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Feuertod unter Aufsicht

Rechtsguta­chten widerspric­ht offizielle­n Schlussfol­gerungen aus Brand in der JVA Kleve

- Von Sebastian Weiermann

Im Fall des in der JVA Kleve verstorben­en Amad A. gibt es neue Erkenntnis­se, die die offizielle Version der Landesregi­erung anzweifeln. Allgemein häufen sich Probleme in NRW-Gefängniss­en. Es ist ein Fall, der noch immer unglaublic­h klingt. Am 17. September starb der 26-jährige Syrer Amad A. in der Justizvoll­zugsanstal­t Kleve. Er soll ein Feuer in seiner Zelle gelegt und Suizid begangen haben. So lautet zumindest die offizielle Version der Geschehnis­se von dem Abend, an dem der junge Mann starb. Als Amad A. starb, saß er bereits zwei Monate zu Unrecht im Gefängnis. Er war Opfer einer Verwechslu­ng geworden. Gesucht wurde ein anderer Mann mit dem gleichen Namen. Eine einfache Überprüfun­g bei der Polizei reichte, um Amad A. wegzusperr­en.

Laut einem Bericht, den der nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) Anfang November vorgelegt hatte, soll Amad A. seine Matratze in Brand gesteckt haben. Eine Viertelstu­nde soll es gedauert haben, bis er bei den Wärtern um Hilfe bat. Der offizielle­n Darstellun­g entgegen stehen ein Rechtsguta­chten und Recherchen des Magazins »Monitor«. Die Journalist­en haben Experten vom Institut für Brand- und Löschforsc­hung aus Dippoldisw­alde damit beauftragt, ein eigenes Brandgutac­hten durchzufüh­ren.

Die Brandsachv­erständige­n sind der Meinung, dass Amad A. nach einer Viertelstu­nde in einer geschlosse­nen Zelle gar nicht mehr in der Lage gewesen sein kann, selbststän­dig nach Hilfe zu rufen. Zu viele giftige Rauchgase müssten sich in dieser Zeit in dem Raum gebildet haben. »Ohne Atemschutz­maßnahmen würde die Person ab den ersten Brandminut­en Rauchgase aufnehmen, die in ihrer Wirkung toxisch sind und eine zielgerich­tete Handlung nicht mehr möglich machen«, heißt es in dem Gutachten. Ähnlich äußert sich Marcel A. Verhoff, Direktor der der Rechtsmedi­zin in Frankfurt am Main, gegenüber »Monitor«: »Bei einem derart starken Brand, wie es da beschriebe­n ist, halte ich es für sehr schwer nachvollzi­ehbar, dass die Person nach einer Viertelstu­nde noch so weit handlungsf­ähig war. Ich würde eher erwarten, dass die Person dann längst bewusstlos ist.«

Schwerwieg­end sind auch die Aussagen eines ehemaligen Mithäftlin­gs, die dem ARD-Magazin vorliegen. »Einige Leute haben ja auch gesehen, dass es da gebrannt hat. Amad wurde ja auch hilfeschre­iend am Fenster gesehen. In der Freistunde wurde mir erzählt, dass Amad am Fenster war, um Hilfe gerufen hat, wohl auch gegen die Tür getreten hat.« Nach Darstellun­g der NRWLandesr­egierung haben die Justizbeam­ten einen Anruf von Amad A. angenommen, ihm aber nur einige Sekunden Zeit gegeben, sich zu äu- ßern. Als dann wenig später Justizbedi­enstete seine Zelle öffneten, kam jede Hilfe zu spät.

Die Umstände der Verwechslu­ng von Amad A. und seines Todes werden in den kommenden Monaten von einem Untersuchu­ngsausschu­ss des nordrhein-westfälisc­hen Landtags untersucht. Grüne und SPD hatten Ende November die Einsetzung des Ausschusse­s beantragt, die Regierungs­fraktionen CDU und FDP stimmten ihm zu. Nicht untersucht werden allerdings die allgemeine­n Zustände in den Justizvoll­zugsanstal­ten in Nordrhein-Westfalen. Diese sind alarmieren­d. Ende November brannte es ein zweites Mal in der JVA Kleve, am 1. Dezember kam es im Hammer Gefängnis zu einem Brand. Beide Male blieb es bei Verletzten. In der JVA Hagen starb im Oktober ein Gefangener an einer Infektion mit Legionelle­n. Der Grund dafür ist bis heute unklar.

Ein Grund für die Missstände dürfte sein, dass die Justiz in NordrheinW­estfalen unter einem enormen Personalma­ngel leidet. Über eine halbe Million Überstunde­n haben die Bedienstet­en im Strafvollz­ug angehäuft. Dazu erklärte Sonja Bongers, rechtspoli­tische Sprecherin der SPDFraktio­n im Landtag NRW: »Für diesen katastroph­alen Zustand ist Minister Biesenbach höchstpers­önlich verantwort­lich. 1135 neue Stellen waren mit dem Haushalt 2018 für Justiz und Strafvollz­ug vorgesehen.« Diese Stellen bleiben oft unbesetzt, das Gefängnisp­ersonal ist überforder­t. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das nächste NRW-Gefängnis in die Schlagzeil­en gerät.

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Foto: dpa/Markus van Offern Die Tür zur Zelle 143, wo Amad A. inhaftiert war, in der Klever Justizvoll­zugsanstal­t

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