, Belgien, Niederlande und der Türkei zu, sondern auch in Kolumbien und Costa Rica. Die Verhafteten gehören der Mafiaorganisation ’Ndrangheta an, die ihren »Hauptsitz« in der süditalienischen Region Kalabrien hat. Sie werden beschuldigt, den internationalen Kokainhandel organisiert zu haben: Die Drogen wurden in Südamerika gekauft und von dort, hauptsächlich über den süditalienischen Hafen Gioia Tauro und über Hamburg nach Europa gebracht. Die Logistik, so hört man von den Ermittlern, soll vor allem in Deutschland und dort in NordrheinWestfalen angesiedelt gewesen sein. Eine Gruppe türkischer Krimineller soll darauf spezialisiert gewesen sein, Verstecke in großen Lkws zu fertigen, mit denen das Kokain dann über die europäischen Straßen rollte.
Es ist das erste Mal, dass die Polizei so massiv gegen die ’Ndrangheta in Deutschland vorgeht, obwohl es seit Jahren bekannt ist, dass diese kriminelle Organisation auch hier aktiv ist. Die sechs Mafiamorde von 2007 in einer Pizzeria in Duisburg belegen das.
In Italien fanden die meisten Verhaftungen in Kalabrien statt und dort in den kleinen Bergdörfern rund um San Luca, in denen die ’Ndrangheta ihren Ursprung hat. Die Familien Pelle-Vottari, Ietto und Ursini gelten als »Pioniere« des internationalen Drogenhandels und auch heute noch als die besten »Spezialisten«. Ihnen ist es zu »verdanken«, dass die ’Ndrangheta sich weltweit verbreitet hat, sodass sie heute als mächtigste Verbrecherorganisation überhaupt gehandelt wird, die einen geschätzten Jahresumsatz von fast 100 Milliarden Euro macht.
Eurojust soll seit mehreren Jahren die Razzia vorbereitet haben. Man hat nicht nur den Weg des Kokains verfolgt, sondern auch den des Geldes, das mit dem Drogenhandel verdient wird. Milliarden von Euros, die überall in Europa in unterschiedliche legale Unternehmen investiert werden. Welche Betriebe, Geschäfte, Finanzgesellschaften und Banken von der ’Ndrangheta aufgekauft oder finanziert werden, ist schwer auszumachen, aber klar ist, dass sie inzwi- schen überall in der legalen Wirtschaft zu finden sind. Deshalb wurden die 90 Personen, die jetzt verhaftet wurden auch der Geldwäsche beschuldigt.
Dass die unterschiedlichen Mafiaorganisationen inzwischen auf allen Federico Cafiero De Raho, Anti-Mafia-Staatsanwalt
Ebenen zusammenarbeiten, wird auch durch die 46 Verhaftungen klar, die es am Montag in Sizilien gegeben hatte. Unter ihnen auch der neue »Boss der Bosse«, der von den ande- ren Ende Mai gewählt worden war. Es handelt sich um den 80-jährigen Juwelier Settimino Mineo, der offensichtlich von der Mafia für würdig und fähig gehalten wurde, Nachfolger von Totò Riina zu werden, der vor einem Jahr im Gefängnis starb. Mineo hat in seinem langen Leben nicht nur absolute Treue und Diskretion bewiesen, sondern hat auch die notwendige Autorität, um zwischen den einzelnen Clans zu vermitteln und inzwischen auch zwischen den Organisationen Cosa Nostra (Sizilien), ’Ndrangheta (Kalabrien) und Camorra (Neapel), die beim Drogen- aber auch beim illegalen Müllhandel eng zusammenarbeiten.
Trotz dieser letzten Erfolge, so der oberste Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero De Raho, dürfe man sich keine Illusionen machen. Er sagte: »Die ’Ndrangheta hat solche Kräfte und Ressourcen, dass wir sie noch lange nicht besiegt haben.«
»Die ’Ndrangheta hat solche Kräfte und Ressourcen, dass wir sie noch lange nicht besiegt haben«.