Ein Preis für Frauen, die übersehen werden
Zum ersten Mal ehrte der Paritätische Wohlfahrtsverband engagierte Menschen mit Behinderung
Sie hat eine Lernschwierigkeit und ist Trainerin für Frauenbeauftragte, die ebenfalls beeinträchtigt sind. Jetzt hat Nihal Arslan einen Preis für ihre Arbeit bekommen. Zum ersten Mal verlieh der Paritätische Wohlfahrtsverband in Berlin die PIA – so heißt der Paritätische Preis für Frauen mit Behinderungen in Aktion. In vier Kategorien werden Frauen mit Beeinträchtigung ausgezeichnet, welche sich in der Gesellschaft allgemein und für Menschen mit Behinderungen engagieren. Die bei der Preisverleihung anwesende Senatorin Integration, Arbeit und Soziales Elke Breitenbach (LINKE) ist neidisch – sie hätte die Idee zu dem Preis gerne selbst gehabt, sagt sie. »Ich finde es wirklich eine sehr gute Idee, weil es deutlich macht: Alle Frauen werden behindert, aber Frauen mit Beeinträchtigung werden ganz besonders behindert«, sagt Breitenbach.
Jury-Mitglied Ulrike Pohl ist Referentin für Menschen mit Behinderung im Paritätischen Wohlfahrtsverband und selbst Rollstuhlfahrerin. Sie macht auf das Problem der Unterrepräsentation von Frauen mit Beeinträchtigung aufmerksam. Deshalb werde die PIA verliehen: »Wir sind hier, um ein Zeichen zu setzen, um Frauen mit Behinderung sichtbarer, hörbarer, erlebbarer zu machen«, so Pohl. »Wir sind hier, um Frauen eine Stimme und eine Bühne zu geben, die oft übersehen werden.«
Preisträgerin in der Kategorie »Arbeit und Bildung« ist Nihal Arslan. Sie selbst hat eine Lernschwierigkeit und ist Trainerin für Frauenbeauftragte, die ebenfalls Lernschwierigkeiten oder teilweise auch andere psychische Beeinträchtigungen haben. Über die Preisverleihung freut sich Arslan im persönlichen Gespräch sehr: »Mir ist wichtig, dass ich stolz auf mich bin«, sagt sie. »Dass ich es bis hierhin geschafft habe, denn ich möchte mei- ne Schulungen als Trainerin weitermachen.«
Arslans Lernschwierigkeit äußert sich vor allem in Orientierungsproblemen. »Deshalb bin ich mit meiner Tandempartnerin unterwegs«, sagt sie. Auch zu ihren Schulungen für Frauenbeauftragte fahren sie immer zu zweit, sie planen diese auch zu zweit. Die Orientierung war schon zu ihrer Kindheit ein Problem. »Zur Schule bin ich mit dem Fahrdienst gefahren, bis ich den Weg irgendwann gelernt hatte«, so Arslan. Abgesehen davon musste sie gesundheitlich schon früh einiges durchmachen. »Ich habe mit schweren Krankheiten zu tun gehabt.« Sie musste teilweise so lange ins Krankenhaus, dass sie Schuljahre wiederholen musste.
Die Schulungen für Frauenbeauftragte führt Arslan freiberuflich durch, sonst arbeitet sie in einer Werkstatt der Vereinigung für Jugendhilfe (VfJ) in Berlin. Seit dem 1. Januar dieses Jahres müssen auch in Werkstätten für Menschen mit Behinderung Frauenbeauftragte gewählt werden, erklärt Pia Witthöft, Leiterin der Mutstelle der Lebenshilfe Berlin. »Und die müssen natürlich geschult werden.« Die Mutstelle bietet Hilfe für Menschen mit Lernschwierigkeiten, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Schon seit einigen Jahren arbeitet Witthöft zusammen mit Arslan, um zum Beispiel Schulungen zu organisieren.
Dass es in den Werkstätten Frauenbeauftragte gibt, sei sehr wichtig, sagt Nihal Arslan. Es komme öfter vor, dass es sexualisierte Übergriffe gebe. »Aber es wurde trotzdem nichts dagegen gemacht«, so Arslan. In ihrer Werkstatt ist sie selbst zur Frauenbeauftragten gewählt worden, hat das Amt aber inzwischen niedergelegt, weil sie sich nicht ausreichend unterstützt fühlte. »Ich hab so etwas auch schon mal erlebt, ich wurde als Frauenbeauftragte schon angefasst«, sagt Arslan. Aber als das passiert sei, habe sie nicht genug Beistand erfahren. »Weil sie den Mitarbeiter zur Seite genommen und in Schutz genommen haben, habe ich mich ganz alleine gefühlt.«
Eine anerkannte und respektierte Frauenbeauftragte sei in solchen Situationen als Unterstützung wichtig, weil es schwierig sei, als betroffene Frau selbst in die Auseinandersetzung zu gehen. Teilweise seien auch die Reaktionen der Gruppenleiter*innen problematisch: »Die fragen dann: Warum machst du das denn, warum gehst du denn dahin?«, sagt Arslan. »Solche Sprüche kommen dann in dem Moment.«
Es sei ein allgemeines Problem, dass der Schutz von Frauen in den Werkstätten nicht fest genug verankert sei, sagt auch Witthöft. »Wenn sich nicht auch die Geschäftsleitung darum kümmert und kein Konzept zum Schutz vor Gewalt vorhanden ist, wenn es keine klaren Regelungen gibt, dann haben die Frauenbeauftragten einen ganz schweren Stand.«