Schulterschluss im Kampf gegen die indische Agrarkrise
Indiens Landwirte fühlen sich mehrheitlich von der Regierung im Stich gelassen – nun fanden sie neue Verbündete
Indiens Bauern sind enttäuscht von der Politik von Premierminister Narendra Modi. Sie fordern nachhaltige Reformen – und erhalten dabei breite Unterstützung durch Anführer der Oppositionsparteien. Zwei Tage lang haben Landwirte ihre Forderungen mit einer Massenaktion bis vor das Parlament in der indischen Hauptstadt Delhi getragen. Die Teilnehmenden kamen aus Kerala und Karnataka im Süden des Subkontinents ebenso wie aus dem zentralindischen Madhya Pradesh oder aus Westbengalen im Nordosten. Viele können miteinander nur bedingt kommunizieren, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Doch sie eint ihre Kritik an den Regierenden aus den Reihen der hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) und die Forderung, das Problem der Überschuldung und stetig steigender Produktionspreise endlich tiefgründig anzugehen. Als Zeichen der Solidarität für diejenigen, die letztlich die Versorgung des 1,3-Milliarden-Volkes sicherstellen, reihten sich auch Vertreter anderer Berufszweige in den Protestzug ein, selbst Universitätsprofessoren marschierten mit.
Die Aktion vor wenigen Tagen wurde von AIKCC organisiert, der Dachorganisation von landesweit 207 Bauernverbänden. Besonders auffällig waren die roten Fahnen der mit der Kommunistischen Partei Indiens (CPIM) verbundenen Bauernvereinigung. Doch die Verbitterung geht weit über das linke Lager hinaus, wie nicht nur viele weitere Teilnehmer aus einem breiten politischen Spektrum illustrierten, sondern auch die zahlreichen Oppositionspolitiker, die gemeinsam auf der Abschlusskundgebung sprachen. Ob Rahul Gandhi, Chef der jahrzehntelang dominierenden Kongresspartei, der wichtigster Herausforderer Modis bei den anstehenden Wahlen ist, Sitaram Yechury von der CPI-M, Farooq Abdullah von der National Conference aus dem nördlichen Unionsstaat Jammu und Kaschmir oder Delhis Chefminister Arvind Kejriwal von der die Hauptstadtmetropole regierenden Aam Admi Partei – sie alle werfen der Regierung Versagen in der Agrarkrise vor. Verwiesen wird auf mindestens 300 000 Bauern-Suizide seit 1995.
In bizarr anmutenden Szenen trugen die Protestierenden nicht nur Fotos ihrer Lieben, die sich aus Verzweiflung über wachsende Schuldenberge das Leben genommen haben, mit sich. Einige hatten auch die Schä- del derjenigen, die im Selbstmord den einzigen Ausweg sahen, dabei.
Es ist mindestens der vierte MegaProtest indischer Bauern im laufenden Jahr auf nationaler Ebene. Mehr noch als bisher stand die Forderung im Mittelpunkt, nicht einfach nur Schulden zu erlassen, sondern auch mit einer Anhebung von staatlichen Mindestabnahmepreisen und anderen Maßnahmen für mehr als nur temporäre Entspannung zu sorgen. Indiens Landwirtschaft mag zwar nur noch zu etwa 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen – was Arbeitskräfte und damit die Sicherung von Familieneinkommen angeht, ist aber nach wie vor rund die Hälfte der Gesamtbevölkerung ganz direkt von diesem Sektor abhängig. Das macht naturgemäß auch viele Wählerstimmen aus: Der gemeinsame Vorwurf von Oppositionsparteien wie Bauernaktivisten lautet, dass Modi und seine Getreuen nur das Großkapital im Sinn hätten, die ländlichen Räume mit ihren meist kleinbäuerlichen Strukturen aber verraten. Die Tageszeitung »Hindustan Times« verwies in einem Beitrag auf Statistiken, wonach landwirtschaftliche Produkte zwar 40 Prozent des Warenkorbs im Verbraucherpreisindex ausmachen, aber kaum für generell steigende Lebenshaltungskosten verantwortlich sind. Preistreiber sind zuvorderst andere Produkte. Doch mit Blick auf eine Deckelung der Inflation weigere sich die Regierung, gerade mittels erhöhter staatlicher Abnahmepreise mehr für die Bauern zu tun.
Erst wenige Tage ist es her, dass ähnliche Bilder aus Mumbai, der an der Westküste gelegenen größten Wirtschaftsmetropole Indiens, rund um den Globus gingen. Dort waren Tausende Bauern aus dem gesamten Unionsstaat Maharashtra auf die Straße gegangen, um von der Regionalregierung, ebenfalls von der BJP gestellt, die Einhaltung von bereits vor Monaten gegebenen Versprechen zu fordern. Nach einer Gesprächsrunde der Protestführer mit Chefminister Devendra Fadnavis und dessen neuen Zusicherungen, gerade beim Schuldenerlass und einem Gesetz über Landnutzungsrechte indigener Bauern in Waldgebieten für bessere Umsetzung zu sorgen, traten die Demonstrierenden schließlich wieder den Heimweg an.
Die Landwirte eint ihre Kritik und die Forderung, das Problem der Überschuldung und stetig steigender Produktionspreise endlich tiefgründig anzugehen.