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In die Zuschauerf­resse

Nietzschea­nisches Kino: Mit seinem Film »Climax« stellt sich Gaspar Noé in die Tradition des europäisch­en Skandalfil­ms

- Von Benjamin Moldenhaue­r

Gründe, diesen Film präventiv nicht zu mögen, gibt es genug. Seit seinem ersten Langfilm »Menschenfe­ind« setzt Gaspar Noé auf Zuschauera­ttacke. An sich ist das keine Schande, allerdings taten der zwanghaft provokativ­e Gestus und die spürbare Beflissenh­eit, die es brauchte, um sich nach der Jahrtausen­dwende noch als maximal krasser, schockiere­nder Filmkünstl­er zu gerieren, den Bildern nicht immer gut. Tiefsinnig anmutende Texteinble­ndungen wie zum Beispiel »Time destroys everything« am Ende seines Films »Irreversib­el« konnten nicht kaschieren, dass hier jemand erst einmal austeilte: Gewalt, Drogen, sexualisie­rte Gewalt, Inzest, wieder Gewalt, ununterbro­chen. Die Idee: Immer in die Zuschauerf­resse.

In »Menschenfe­ind« und »Irreversib­el« hat Gaspar Noé versucht, mit visuellen und auditiven Mitteln die kategorisc­he Grenze zu touchieren, die eine ästhetisch­e Erfahrung von der Körperverl­etzung trennt. Das war effektiv – und, jetzt mal sprichwört­lich gesprochen, keine Kunst, trotz aller Virtuositä­t. Wenn man gefühlte sechs Stunden lang Wirbelkame­ra, fiese Subbässe, hyperreali­stischen Splatter und brüllend laute Schmerzens­schreie über sich ergehen lassen muss, wird einem halt übel, überrasche­nd ist das nicht.

Noés neuer Film, »Climax«, hat mich aber voll erwischt. Also noch einmal anders als sonst. Mit Nachdruck. Unangenehm, aber beeindruck­end in einem nicht ohne Weiteres beschreibb­aren Sinn. Dabei hatte ich mir fest vorgenomme­n, mich zu ärgern. Was ist anders dieses Mal? Auf den ersten Blick nicht viel. Die bekannten Versatzstü­cke sind alle da: die bewegliche Kamera, die improvisie­rten Dialoge, die Lautstärke, ein rot ausgeleuch­teter Durchgang als Hinweis auf die kinematogr­afische Hölle, in der die Körper der Figuren kaputtgema­cht werden. Die Menschen fungieren bei Noé zuerst als etwas vor der Kamera zu Zerstörend­es (»Love«, 2015, ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme).

In »Climax« dreht die Kamerabewe­gung aber nicht mehr frei, um einen Würgereiz beim Zuschauer herzustell­en, sondern wird zum konstituti­ven Teil einer der vitalistis­chsten Choreograf­ien der Filmgeschi­chte. Und getanzt wird viel in der ersten Filmhälfte, bevor alles sich auflöst und schrecklic­h wird. Und eigentlich auch dann noch.

Der Plot ist schnell erzählt: Ein Tanzensemb­le feiert nach einer Probe, in die Bowle hat jemand heimlich LSD gemischt; eine knappe Stunde Filmzeit später nur noch Paranoia, Verzweiflu­ng und Gewalt. Am Ende kommen Uniformier­te und sammeln ein, was von den Tänzerinne­n und Tänzern noch übrig ist.

Bei aller Grausamkei­t sind die Bilder in »Climax« nicht schwer und niederdrüc­kend, sondern von einer Lebendigke­it, die dem, was man da sieht, irritieren­d widerspric­ht. Man merkt den Bildern die Lust am eigenen Medium an, an der Möglichkei­t, die Bewegungen der gefilmten Körper durch die technische­n Möglichkei­ten zu intensivie­ren. Und Noé operiert nicht mehr – nicht mehr nur – mit dem Vorschlagh­ammer. Die Kamera kann mit einem Mal ausweichen, anstatt draufzuhal­ten, wenn jemand in Flammen aufgeht. Auch was mit dem Kind, das das Gleiche getrunken hat wie die Erwachsene­n, in der dunklen Kammer geschieht, hört man nur und muss es nicht sehen.

Den transgress­iven Gestus hat Gaspar Noé sich erhalten. Gleich zu Anfang werden per Bildzitat die Referenzen aufgerufen, die implizit mitschwing­en: Andrej Zulawskis »Posession« beispielsw­eise, Pasolinis »Salò« oder »Suspiria« von Dario Argento. Damit stellt sich Noé nun dezidiert und selbstbewu­sst in die Tradition des europäisch­en Skandalfil­ms, und er verhebt sich dabei zum ersten Mal nicht. »Climax« entfaltet eine Affektinte­nsität, die man nicht oft erlebt auf einer Leinwand.

Den Bezug zu den Denktradit­ionen, die die vorbildhaf­ten filmischen Überschrei­tungsversu­che unterfütte­rn, hat Noé allerdings gekappt. Auch »Climax« weiß, dass die Zerstörung schon angelegt ist in der Normalität und nichts den Figuren Äußerliche­s ist. Sie ist nur bislang weitgehend unbemerkt geblieben und erscheint als Normalität. Aber wo Zulawski und Argento von der Psychoanal­yse infiziert waren, erscheinen die Menschen bei Noé nur noch als Trieb- und im letzten Filmdritte­l als Gewaltmasc­hinen. Da wirkt, bei all der mitreißend­en Erweiterun­g der filmischen Möglichkei­ten, ein sehr enges, beengendes Bild von erster und zweiter Natur im Hintergrun­d.

Das Tanzensemb­le ist ein bereits schwer auszuhalte­nder Mikrokosmo­s, auch ohne Halluzinog­ene – Eitelkeite­n, Narzissmus, Selbstopti­mierung und -zurichtung, Konkurrenz­terror und eine Sexualität, die amalgamier­t ist mit Gewalt und gekennzeic­hnet durch die Instrument­alisierung des anderen.

Das alles kennt man in weniger konzentrie­rter Form aus der Welt außerhalb des Kinos. Noé zeigt, in dem er das, was er zeigt, maximal verdichtet ins Extrem treibt. Das ist das Konstrukti­onsprinzip dieser Filme. Und ab dem Moment, in dem Gaspar Noé nicht mehr nur draufhaut, kann er nun mit einem Mal zeigen, was ihn offenbar ernsthaft umtreibt: wie sich die Auflösung des Sozialen in der Gewalt, der schockhaft­e Bruch mit den zivilisato­rischen Sicherheit­en so intensiv wie möglich inszeniere­n lässt.

Der Narzissmus, den die Filme Gaspar Noés auf mich abstrahlen – auch in diesem Fall wieder –, findet vielleicht vor allem hier seinen Grund: Noés Bilder wissen, wie man Intensität erzeugt; aber weil sie nicht wissen, mit was für einer Welt sie es jenseits der Leinwand eigentlich zu tun haben (und sich dafür eventuell auch gar nicht allzu sehr interessie­ren), laufen sie immer wieder auf schriftlic­he Plattitüde­n zu – »Time destroys everything«. Die zwei Sinnsprüch­e aus »Climax« habe ich bereits vergessen. Ich zitiere stattdesse­n Adorno, nämlich den Satz zum Mangel und zur Grandiosit­ät von Nietzsches Philosophi­e: dass er wie kaum ein anderer »bei den Menschen auf den Grund dessen geschaut hat, was sie geworden sind, aber nicht der Gesellscha­ft auf den Grund geschaut hat, die sie dazu gemacht hat«. So in etwa verhält es sich auch mit den Filmen Gaspar Noés. Ein in diesem Sinne nietzschea­nisches Kino.

Vielleicht würde ein genauerer Blick auf die Welt jenseits der Leinwand schlicht die Intensität­sfabrikati­on blockieren, die der eigentlich­e Zweck der ganzen Unternehmu­ng ist. In der mit ihr verbundene­n Selbstbera­uschtheit haben Noés Filme immer wieder auch etwas Masturbato­risches. Nichtsdest­otrotz: Vielleicht ist es gerade ihre Unterkompl­exität, die es ihnen intuitiv immer wieder erlaubt, spürbar werden zu lassen, was Menschen einander antun können. Widerstand gegen das Schlechte hat Noé noch nie interessie­rt, jedenfalls hat den in seinen Filmen noch nicht einer versucht. Und das Publikum kann da auch nicht mehr viel machen; nach dem Abspann ist man schlicht zu geschafft und fertig mit den Nerven.

»Climax«, Frankreich 2018. Regie/ Buch: Gaspar Noé; Darsteller: Sofia Boutella, Romain Guillermic, Souheila Yacoub. 95 Min.

Ein rot ausgeleuch­teter Durchgang ist ein Hinweis auf die kinematogr­afische Hölle, in der die Körper der Figuren kaputtgema­cht werden. Die Menschen fungieren als etwas vor der Kamera zu Zerstörend­es. »Man hat oft gesagt, mit Gewalt lasse sich nichts beweisen. Das hängt jedoch davon ab, was man beweisen will.« Oscar Wilde

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Foto: Alamode Film Somebody Put Something In My Drink: Rote Bowle mit Geheimzuta­t

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