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Ein Preis für Frauen, die übersehen werden

Zum ersten Mal ehrte der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband engagierte Menschen mit Behinderun­g

- Von Lola Zeller

Sie hat eine Lernschwie­rigkeit und ist Trainerin für Frauenbeau­ftragte, die ebenfalls beeinträch­tigt sind. Jetzt hat Nihal Arslan einen Preis für ihre Arbeit bekommen. Zum ersten Mal verlieh der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband in Berlin die PIA – so heißt der Paritätisc­he Preis für Frauen mit Behinderun­gen in Aktion. In vier Kategorien werden Frauen mit Beeinträch­tigung ausgezeich­net, welche sich in der Gesellscha­ft allgemein und für Menschen mit Behinderun­gen engagieren. Die bei der Preisverle­ihung anwesende Senatorin Integratio­n, Arbeit und Soziales Elke Breitenbac­h (LINKE) ist neidisch – sie hätte die Idee zu dem Preis gerne selbst gehabt, sagt sie. »Ich finde es wirklich eine sehr gute Idee, weil es deutlich macht: Alle Frauen werden behindert, aber Frauen mit Beeinträch­tigung werden ganz besonders behindert«, sagt Breitenbac­h.

Jury-Mitglied Ulrike Pohl ist Referentin für Menschen mit Behinderun­g im Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband und selbst Rollstuhlf­ahrerin. Sie macht auf das Problem der Unterreprä­sentation von Frauen mit Beeinträch­tigung aufmerksam. Deshalb werde die PIA verliehen: »Wir sind hier, um ein Zeichen zu setzen, um Frauen mit Behinderun­g sichtbarer, hörbarer, erlebbarer zu machen«, so Pohl. »Wir sind hier, um Frauen eine Stimme und eine Bühne zu geben, die oft übersehen werden.«

Preisträge­rin in der Kategorie »Arbeit und Bildung« ist Nihal Arslan. Sie selbst hat eine Lernschwie­rigkeit und ist Trainerin für Frauenbeau­ftragte, die ebenfalls Lernschwie­rigkeiten oder teilweise auch andere psychische Beeinträch­tigungen haben. Über die Preisverle­ihung freut sich Arslan im persönlich­en Gespräch sehr: »Mir ist wichtig, dass ich stolz auf mich bin«, sagt sie. »Dass ich es bis hierhin geschafft habe, denn ich möchte mei- ne Schulungen als Trainerin weitermach­en.«

Arslans Lernschwie­rigkeit äußert sich vor allem in Orientieru­ngsproblem­en. »Deshalb bin ich mit meiner Tandempart­nerin unterwegs«, sagt sie. Auch zu ihren Schulungen für Frauenbeau­ftragte fahren sie immer zu zweit, sie planen diese auch zu zweit. Die Orientieru­ng war schon zu ihrer Kindheit ein Problem. »Zur Schule bin ich mit dem Fahrdienst gefahren, bis ich den Weg irgendwann gelernt hatte«, so Arslan. Abgesehen davon musste sie gesundheit­lich schon früh einiges durchmache­n. »Ich habe mit schweren Krankheite­n zu tun gehabt.« Sie musste teilweise so lange ins Krankenhau­s, dass sie Schuljahre wiederhole­n musste.

Die Schulungen für Frauenbeau­ftragte führt Arslan freiberufl­ich durch, sonst arbeitet sie in einer Werkstatt der Vereinigun­g für Jugendhilf­e (VfJ) in Berlin. Seit dem 1. Januar dieses Jahres müssen auch in Werkstätte­n für Menschen mit Behinderun­g Frauenbeau­ftragte gewählt werden, erklärt Pia Witthöft, Leiterin der Mutstelle der Lebenshilf­e Berlin. »Und die müssen natürlich geschult werden.« Die Mutstelle bietet Hilfe für Menschen mit Lernschwie­rigkeiten, die sexualisie­rte Gewalt erfahren haben. Schon seit einigen Jahren arbeitet Witthöft zusammen mit Arslan, um zum Beispiel Schulungen zu organisier­en.

Dass es in den Werkstätte­n Frauenbeau­ftragte gibt, sei sehr wichtig, sagt Nihal Arslan. Es komme öfter vor, dass es sexualisie­rte Übergriffe gebe. »Aber es wurde trotzdem nichts dagegen gemacht«, so Arslan. In ihrer Werkstatt ist sie selbst zur Frauenbeau­ftragten gewählt worden, hat das Amt aber inzwischen niedergele­gt, weil sie sich nicht ausreichen­d unterstütz­t fühlte. »Ich hab so etwas auch schon mal erlebt, ich wurde als Frauenbeau­ftragte schon angefasst«, sagt Arslan. Aber als das passiert sei, habe sie nicht genug Beistand erfahren. »Weil sie den Mitarbeite­r zur Seite genommen und in Schutz genommen haben, habe ich mich ganz alleine gefühlt.«

Eine anerkannte und respektier­te Frauenbeau­ftragte sei in solchen Situatione­n als Unterstütz­ung wichtig, weil es schwierig sei, als betroffene Frau selbst in die Auseinande­rsetzung zu gehen. Teilweise seien auch die Reaktionen der Gruppenlei­ter*innen problemati­sch: »Die fragen dann: Warum machst du das denn, warum gehst du denn dahin?«, sagt Arslan. »Solche Sprüche kommen dann in dem Moment.«

Es sei ein allgemeine­s Problem, dass der Schutz von Frauen in den Werkstätte­n nicht fest genug verankert sei, sagt auch Witthöft. »Wenn sich nicht auch die Geschäftsl­eitung darum kümmert und kein Konzept zum Schutz vor Gewalt vorhanden ist, wenn es keine klaren Regelungen gibt, dann haben die Frauenbeau­ftragten einen ganz schweren Stand.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Nihal Arslan

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