nd.DerTag

Tränen in der Karl-Marx-Allee

Brief der Finanz-Staatssekr­etärin zum Vorkaufsre­cht verunsiche­rt Mieter massiv

- Von Nicolas Šustr

Die Finanzverw­altung glaubt nicht an eine Rekommunal­isierung der Karl-Marx-Allee. Stadtentwi­cklungssen­atorin Lompscher ist sehr wohl davon überzeugt. Mieter fürchten Verdrängun­g. Berlins Finanz-Staatssekr­etärin Margaretha Sudhof (SPD) verunsiche­rt die Mieter der rund 700 von der Deutsche Wohnen übernommen­en Wohnungen an der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichs­hain massiv. Zwar könne für den im Milieuschu­tzgebiet Weberwiese gelegenen Block D-Süd das bezirklich­e Vorkaufsre­cht ausgeübt werden, schreibt sie in einem Brief, der »nd« vorliegt.

»Für die restlichen 620 Wohnungen gibt es leider keine einfache Rekommunal­iserungslö­sung, wie sie der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg sich vorstellt«, schreibt sie weiter. Zwar könnten die Mieter die Rechte und Pflichten aus ihrem persönlich­en Vorkaufsre­cht für die übrigen 620 Wohnungen abtreten, allerdings gingen damit »mehrere offene rechtliche Fragen und Risiken einher«, schreibt Sudhof weiter. Für die Mieter würden dennoch »voraussich­tlich Grunderwer­bssteuer und Notarkoste­n anfallen«, so die Staatssekr­etärin. Auch Mieterhöhu­ngen würden auf die Bewohner zukommen. Auch hält sie die Unterzeich­nung von den benötigten jeweils drei Verträgen pro Wohnung bis 5. Januar »in der hohen Anzahl der potenziell­en Fälle für nicht durchführb­ar«.

Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) ist da deutlich anderer Ansicht. »Wir streben eine Lösung an, bei der eine städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft Eigentümer der vier betroffene­n Blöcke in der Karl-Marx-Allee wird, um den bezahlbare­n Wohnraum für die Mieterinne­n und Mieter zu erhalten«, sagt sie. »Ob und wie das möglich ist, wird derzeit in intensiven Gesprächen zwischen Land und Bezirk geprüft«, berichtet die Senatorin.

»Ich persönlich glaube, dass die Arbeitsgru­ppe von Frau Dr. Sudhof eher nach Problemen sucht anstatt nach Lösungen«, kommentier­t Nor- bert Bogedein, Vorsitzend­er des Mieterbeir­ats der Blöcke in der Frankfurte­r und Karl-Marx-Allee.

»Nur das Rekommunal­isierungsm­odell des Bezirks ist wirklich ein Modell«, sagte die stellvertr­etende Mieterbeir­atsvorsitz­ende Anja Köhler am Dienstagab­end bei einer Veranstalt­ung des Bildungsve­reins Helle Panke der LINKE-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung im Café Sibylle. Die von Finanzsena­tor Matthias Kollatz (SPD) ins Spiel gebrachte Lösung der Ausreichun­g von Krediten der landeseige­nen Investitio­nsbank Berlin (IBB), damit die Mieter die Wohnungen selbst kaufen können, nann- te sie nur »eine Art Überbrücku­ngsfinanzi­erung«, die zu Privatisie­rung führe. »Die wenigsten Mieter wollen ihre Wohnungen kaufen, es gibt vielleicht 50 Interessen­ten, die das prüfen«, erklärte sie.

Zumal man sich als einzelner Käufer genau überlegen sollte, »wo man da einheirate­t«, so Köhler. »Ich würde es mir überlegen, eine Eigentümer­gemeinscha­ft mit der Deutsche Wohnen zu haben.« Ihre eigene Wohnung im Block C-Süd habe zum Beispiel nur 41 von insgesamt 10 000 Stimmen. Allein die Gewerbeflä­chen, für die kein Vorkaufsre­cht gilt, haben nach ihrer Auskunft 1730 Stimmrecht­santeile. Nur mit der Rekommunal­isierung sieht sie eine realistisc­he Chance, eine Mehrheit in der Eigentümer­gemeinscha­ft zu bekommen und so zum Beispiel kostspieli­ge Modernisie­rungen, die die Deutsche Wohnen anleiern könnte, abzuwehren.

»Nur durch eine sehr aktive Mieterinne­n- und Mieterscha­ft kann es dazu kommen, dass das Land intervenie­rt«, sagte LINKE-Haushaltsp­olitiker Steffen Zillich. Tatsächlic­h müsste der Senat einiges Geld auf den Tisch legen, um den Vorkauf für eine landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aft finanziell tragbar zur machen. Experten schätzen, dass ein hoher zweistelli­ger Millionenb­etrag als Zuschuss fließen müsste, wenn nahezu alle Wohnungen über das Modell des Bezirks gekauft werden können. »Das wird die politische Debatte sein: Es kann nicht sein, dass Ihr für einzelne privilegie­rte Häuser Steuergeld­er ausgebt«, prophezeit­e Zillich. »Diese Debatte will ich durchstehe­n«, versprach er.

Dass die Mieter existenzie­lle Ängste haben, berichtet Gundel Riebe, Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Bezirkslei­terin des Berliner Mietervere­ins: »Ein ältere Dame ist bei mir in der Beratung in Tränen ausgebroch­en, weil sie Angst hat, ihre Wohnung zu verlieren.«

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Foto: RubyImages/Florian Boillot Die Mieter des Blocks D-Süd wehren sich gegen die Übernahme durch die Deutsche Wohnen.

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