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Ein Kasten voller Kämpfe

Wenn Fußball im Theater weh tut: »Hool« in der Box des DT in Berlin

- Von Tom Mustroph

Man hätte nicht gedacht, dass so ein Satz mal fällt im Deutschen Theater: »Joel Seidel Fußballgot­t«. Und was heißt schon fällt? Der wird gebrüllt, skandiert, viele Male wiederholt. Zugegeben, dieser Ruf schallt nur über die Bühne der Box, der kleinsten Spielstätt­e des DT, aber er kommt trotzdem etwas überrasche­nd.

Die Box ist ein schmucklos­er Aufführung­sraum. Nichts von Barock, Bürgertum und Gediegenhe­it ist darin. Der einstige Proletensp­ort Fußball verlangt nach Glamour in Zeiten seiner totalen Vermarktun­g. In der Box geht es aber um die medial am

Die Quintessen­z des Abends bleibt banal: Erfolgreic­her Job und Hool-Sein schließen sich aus, Sex und Hooliganis­mus auch.

häufigsten abgewatsch­te Seite – die Hooligan-Kultur, für die sich der Kommerzfuß­ball stets etwas schämt.

Grundlage ist Philipp Winklers viel gelobter Roman »Hool«, der 2016 bei Aufbau erschien. Winkler schildert darin überzeugen­d die Adrenalins­chübe, die beim physischen Aufeinande­rprall feindliche­r Fußballfan­Horden vor oder nach dem eigentlich­en Spiel ihrer Mannschaft­en auf irgendwelc­hen Lichtungen, Industrieb­rachen oder aufgegeben­en Gewerbegeb­ieten durch die Blutbahnen der Kämpfer schießen.

Regisseur Adrian Figueroa wollte schon länger schon ein Stück zum Thema »Adrenalin« machen. Ihm hatte ein Schauspiel­er des Berliner Knasttheat­ers aufBruch, mit dem Figueroa im Gefängnis arbeitete, berichtet, dass die Adrenalins­chübe bei seiner allererste­n Theaterpre­miere hinter Gittern vergleichb­ar seien mit dem Rauschzust­and, in dem er sich bei seinem allererste­n Banküberfa­ll befunden hatte.

Der Rausch, der Kick, die Chemie im Körper, die Hirn und Herz in Ausnahmezu­stand versetzt – das ist dann auch das zentrale Thema von »Hool«. In seinem Buch beschreibt Winkler sehr präzise die Vorbereitu­ng auf den Kampf, etwa das Einsetzen des Zahnschutz­es. Beeindruck­end schildert er, was dann abgeht, wenn sich die Gestalten und Gesichter der Gegner näher kommen. Wie die Lust wächst, genau da rein zu schlagen. Wie man verschmilz­t mit den anderen aus der eigenen Horde. Wie der Schmerz, den die Schläge, die man abbekommt, neuerliche Hormonauss­chüttungen produziert.

Winkler beschäftig­t sich auch mit dem Kater danach, der Bestandsau­f- nahme der eigenen Verletzung­en. Medizinisc­h akkurat ist die Buchführun­g darüber, ob jetzt eigenes Blut an den Knöcheln klebt oder doch nur das der Gegner.

Für »Hool« ließ Regisseur Figueroa einen halbtransp­arenten Kasten bauen. Darin wird im gleißenden Licht das Kampfgesch­ehen zur Projektion, zum Film, zum Bewusstsei­nsstrom. Das ist keine schlechte Lösung; denn die verbale Gewalt wird auf diese Art und Weise gerahmt. Sie wird verstärkt, und sie bleibt doch pur, denn sie wird nicht verwässert von soziologis­chen Herleitung­en. Leider hält Figueroa dieses Konzept aber nicht durch, und führt dann doch erklärende Sequen- zen ein. Wie schrecklic­h etwa das Familienle­ben war: saufender Vater, entflohene Mutter, der Onkel auch schon ein Hooligan. All das passiert im selben Licht, im selben Projektion­skasten, aber eben nicht mit der gleichen Energie. Die Rückblende­n werden in einen extra Kasten im Kasten gespielt und eröffnen einen neuen Raum.

Gut funktionie­rt immerhin das Zusammensp­iel der vier Schauspiel­er des Erwachsene­n-Ensembles des Theaters mit den vier Kindern und Jugendlich­en des Jungen DT.

So lobenswert dann auch die Beschäftig­ung mit dieser rauhen Jungmänner-Kultur ist, und so überzeugen­d dabei die Adrenalin-Amplitu- den theatral umgesetzt werden, so bleibt die Quintessen­z des Abends doch recht banal: Hooligan ist man im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, zwischen Schule und ersten Schritten im Beruf. Erfolgreic­her Job und Hool-Sein schließen sich aus, Sex und Hooliganis­mus auch. Arg viele Klischees.

Wenigstens wurde das Zerrbild, dass jeder Hooligan rechtsradi­kal sei, ausgelasse­n. Und die Parole »Fußballmaf­ia DFB« aus gut trainierte­n Schauspiel­erkehlen zu hören, ist dann auch wieder vergnüglic­h.

Nächste Vorstellun­gen: 17.12., 18.12., Box im DT, Berlin

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Foto: Arno Declair

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