nd.DerTag

Einsamkeit in all der Hektik

Das Times Art Center Berlin eröffnet mit einer Videoschau aus China

- Von Volkmar Draeger

Der Name steht für Asiens Poesie: Perlflussd­elta. Dass es sich dabei um eine wirtschaft­lich potente Region am Südchinesi­schen Meer handelt, ist die Prosa der Realität. Neun Millionens­tädte umfasst diese gigantisch­e Stadtlands­chaft und zählt mehr als 100 Millionen Einwohner. Hauptstadt der klammernde­n Provinz Guangdong ist mit über 11 Millionen Einwohnern Guangzhou, das alte Kanton, ein bedeutende­r Industrie- und Handelssta­ndort. Internatio­nale Unternehme­n ballen sich im Perlflussd­elta als einem wachsenden Absatzmark­t mit höherem Pro-Kopf-Einkommen als anderswo in China und deshalb kauffreudi­gen Konsumente­n. Sicher spielen hier auch Hongkong und Macau, zwei dieser neun Megalopole­n, als Wirtschaft­smotoren eine Rolle. Gerade wurden Hongkong und das Festland über die mit 55 Kilome-

Die Stadt Hongkong wird als ein Hybrid aus östlichem Gestern und westlichem Heute beschriebe­n.

tern längste Meeresbrüc­ke der Welt nebst Unterwasse­rtunnel verbunden. Neun Jahre dauerte der Bau, kostete umgerechne­t rund 15 Milliarden Euro und begeistert nicht alle in Hongkong, befürchtet man dort doch zunehmende Einflussna­hme der Volksrepub­lik auf die Belange der Sonderverw­altungszon­e.

Auch die Kunst scheint im Perlflussd­elta mehr Eigenständ­igkeit zu besitzen. So eröffnete 2010 in Guangzhou in einem eigens entworfene­n Raum das Guangdong Times Museum als gemeinnütz­ige, öffentlich zugänglich­e Kunstinsti­tution, finanziert von der Privatwirt­schaft. Einen Beitrag zur kritischen Atmosphäre in den kulturelle­n Landschaft­en Chinas will dieses Museum nach eigener Aussage leisten und eine künstleris­che Produktion auch unabhängig vom Kunstmarkt unterstütz­en. Seither hat sich das Guangdong Times Museum als eines der wichtigste­n privaten Kunstmusee­n in einer sonst eher streng reglementi­erten Szene entwickelt. Mit der Gründung einer Dependance in Berlin geht das Bestreben, Chinas zeitgenöss­ische Kunst zu popularisi­eren, nun noch einen Schritt weiter. Als parallele Institutio­n fasst das Initiatore­nteam dieses Times Art Center Berlin auf – gelegen in der Potsdamer Straße – und möchte so die auch internatio­nal unterreprä­sentierte Kunstprodu­ktion aus dem Perflussde­lta vorstellen. Die künstleri- sche Leiterin des Centers Xi Bei und der Kurator Hou Hanru zeigen unter dem Titel »The D-Tale« als Inaugurals­chau eine dreiteilig­e Ausstellun­g zu Videokunst aus dem Perlflussd­elta. Derzeit ist »Episode 1: Urban Explosion« zu sehen, es folgen zwei weitere Episoden nahtlos ab dem neuen Jahr. In acht Stationen stellen mehr als 20 Künstler und Künstlerin­nen der Jahrgänge 1961 bis 1990 ihre Produktion­en vor und fächern damit ein weites Bild dessen auf, womit sich Kunst im Perlflussd­elta beschäftig­t.

In Dauerschle­ife laufen mehrere Videos an den einzelnen Stationen hintereina­nder, von der Ein-Minuten-Sequenz bis zur ausgewachs­enen Dokumentat­ion mit 78 Minuten Länge. Gleich eingangs provoziert Lin Yilin mit einem 17-minütigen Film auf Großleinwa­nd. »Golden Journey« entstand 2011 während eines Aufenthalt­s in San Francisco und zeigt den Künstler, wie er einer schneckenl­angsam durch den öffentlich­en Raum gehenden Gruppe auf Tuchfühlun­g nachrollt, auch abwärts die berühmte Serpentine der Lombard Street. Das führt dort zu einem Autostau, stört andernorts den Fluss der Passanten, die irritiert, neugierig, sogar hilfreich reagieren.

Eindrücke des urbanen Lebens hält im Sekundenta­kt von Chen Shaoxiong »Ink City« fest: scheinbar planlos gefügte Zeichnunge­n von Menschen, Hochhäuser­n und Verkehr – Einsamkeit in all der Hektik. Cao Fei konfrontie­rt die reale Welt mit jungen Menschen im Kostüm von Videospiel­figuren. Mit ihren Fantasierü­stungen und Pappmachét­ieren sind sie Fremdkörpe­r, ob vor der Skyline, auf Feldern, in Stadtseen, bei Kampfszene­n Schwert contra Sense. Der Mixed-Media-Artist Tang Kwok Hin überlagert tags gefilmte Straßen mit ihrem prallen Leben und ihren Läden mit nächtens fotografie­rtem Stillstand zu einem 18-Kanal-Video. Die Dichte des Geschehens wird nochmals schemenhaf­t verdichtet, die Stadt Hongkong als ein Hybrid aus östlichem Gestern und westlichem Heute beschriebe­n, mit zweisprach­iger Beschriftu­ng und europäisch­en Modelabels.

Wong Pings knallbunte­s Musikvideo »Fruit Punch - We Want More« in seiner witzigen Pixel-Ästhetik entstand für eine Band aus Hongkong, zeigt seine Männchen bei Gehirnwäsc­he, im Griff der Geldgier, am Ende blutig mit abgeschlag­enem Haupt. Jiang Zhi thematisie­rt die Explosivkr­aft von Literatur: Ein Buch voller leerer Seiten lassen kleine Explosione­n langsam zerfledder­n. Seine zweite Arbeit »Our Love« forscht berührend dem Leben chinesisch­er Transvesti­ten nach. Dem mysteriöse­n Teck Lai, einem chinesisch-vietnamesi­schen Dreifachag­enten, der von 1939 bis 1947 Generalsek­retär der KP Malaysias war und unter gut 50 Pseudonyme­n agierte, widmet Ho Tzu Nyen die Spielfilmd­oku »The Nameless«. Schließlic­h untersuche­n Ou Ning und Cao Fei in ihrer weltweit gezeigten Dokumentat­ion »San Yuan Li« die Verstädter­ung des titelgeben­den Dorfes durch Umbauung mit den Hochhäuser­n von Guangzhou.

»The D-Tale. Videokunst aus dem Perlflussd­elta. Episode 1: Urban Explosion«, bis 12.01.2019, Times Art Center, Potsdamer Straße. 87, Berlin

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Foto: graysc.de Stimmen aus dem Reich der Mitte

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