Ein Kasten voller Kämpfe
Wenn Fußball im Theater weh tut: »Hool« in der Box des DT in Berlin
Man hätte nicht gedacht, dass so ein Satz mal fällt im Deutschen Theater: »Joel Seidel Fußballgott«. Und was heißt schon fällt? Der wird gebrüllt, skandiert, viele Male wiederholt. Zugegeben, dieser Ruf schallt nur über die Bühne der Box, der kleinsten Spielstätte des DT, aber er kommt trotzdem etwas überraschend.
Die Box ist ein schmuckloser Aufführungsraum. Nichts von Barock, Bürgertum und Gediegenheit ist darin. Der einstige Proletensport Fußball verlangt nach Glamour in Zeiten seiner totalen Vermarktung. In der Box geht es aber um die medial am
Die Quintessenz des Abends bleibt banal: Erfolgreicher Job und Hool-Sein schließen sich aus, Sex und Hooliganismus auch.
häufigsten abgewatschte Seite – die Hooligan-Kultur, für die sich der Kommerzfußball stets etwas schämt.
Grundlage ist Philipp Winklers viel gelobter Roman »Hool«, der 2016 bei Aufbau erschien. Winkler schildert darin überzeugend die Adrenalinschübe, die beim physischen Aufeinanderprall feindlicher FußballfanHorden vor oder nach dem eigentlichen Spiel ihrer Mannschaften auf irgendwelchen Lichtungen, Industriebrachen oder aufgegebenen Gewerbegebieten durch die Blutbahnen der Kämpfer schießen.
Regisseur Adrian Figueroa wollte schon länger schon ein Stück zum Thema »Adrenalin« machen. Ihm hatte ein Schauspieler des Berliner Knasttheaters aufBruch, mit dem Figueroa im Gefängnis arbeitete, berichtet, dass die Adrenalinschübe bei seiner allerersten Theaterpremiere hinter Gittern vergleichbar seien mit dem Rauschzustand, in dem er sich bei seinem allerersten Banküberfall befunden hatte.
Der Rausch, der Kick, die Chemie im Körper, die Hirn und Herz in Ausnahmezustand versetzt – das ist dann auch das zentrale Thema von »Hool«. In seinem Buch beschreibt Winkler sehr präzise die Vorbereitung auf den Kampf, etwa das Einsetzen des Zahnschutzes. Beeindruckend schildert er, was dann abgeht, wenn sich die Gestalten und Gesichter der Gegner näher kommen. Wie die Lust wächst, genau da rein zu schlagen. Wie man verschmilzt mit den anderen aus der eigenen Horde. Wie der Schmerz, den die Schläge, die man abbekommt, neuerliche Hormonausschüttungen produziert.
Winkler beschäftigt sich auch mit dem Kater danach, der Bestandsauf- nahme der eigenen Verletzungen. Medizinisch akkurat ist die Buchführung darüber, ob jetzt eigenes Blut an den Knöcheln klebt oder doch nur das der Gegner.
Für »Hool« ließ Regisseur Figueroa einen halbtransparenten Kasten bauen. Darin wird im gleißenden Licht das Kampfgeschehen zur Projektion, zum Film, zum Bewusstseinsstrom. Das ist keine schlechte Lösung; denn die verbale Gewalt wird auf diese Art und Weise gerahmt. Sie wird verstärkt, und sie bleibt doch pur, denn sie wird nicht verwässert von soziologischen Herleitungen. Leider hält Figueroa dieses Konzept aber nicht durch, und führt dann doch erklärende Sequen- zen ein. Wie schrecklich etwa das Familienleben war: saufender Vater, entflohene Mutter, der Onkel auch schon ein Hooligan. All das passiert im selben Licht, im selben Projektionskasten, aber eben nicht mit der gleichen Energie. Die Rückblenden werden in einen extra Kasten im Kasten gespielt und eröffnen einen neuen Raum.
Gut funktioniert immerhin das Zusammenspiel der vier Schauspieler des Erwachsenen-Ensembles des Theaters mit den vier Kindern und Jugendlichen des Jungen DT.
So lobenswert dann auch die Beschäftigung mit dieser rauhen Jungmänner-Kultur ist, und so überzeugend dabei die Adrenalin-Amplitu- den theatral umgesetzt werden, so bleibt die Quintessenz des Abends doch recht banal: Hooligan ist man im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, zwischen Schule und ersten Schritten im Beruf. Erfolgreicher Job und Hool-Sein schließen sich aus, Sex und Hooliganismus auch. Arg viele Klischees.
Wenigstens wurde das Zerrbild, dass jeder Hooligan rechtsradikal sei, ausgelassen. Und die Parole »Fußballmafia DFB« aus gut trainierten Schauspielerkehlen zu hören, ist dann auch wieder vergnüglich.
Nächste Vorstellungen: 17.12., 18.12., Box im DT, Berlin