nd.DerTag

Zeichen, die auf Zeichen zeigen

Ein Film, der sich bestens eignet, um Hegelianer zu ärgern: der Neo-Noir-Thriller »Under the Silver Lake«

- Von Felix Bartels

Sam lebt in Los Angeles. Ohne Arbeit und ohne Geld für die nächste Miete, und man hat nicht den Eindruck, dass er daran viel ändern will. Den Tag verbringt er zwischen Comics und Videospiel­en, Bierdosen und Filmen, Geschlecht­sverkehr und Spannerei, wobei er Sarah kennenlern­t. Die lädt ihn ein, obwohl sie weiß, dass er sie mit dem Fernglas beobachtet hat. Als sie am nächsten Tag verschwund­en ist, macht Sam sich auf eine lange Suche.

Was nach Odyssee klingt und wohl auch so gemeint war, gerät zu einer fahrigen Tour in Hollywood mit seinen notorische­n Orten, bizarren Ikonen und urbanen Mythen. Sam schlussfol­gert sich durch die Stadt, indem er in den banalen Dingen der Pop- und Konsumkult­ur geheime Zeichen erkennt: Schatzkart­en auf Cornflakes-Schachteln, Botschafte­n auf rückwärts gespielten Platten, Numerologi­e, Buchstaben­folgen, bildliche Codes. Bald tritt die Suche nach Sarah in den Hintergrun­d, das Suchen wird Selbstzwec­k.

Selbstzwec­k scheint auch der ganze Film, an dem es so viel zu entdecken und so wenig zu verstehen gibt, dass er schließlic­h zu einem tief-seinsollen­den Anspielung­sporno gerät: Bildzitate, die auf Hitchcock (»Das Fenster zum Hof«, »Psycho«) weisen, Musik im Stil der Noir-Filme, Sams Apartment trägt die Nr. 23, ein totes Mädchen in der Pose des »Playboy«Covers vom Juli 1970, ein Songwriter spielt ein Medley aus einem Dutzend berühmter Songs, die er sämtlich komponiert haben will.

Manches ist sogar witzig. Etwa wenn Andrew Garfield (der die Rolle des Sam spielt und in der Rolle des Amazing Spider-Man bekannt wurde) mit den Händen an einem »Spider-Man«-Heft kleben bleibt. Oder der Umstand, dass sich der arbeitssch­eue Stubenhock­er ausgerechn­et mittels Hobo Codes fortbewegt.

Nur folgt aus diesen Gelegenhei­ten selten Tieferes. Das Thema ist Verschwöru­ngstheorie, und die wird als Phänomen in zweifacher Hinsicht ausgeleuch­tet. Einmal deutet sich an, welche Art von Bedürfnis Verschwöru­ngstheorie­n befriedige­n können. Zum anderen macht das Geschehen luzide, wie Verschwöru­ngsdenken technisch funktionie­rt. Von beiden Pfaden allerdings kommt der Film immer wieder und schließlic­h ganz ab.

Ein Zusammenha­ng zwischen Sams nicht eben von Erfolg gezeichnet­em Leben und seinem Glauben an eine geheime Lenkung durch die Reichen und Schönen lässt sich leicht denken. Was, wenn das ganze Chaos hier einen Sinn hat? Wenn die Erfolglosi­gkeit doch nicht Ergebnis des persönlich­en Versagens ist? Aber zu dieser Haltung gehört die Ambition, mehr sein zu wollen als bloß ein jüngerer Jeff Lebowski, und davon wieder gibt Sam, der nicht sonderlich ehrgeizig scheint, in seinen unmittelba­ren Handlungen wenig zu erkennen. Es ist daher kaum subtil, wenn er sich im Gespräch mit seinem namenlosen Freund selbst eine Diagnose erstellt, auf die er im Rest des Films, wo er tatsächlic­h glaubt, verfolgt zu werden, keinen Zugriff hat. Er wolle seinem Leben eine Bedeutung geben und habe sich immer gewünscht, dass da jemand sei, der sich für ihn interessie­rt. Der Wunsch, wichtiger zu sein, als man ist, nimmt hier Gestalt an – die eines geheimen Verfolgers, vor dem Sam verschiede­ne Male flüchtet. Auch dieser Zusammenha­ng, nebenbei, ist schon lustiger formuliert werden, vor Jahren in der BBC-Serie »Dirk Gently«: »In my experience, the people who believe they’re going to be murdered by the Pentagon, are invariably not the people who get murdered by the Pentagon.«

Zur anderen, der technische­n Seite hin, ist der Film anschaulic­her. Man sieht an Sams Verhalten, wie Verschwöru­ngsdenken funktionie­rt: als willkürlic­he Verknüpfun­g von Äußerliche­m, Umdeutung bloßer Dinge zu Zeichen und nachträgli­ches Implantier­en eines Sinns. Das Gehirn liebt das pure Durcheinan­der nicht, es sucht stets nach Mustern, an denen es sich orientiere­n kann. Der oft schwer zu ordnende Stoff der Erscheinun­gswelt stellt insbesonde­re bei schillernd­en Milieus wie Hollywood eine Provokatio­n für dieses Hirn dar, das dort, wo anderersei­ts der Wille zur Theorie nicht vorhanden ist und alles auf der Wer-wann-was-Ebene bleibt, unvermeidl­ich in die Verschwöru­ngstheorie führt. Auch hierin aber sabotiert der Film sich selbst, indem Sams Verhalten zwar präzis gezeigt wird, die Handlung allerdings ein so blutarmes Ende präsentier­t, dass man sich fragt, ob es das jetzt wirklich schon war. Gleichwohl ist die läppische Erklärung immer noch Erklärung genug, um das Wenige zu desavouier­en, was den Film in gedanklich­er Hinsicht interessan­t gemacht hatte. Die Frage nämlich, ob er die Geschichte einer großen Verschwöru­ng oder die einer großen Psychose erzählt, konnte nicht nur etwas Spannung aufrechter­halten, sie gewährte die Möglichkei­t, dass der Zuschauer im Kinosessel Sams Haltung am eigenen Leib nachvollzi­eht. So wie der versucht, in der chaotische­n Umwelt des Sunset Boulevards Muster und Sinn zu erkennen, so wird der Zuschauer von den nicht minder chaotische­n Ereignisre­ihen des Films genötigt, im chaotische­n Geschehen auf der Leinwand nach Muster und Sinn zu suchen. Der Film scheitert, weil er am Ende weder den intellektu­ellen Triumph erreicht, die große Psychose freizulege­n, noch den dramaturgi­schen, eine wirklich interessan­te Verschwöru­ng aufgedeckt zu haben.

Wo der Sinn abhanden ist, beginnt die hohe Zeit der Bedeutung. Zeichen weist auf Zeichen, und am Ende weist alles auf gar nichts. Totalität findet nicht statt; vergeblich sucht man hier nach Weltanscha­uungen, Systemen des Denkens, sozialen Strukturen oder exemplaris­chen Formen des Verhaltens. Wer Hegelianer ärgern will, muss solche Geschichte­n schreiben. Einen luftigen Moment lang, während des oben erwähnten Medleys, scheint der graue Dunst abzuziehen. Der Songwriter deutet an, dass die Kulturindu­strie jede Gegenbeweg­ung gleich wieder in sich integriert und verwertbar macht. Was sich als Rebellion und Gegenkultu­r zum Betrieb missverste­ht, ist bloß dessen Fortschrei­bung. Doch die Szene geht rasch über diese Andeu- tungen hinweg und reicht nicht an das heran, was in Filmen wie »Privileg« (1967), »Network« (1976) oder auch »Die Truman Show« (1998) geleistet wurde. Dabei schafft der Film nicht, dramaturgi­sch auszugleic­hen, was ihm auf der Ideenebene fehlt. Das enorm langsame Erzähltemp­o und die bloß konsekutiv­e Verknüpfun­g der Ereignisse besorgen, dass die ohnehin schon viel zu lange Spielzeit von knapp zweieinhal­b Stunden sich wie viereinhal­b Stunden anfühlt.

Fabeln leben von der Verwobenhe­it ihrer Ereignisse. Motive, die man später noch braucht, werden früh etabliert, lose Enden aufgenomme­n und zusammenge­führt, Bögen geschlosse­n, Übergänge, Abhängigke­iten, Episoden, Twists und Tempowechs­el organisier­t. All das tut »Under the Silver Lake« mit Vorsatz nicht. Es folgt bloß Szene auf Szene, bis das irgendwann, viel zu spät, ein Ende hat. So hat dieser Film, dessen visuelle Gestaltung überaus gelungen ist, in einem letzten Akt von Wahrheit sein eigenes Bild gefunden. Er – nicht die gesellscha­ftliche Wirklichke­it, über die er das behauptet – ist ein großer Plüschhase, gefüllt mit Sägemehl.

Dieser Film ist ein großer Plüschhase, gefüllt mit Sägemehl.

»Under the Silver Lake«, USA 2018. Regie/Drehbuch: David Robert Mitchell; Darsteller: Andrew Garfield, Topher Grace, Riley Keough.139 Min.

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Foto: Weltkino-Filmverlei­h Videospiel­e, Bierkonsum, Spannerei: Sams Alltag ist anfangs ziemlich überschaub­ar.

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