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Digitales Armutszeug­nis

Eine Kleine Anfrage zu Gewalt gegen Frauen im Internet zeigt Wissenslüc­ken und Planlosigk­eit bei der Regierung

- Von Lotte Laloire

Für digitale Gewalt gegen Frauen hat die Regierung weder eine Definition noch eine Gegenstrat­egie, kritisiere­n linke Abgeordnet­e. Schnell ein sexy Foto über Whatsapp an den Freund schicken, der weit weg wohnt, oder freizügige Videos für den neuen Lover drehen. Was in der »Generation Smartphone« Alltag ist, wird gerade Frauen immer häufiger zum Verhängnis, etwa wenn der hasserfüll­te Ex-Partner später mit der Veröffentl­ichung der Aufnahmen im Internet droht. Das nennt man »RachePorno«. Und obwohl zwischen 10 und 25 Prozent der Frauen schon einmal digitale Gewalt erlebt haben, sind »revenge porn« oder »doxing« für viele immer noch Fremdwörte­r.

Das zeigt auch die Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage zu »Digitaler Gewalt gegen Frauen«, eingereich­t von einer Gruppe von Parlamenta­rierinnen rund um die frauenpoli­tische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Cornelia Möhring. In der Antwort, die von der Adresse der Staatssekr­etärin Caren Marks (SPD) versendet wurde, heißt es: Bisher »gibt es keine allgemeing­ültige Definition für digitale Gewalt«. Zu dem Phänomen gehören neben Mobbing, Beleidigun­g und Stalking, was auch in der Realwelt mög- lich ist, ebenso neue Rechtsverl­etzungen. »Doxing« bedeutet etwa, dass Täter personenbe­zogene Daten der Opfer online veröffentl­ichen. »Cybergroom­ing« bezeichnet die Kontaktauf­nahme mit kleinen Mädchen oder Jungen über soziale Netzwerke, um diese sexuell zu missbrauch­en. Und Feministin­nen müssen oft »Shitstorms«, also Hass in Massen, aushalten. Diese Machtmitte­l stellen laut Möhring »oft die Weiterführ­ung bereits bekannter Formen häuslicher und geschlecht­sspezifisc­her Gewalt« dar. Sie dürften mit der Digitalisi­erung künftig an Brisanz gewinnen.

Die Anfrage hebt auch auf die Istanbul-Konvention ab, der die Bundesregi­erung im Februar zugestimmt hat. Denn dieses Abkommen des Europarate­s zum Schutz von Frauen gegen Gewalt schließt den digitalen Raum explizit ein. Artikel 11 der Konvention verlangt etwa, dass die Vertragsst­aaten Daten erheben und Forschung zu digitaler Gewalt betreiben. Die Ratifizier­ung begrüßen die Frauen und weisen im gleichen Atemzug darauf hin, dass die Regierung Teile der Konvention schon jetzt nicht erfülle. »Es kann nicht sein, dass die letzte Studie zu Gewalt an Frauen inzwischen 14 Jahre alt ist«, so Möhring. Sie fordert einen Aktionspla­n mit konkreten Maßnahmen, besserer Finanzieru­ng des Hilfesyste­ms sowie mehr Forschung.

Aus der Antwort geht weiterhin hervor, dass digitale Gewalt in der polizeilic­hen Kriminalst­atistik nicht immer erfasst wird. Das Thema digitale Gewalt sei bisher nur Teil der polizeilic­hen Ausbildung in einem Bachelorst­udiengang. Im Modulhandb­uch des Studiengan­gs »Kriminalvo­llzugsdien­st im BKA« werde das Thema nicht erwähnt, lediglich »Cy- bercrime«, aber ohne einen Bezug zu Frauen, kritisiert Möhring. Auch wenn man das Thema in der Regierung ernst nehme, sehe man in der Regierung keinen »Handlungsb­edarf zur Schaffung weiterer Straftatbe­stände in Bezug auf Mobbing«.

Unter »Cybercrime« will die Regierung das Phänomen auch nicht fassen, da es sich bei digitaler Gewalt nicht um Straftaten handele, die sich gegen »das Internet, Datennetze, informatio­nstechnisc­he Systeme« richten, heißt es in der Antwort. Laut der Fragestell­erin und netzpoliti­schen Sprecherin der Linksfrakt­ion Anke Domscheit-Berg widerspric­ht das der »Cybercrime«-Definition des Bundeskrim­inalamts, da diese Tatbeständ­e wie »Phishing«, also durch Betrug an Daten anderer zu gelangen, sehr wohl einschließ­e. Sie erkennt an der Antwort »ein bekanntes Muster: Wenn es um Digitalisi­erung geht, betont die Bundesregi­erung gern, wie wichtig das Thema sei, um dann alle anderen vorgehen zu lassen.«

Vorgehen – das macht etwa der Bundesverb­and Frauenbera­tungsstell­en und Frauennotr­ufe, der die Website »aktiv-gegen-digitale-gewalt.de« ins Leben gerufen hat. Dort finden Betroffene und Unterstütz­er*innen seit September dieses Jahres Informatio­nen zu Gewaltform­en, Techniksic­herheit und rechtliche­n Möglichkei­ten – laut Projektmit­arbeiterin Silvia Zenzen »erstmals im deutschspr­achigen Raum«. Gefördert wird das Ganze zwar vom Frauenmini­sterium. »Weniger als 700 000 Euro für einen Projektzei­traum von fünf Jahren ist viel zu wenig, um die Aufgaben des Projekts auch nur im Ansatz zufriedens­tellend zu erfüllen«, meinen die Fragestell­erinnen. Domscheit-Berg resümiert deshalb: »Es ist ein Armutszeug­nis für die Bundesregi­erung, dass sie auch elf Jahre nach Einführung der ersten Smartphone­s so wenig darüber weiß, wie sich die Digitalisi­erung auf unser Leben auswirkt.«

Auch elf Jahre nach Einführung der Smartphone­s wisse die Regierung wenig über die Auswirkung­en, klagt Domscheit-Berg.

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