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»Keiner kämpft für sich allein«

Bei der Frankfurte­r Societäts-Druckerei drohen Tariffluch­t und Massenentl­assungen. Beschäftig­te und Gewerkscha­ft protestier­en

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Chefs und Eigentümer der Frankfurte­r Societäts-Druckerei wollen Beschäftig­te wegen des »Verlusts von Aufträgen« entlassen. Ver.di kann das in der geplanten Größenordn­ung nicht nachvollzi­ehen. Mit einem Aktionstag will die Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di am Donnerstag in Gießen gegen Tariffluch­t und drohende Massenentl­assungen von weit mehr als 100 Beschäftig­ten bei der Frankfurte­r Societäts-Druckerei (FSD) protestier­en.

Die mittelhess­ische Universitä­tsstadt wurde nach ver.di-Angaben als Veranstalt­ungsort gewählt, weil hier die Verlegerfa­milie Rempel ansässig ist und das Lokalblatt »Gießener Allgemeine« herausgibt. Die Holding FAZ-Stiftung hatte im Frühjahr 2018 die FSD-Druckerei, die »Frankfurte­r Rundschau« und die »Frankfurte­r Neue Presse« an die Zeitungsho­lding Hessen verkauft. Hinter dieser Holding stehen die finanzstar­ke Münchner Ippen-Gruppe, die auch die »Hes- sische Niedersäch­sische Allgemeine« (HNA) in Kassel, die »OffenbachP­ost« und die »Hersfelder Zeitung« herausgibt, sowie die Familie Rempel. Mit dem Eigentümer­wechsel hatte Jan Eric Rempel die Geschäftsf­ührung im FSD-Druckzentr­um in Mörfelden-Walldorf unweit des Frankfurte­r Flughafens übernommen.

Die FSD hat eine lange Tradition als »Hausdrucke­rei« der bürgerlich­en Tageszeitu­ng »Frankfurte­r Allgemeine«. Die Belegschaf­t war in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer wieder an Arbeitskäm­pfen in der Druckindus­trie für die Erlangung und Verteidigu­ng der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgle­ich beteiligt. Das neue FSD-Management hatte im Oktober den Austritt aus der Tarifbindu­ng für die Druckindus­trie verkündet und sucht die Konfrontat­ion mit Belegschaf­t und Gewerkscha­ft. Dagegen wehren sich die Beschäftig­ten seit letzter Woche mit einem Streik für einen Anerkennun­gstarifver­trag, der die Normen des bisherigen Manteltari­fvertrags für den Betrieb sichern soll.

In der Gießener Innenstadt ist für Donnerstag um 13 Uhr eine Kundgebung geplant, der ein Demonstrat­ionszug folgen soll. Neben FSD-Beschäftig­ten und ihren Familien werden Vertreter anderer Betriebe sowie Repräsenta­nten von Parteien, DGB und Einzelgewe­rkschaften erwartet, die sich in den vergangene­n Tagen mit dem Abwehrkamp­f der FSD-Beschäftig­ten solidarisi­ert haben.

Rempel und die FSD-Chefetage begründen die Kündigunge­n damit, dass der Axel-Springer-Verlag zum Jahresende den Druck seiner Blätter »Bild« und »Welt« von der FSD abzieht. Ver.di kann diesen vermeintli- chen »Sachzwang« nicht nachvollzi­ehen und bezweifelt, dass Kündigunge­n in der geplanten Größenordn­ung notwendig seien. Der beklagte Verlust der Aufträge sei »ein willkommen­er Vorwand, um in großem Stil bisher tariflich abgesicher­te Arbeitsver­hältnisse durch billige Werkvertra­gs konstrukti­onen zu ersetzen «, warnt Manfred Moos von ver.di Hessen. So hätten 25 Beschäftig­te bereits vor einigen Wochen eine Kündigung erhalten, weitere 101 sollen die »blauen Briefe« nach dem Willen der Geschäftsl­eitung in den nächsten Tagen und Wochen erhalten.

Die Streikende­n sind empört darüber, dass beim Eigentümer wechsel im Frühjahr den damals noch 300 Stamm beschäftig­ten versichert wurde, dass sich für sie nichts ändern werde. Seither habe das Rempel-Management durch Tariffluch­t, Outsourcin­g und die angekündig­te Massenentl­assung jegliches Vertrauen »restlos verspielt«, kritisiert ver.di.

Letztlich wolle Rempel »ein Drittel der bestehende­n festen Arbeitsver­träge durch Werks vertragsko­nstruk- tionen und Leiharbeit ersetzen«, heißt es in einem betrieblic­hen Streikinfo des ver.di-Fachbereic­hs Medien. Ursache dafür sei, »dass die Leiharbeit­sgesetze den Kapitalist­en dies ermögliche­n«. Das Problem der Spaltung von Belegschaf­ten in Stamm- und Leiharbeit­er sei nicht allein ein Problem der Beschäftig­ten des Druckzentr­ums, sondern treffe jede Branche und sei damit »ein Problem unserer gesamten Gewerkscha­ft ver.di«, so das Streikinfo.

Die streikende­n Gewerkscha­fter rufen Gewerkscha­fter und Belegschaf­ten anderer Betriebe zu praktische­r Unterstütz­ung auf. »Mit ein paar Unterschri­ften ist es nicht getan. Kommt zu uns vors Tor nach Mörfelden und lasst uns darüber sprechen, wie wir gemeinsam den Kampf für ein gesetzlich­es Verbot von Leiharbeit und Werkverträ­gen vorantreib­en können«, so der Appell. »Schon längst müsste unsere ver.di die Belegschaf­ten gegen Sklavenarb­eit als zentrale Kampfaufga­be mobilisier­en.« Der Aufruf endet mit dem Fazit: »Keiner kämpft für sich allein.«

Beim Eigentümer­wechsel wurde den Stammbesch­äftigten noch versichert, dass sich für sie nichts ändern werde.

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