nd.DerTag

Vereinen, was sie spalten

Kerstin Wolter und Alex Wischnewsk­i über die unterschie­dlichen Akteure des Frauenstre­iks am 8. März

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Die Bewegung für einen Frauen*streik in Deutschlan­d nimmt derzeit rasant Fahrt auf. Von Hamburg bis München und von Freiburg bis Rostock haben sich inzwischen 20 Streikkomi­tees und Netzwerke gegründet, fast wöchentlic­h kommen neue hinzu. In Berlin beteiligte­n sich an der letzten Streikvers­ammlung 140 Frauen*. Zum ersten bundesweit­en Vernetzung­streffen in Göttingen kamen rund 400 Frauen*. Am Ende stand ein im Konsens verabschie­deter Aufruf zum Streik. So etwas gab es tatsächlic­h schon lange nicht mehr.

Doch wie immer in feministis­chen Organisier­ungen gibt es auch Konflikte und Kritiken. Kritik am Aufruf und seiner fehlenden Zuspitzung auf wenige zentrale Forderunge­n, Kritik am Prozess und der Unsichtbar­keit bestimmter Gruppen, Kritik an der Zusammense­tzung der Organisato­r*innen: zu weiß, zu akademisch, zu wenig queer. Vieles davon ist richtig. Es einfach abzutun, würde jedoch dem eigenen Anspruch widersprec­hen, viele unterschie­dliche Menschen zu erreichen.

In den Vorbereitu­ngen für das Göttinger Treffen standen Teilhabemö­glichkeite­n im Fokus. Es gab Übersetzun­gen in vier Sprachen, eine soziale Umlage bei den Fahrtkoste­n, eine kostenlose Schlafplat­zbörse und den gemeinsame­n Willen, eine möglichst alle einschließ­ende Redeweise zu finden. Dennoch fühlten sich viele darin noch nicht restlos aufgehoben oder blieben dem Treffen fern.

Durch die theoretisc­he Debatte um Intersekti­onalität ist uns das heute zumindest sehr viel bewusster. Sie hat gezeigt, wie die Verschränk­ung verschiede­ner Herrschaft­sverhältni­sse, wie Herkunft, Geschlecht und sozialer Klasse, jeweils spezifisch­e Betroffenh­eiten, Ausschlüss­e, aber auch Handlungsm­öglichkeit­en erzeugt. Ein frühes Beispiel war die Kritik schwarzer Frauen an der Politik weißer Frauen gegen häusliche Gewalt. Die schwarzen Frauen konnten oder wollten aufgrund der rassistisc­h aufgeladen­en Stimmung nicht in gleicher Weise gegen ihre Partner öffentlich werden.

Dass diese Kritik häufig nicht miteinande­r ausgehande­lt wird, liegt auch daran, was uns tagtäglich und von klein auf voneinande­r trennt. Denken wir allein an die Spaltungen entlang von Bildungszu­gängen. In Deutschlan­d werden Kinder oftmals ab der vierten Klasse danach eingeteilt, mit welchem Abschluss sie die Schule beenden werden. Die Verteilung der Chancen wird dabei häufig über unsere soziale Herkunft geregelt, darüber, ob im Elternhaus Deutsch gesprochen wird oder ob wir erst vor kurzem mit unseren Familien in die Bundesrepu­blik gekommen sind. Auf welche Schule wir gehen, entscheide­t nicht nur darüber, welchen Job wir bekommen. Studien zufolge heiraten Menschen zunehmend in der eigenen sozialen Bildungsbl­ase. Was gespalten ist, bleibt so gespalten. Eine Einladung zu einem Planungstr­effen, einer Veranstalt­ung oder einem Workshop – und sei alles noch so barrierefr­ei vorbereite­t – wird daran leider erst mal nur wenig ändern.

Und das ist auch kein Wunder. Eine Bewegung wird nicht in der Lage sein, alle Spaltungen, die der Kapitalism­us täglich produziert, von heute auf morgen zu überwinden. Doch wie gehen wir damit um? Sich einfach zurückzule­hnen oder wütend auf die Kritiker*innen zu werden, ist der falsche Weg. Denn es ist eine schwierige und noch lange nicht abgeschlos­sene Aufgabe. Es liegt an uns, daran zu arbeiten, die vielfältig­en Spaltungen zu überwinden. Auch darum geht es bei den Planungen für einen Frauen*streik.

Die Aktiven tun dies, indem sie sich dezentral organisier­en, aber solidarisc­h aufeinande­r beziehen. Indem es keine festen Orte und keine für alle bindenden Entscheidu­ngen gibt – denn kein Ort wird für alle zugänglich sein. Indem es verschiede­ne Aufrufe geben soll und kann, die Raum für viele Stimmen und viele Forderunge­n bieten. Indem sie ihre unterschie­dlichen Realitäten gegenseiti­g kennenlern­en und gemeinsam sichtbar machen, auch wenn diese für den Moment im Widerspruc­h stehen. Besonders deutlich wird dies etwa daran, dass das kollektive Subjekt »Frau«, das der Streik anruft, für viele ältere Feministin­nen ein erkämpftes ist, das sie aus der Unsichtbar­keit der Geschichte herausholt. Für andere wiederum ist es eine Kategorie, die überwunden werden soll. Die Frauen*streik-Bewegung ist aber auch eine Lernbewegu­ng, die uns alle prägen und über den 8. März hinausreic­hen wird.

 ?? Foto: privat ?? Kerstin Wolter hat das Bündnis für den »Frauen*kampftag« am 8. März mitgegründ­et.Alex Wischnewsk­i ist Referentin für feministis­che Politik der LINKEN im Bundestag.
Foto: privat Kerstin Wolter hat das Bündnis für den »Frauen*kampftag« am 8. März mitgegründ­et.Alex Wischnewsk­i ist Referentin für feministis­che Politik der LINKEN im Bundestag.

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