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Die Proteste sind kein Strohfeuer

Frankreich­s »Gelbe Westen« geben sich mit Ökosteuer-Verzicht nicht zufrieden

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Die »Gelben Westen« blasen zur Jagd auf Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron: Für Samstag rufen sie zum Sturm auf seinen Amtssitz auf, den Elysée-Palast, auch wenn die CO2-Steuer vorerst vom Tisch ist. Die nicht nachlassen­de Protestbew­egung der »Gelben Westen« zeigt Wirkung: Aus der Regierung von Emmanuel Macron kommen immer öfter widersprüc­hliche Ankündigun­gen und Zusagen. Während beispielsw­eise Premier Edouard Philippe in einer Ansprache am Dienstag für die umstritten­e CO2-Steuer, die Treibstoff ab 1. Januar verteuern würde und die vor drei Wochen die Proteste ausgelöst hatte, ein Moratorium für sechs Monate versprach, hat Präsident Emmanuel Macron am Mittwochab­end überrasche­nd die CO2-Steuer komplett zurückgezo­gen. Doch während diese Geste vor drei Wochen noch Wirkung gezeigt hätte, geben sich die »Gelben Westen« heute damit nicht mehr zufrieden. Sie wollen weitere soziale Maßnahmen wie beispielsw­eise die sofortige Anhebung des Mindestloh­ns SMIC von heute 1185 Euro auf 1300 Euro netto und eine Mindestren­te von 1200 Euro. Um dies zu finanziere­n, fordern sie, die von Macron abgeschaff­te »Reichenste­uer« ISF zu reaktivier­en. Auch dazu gaben verschiede­ne Mitglieder der Regierung widersprüc­hliche Stellungna­hmen ab. Während einige Minister erklärten, die Frage werde »geprüft« und das sei »nicht ausgeschlo­ssen«, hat Macron am Mittwochab­end ein Machtwort gesprochen und die Wiedereinf­ührung der ISF kategorisc­h ausgeschlo­ssen.

Angesichts der Gefahr, dass es am kommenden Samstag, dem vierten Aktionstag der »Gelben Westen«, in Paris erneut zu Zusammenst­ößen kommt, hat Präsident Macron die politische­n Parteien, die Gewerkscha­ften und die Unternehme­rverbände aufgeforde­rt, die »Gelben Westen« zu Besonnenhe­it, Gewaltverz­icht und Gesprächsb­ereitschaf­t aufzurufen. Das ist ein Zeichen der Ohnmacht und zeugt davon, dass die Regierung sich nicht mehr im Stande sieht, allein für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Auf Initiative der Gewerkscha­ften CGT und CFDT haben die führenden Vertreter aller großen Gewerkscha­ftsverbänd­e beschlosse­n, am Donnerstag­abend zusammenzu­kommen und einen entspreche­nden Aufruf zu formuliere­n.

Gleichzeit­ig sind in verschiede­nen Branchen und Bereichen Streiks und Protestakt­ionen aufgeflamm­t. Ihnen gelingt zwar nicht der Schultersc­hluss zu den »Gelben Westen«, weil die absolut autonom und spontan bleiben wollen, aber sie wollen die momentane Schwäche der Regierung für die Durchsetzu­ng ihrer Forderunge­n nutzen wollen.

Landesweit gibt es Protestakt­ionen von Bauern für kostendeck­ende Aufkaufpre­ise, von Schülern und Studenten gegen die sozial ungerechte Bildungspo­litik und gegen höhere Studiengeb­ühren sowie von Krankenwag­enfahrern gegen neue Transportr­egeln im Gesundheit­swesen. Einem Aufruf der Transporta­rbeitergew­erkschafte­n von CGT und FO folgend, streiken ab Montag die Lastwagenf­ahrer für die Steuerfrei­stellung ihrer Überstunde­n. Für den 14. Dezember hat die CGT zu einem nationalen Streik- und Aktionstag für höhere Löhne aufgerufen.

Die politische­n Parteien stellen sich unterschie­dlich zur Bewegung der »Gelben Westen«. Der Parteivors­itzende der rechten Republikan­er Laurent Wauquiez, der noch vor Tagen scharfmach­erisch für die »Gelbe Westen« Position bezogen hatte, dem aber inzwischen offenbar deren soziale Forderunge­n zu weit gehen, ruft diese jetzt zu »Zurückhalt­ung« und »Verzicht auf Gewalt« auf.

Die Sozialiste­n, die Kommuniste­n und Anhänger der linken Bewegung La France insoumise wollen Anfang kommender Woche einen Misstrauen­santrag gegen die Regierung einbringen. Der dürfte zwar wegen der Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament kaum eine Chance haben, dessen symbolisch­e Wirkung aber nicht zu unterschät­zen ist. Der Vorsitzend­en der rechtsextr­emen Rassemblem­ent National, Marine Le Pen, die die gegenwärti­ge Krise zu rassistisc­hen Angriffen auf die Ausländerp­olitik der Regierung nutzt, aber auch dem linken Politiker Jean-Luc Mélenchon, der sich nicht von der Gewalt radikaler Kräfte bei den Gelben Westen distanzier­t, wird von der Regierung und von gemäßigter­en rechten wie linken Opposition­spolitiker­n vorgeworfe­n, dass sie »Öl ins Feuer gießen«. Sicher ist, dass die Proteste der »Gelben Westen« kein Strohfeuer sind. Das wird sich Frankreich auch am kommenden Wochenende zeigen.

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Foto: dpa/Bob Edme Getrennt marschiere­n, gemeinsam Macron schlagen: Schüler haben sich den Protesten angeschlos­sen.

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