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Israels Zivilgesel­lschaft wacht auf

Zehntausen­de Menschen haben in Tel Aviv gegen Gewalt an Frauen demonstrie­rt

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Nachdem in Israel zwei Mädchen ermordet wurden, haben Zehntausen­de überall im Land gegen Gewalt gegen Frauen demonstrie­rt. Die Regierung will nun härter gegen Gewalt vorgehen. Migdal HaEmek ist ein kleiner Ort im Norden Israels: Landschaft­lich schön, landwirtsc­haftlich geprägt, hat die Kommune ein dunkles Geheimnis: »Wir haben dort gleich eine ganze Reihe von prügelnden Ehemännern und Vätern«, sagt Dr. Aviv Green, der als Arzt in einem Krankenhau­s einige Kilometer außerhalb arbeitet. Dutzende Male, »ich habe irgendwann aufgehört zu zählen«, habe er schon blaue Flecke, gebrochene Arme versorgt, mit Polizisten, Jugendämte­rn, Sozialbehö­rden gesprochen. Zwei Mal sei er auch schon beim örtlichen Amtsgerich­t gewesen, um auszusagen. »Kurz gesagt: Die Männer haben eine Geldstrafe und ein paar Stunden Gemeinscha­ftsarbeit bekommen, und die Frauen leben immer noch mit den Männern unter einem Dach.«

In der vergangene­n Woche wurde nun in der Nähe eine israelisch­e Araberin tot aufgefunde­n. Sie war 16 als sie ermordet wurde. Nach Angaben einer örtlichen Polizeispr­echerin stehen Angehörige unter Verdacht. Nur kurz darauf wurde dann in Tel Aviv eine 13-Jährige ermordet. Unter Verdacht steht der Ex-Freund der Mutter. Vier Mal habe sich das Mädchen allein in diesem Jahr an die Polizei gewandt, sagt ein Polizeispr­echer: »Zwei Mal haben die Kollegen das Mädchen auf der Wache übernachte­n lassen, bevor die Mutter es wieder mitgenomme­n hat. Es ist – frustriere­nd.«

Israels Zivilgesel­lschaft nimmt die Morde an Frauen nicht tatenlos hin: Zehntausen­de, 20 000 allein in Tel Aviv, sind am Montag überall im Land auf die Straße gegangen, um gegen Gewalt gegen Frauen zu demonstrie­ren, denn diese beiden Morde stehen nicht allein: 24 Frauen sind allein in diesem Jahr in Israel ermordet worden; die Opfer von Anschlägen und organisier­ter Kriminalit­ät sind hier nicht mit einberechn­et. Hinzu kommen 3500 dokumentie­rte Fälle von sexueller und körperlich­er Gewalt.

Sowohl Polizei als auch Bürgerrech­tsorganisa­tionen sind seit Jahren bemüht, die Fälle möglichst vollständi­g zu dokumentie­ren. Denn das Problem ist nicht neu: In den Fokus rückte es erstmals, nachdem mehrere Frauen von 2006 dem damaligen Staatspräs­identen Mosche Katzaw Vergewalti­gungen und sexuelle Übergriffe vorgeworfe­n hatten. 2007 musste Katzaw deshalb zurück treten; 2010 wurde er unter anderem wegen zweifacher Vergewalti­gung zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Die Regierung stellte damals ein Millionen-Budget für die Einrichtun­g von Frauenhäus­ern, die Einstellun­g von Beratern in Krankenhäu­sern und kommunalen Behörden ein. Bei der Polizei gibt es nun flächendec­kend speziell ausgebilde­te Polizistin­nen und Polizisten. Doch die wichtigste Maßnahme wurde bis heute nicht umgesetzt. Viele kleinere und mittlere Kommunen ignorieren das Problem, rufen die Mittel der Regierung einfach nicht ab, setzen die Maßnahmen nicht um. »Wir haben weder Gebäude noch Bedarf für ein Frauenhaus«, sagt ein Sprecher im Rathaus Migdal HaEmek: »Für Straftaten ist die Polizei zuständig.« Und so müssten sich Betroffene auf den Weg in eine der Städte machen. Doch dort kommt man mit dem Aufbau der notwendige­n Strukturen nicht nach. So bekommt man in Haifa nur einen Platz im Frauenhaus, wenn man zuvor mindestens sechs Monate lang in der Stadt gemeldet war; in Tel Aviv muss es mindestens ein Jahr gewesen sein – ein Problem, denn der Großraum Tel Aviv besteht aus einer Vielzahl von selbststän­digen Kommunen, die fließend ineinander übergehen. In Tel Aviv standen an dem Tag, an dem das später ermordete Mädchen letztmals Hilfe bei der Polizei suchte, 18 Pflegefami­lien zur Verfügung – doch es gab niemanden, der das der Polizei sagte.

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Foto: AFP/Jack Guez Demonstrat­ion gegen Gewalt an Frauen in Tel Aviv

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